Kommentar: Wie Thüringens CDU sich selbst eine Falle stellt
Die Christdemokraten wollen im Bundesland das Gendern verbieten lassen – mit Stimmen der AfD. Um Sachpolitik geht es dabei nicht, mehr um Symbolik. Und damit gerät Thüringens CDU in ein Feld, auf dem sie gegen die AfD nur verlieren kann.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Eine Volkspartei hat das Ohr am Puls der Zeit, wie man so schön sagt. Nur sollte sie unterscheiden können, und zwar zwischen Themen, die wirklich wichtig für den Alltag der Wähler sind – und jenen, die hübsch reizen, aber mehr nicht. Deshalb kann eine Partei nur schwerlich behaupten, sie agiere realitätsbezogen und pragmatisch, wenn sie sich symbolischen Scheingefechten für die Galerie hergibt. Thüringens CDU übt gerade fleißig vorm Spiegel.
Denn ihre Landtagsfraktion hat einen Gesetzentwurf vorgelegt. Dieser will festlegen, dass Gendern in der Sprache verboten wird, und zwar in Landesbehörden, Gerichten und Schulen. Dort soll das Sternchen verbannt werden, als wäre es ein heimlicher Aufruf zum Sturz der Demokratie, zum Sturm auf die Rostbratwurst oder sonstwas. Und hierin liegt ein Problem.
Thüringer Grenzüberschreitung
Die thüringische CDU hat vor Kurzem ein Gesetz im Landtag durchgebracht, obwohl sie in der Opposition ist. Dies schaffte sie mit Stimmen der AfD. Es ging um die Senkung der Grunderwerbsteuer, und das Geschrei war groß: Eine Brandmauer zu den Rechtsextremisten sei eingerissen worden, eine neue Allianz zwischen CDU und AfD bahne sich an, bis hin zu einer Koalition in der Zukunft. Die angebliche Brandmauer schien mir mehr herbeigeredet: Tatsächlich ist die Grunderwerbsteuer ein Sachthema, über das vor allem mit Argumenten diskutiert wird. Ihre Senkung war und ist christdemokratischer Programmpunkt – und wenn die AfD dem zustimmt, so what?
Wo ist die Relevanz?
Doch nun begibt sich die thüringische CDU auf ein Terrain, das vereist ist. Rutschgefahr besteht. Denn die Frage des Genderns in der deutschen Sprache ist zwar von bemerkenswertem Interesse in der Gesellschaft, aber nicht wirklich ein Thema. Gendersprache ja oder nein entscheidet nicht darüber, wie Deutschlands Kultur oder Wirtschaft aussehen wird. Es handelt sich um eine Frage, die nur sehr geringe Bedeutung für den Alltag der Menschen hat. Vielleicht regen wir uns deshalb darüber so auf: Es ist ja schön erregt zu sein, wenn es eh keine Folgen hat. Und die gegenderte Sprache wird eben hervorgezogen, um andere Ablehnungen zu betonen, nämlich von Entwicklungen und Veränderungen in unserer Gesellschaft generell. Es ist eine symbolische Debatte.
Nun hat die CDU aber den Anspruch, sich um die wichtigen Themen des Landes zu kümmern. Die AfD dagegen kennt nur die Daueropposition, den Kampf gegen jegliche Entwicklung, und zwar mit Pseudoargumenten, die jedes Vergangene glorifizieren.
Die Hoheit über viel Lärm um Nichts
Die AfD liebt Symbolik. Ständig kann sie wittern, ihr werde das Schnitzel vom Teller geluchst, man wolle das Trällern der Nationalhymne gallig machen, oder den Brötchenkauf mit dem Auto über 20 Meter Strecke. Mit dem Alltag hat dies nichts zu tun. Sowas will ja übrigens auch keiner. Aber die Erregung stellt sich ein, Realitätsbezug hin oder her.
Und daher beherrscht die AfD das Feld der umkämpften Schnitzel und auch der gendernden Sprache besser als jede andere Partei. Sie ist Populismus pur. Deshalb sollte die CDU nicht dorthin. Sie würde aufs Glatteis geführt werden, letztlich vielleicht sogar vorgeführt.
Die Zustimmung der AfD zu einem irrelevanten Thema zu suchen, reißt tatsächlich die herbeigeredete Brandmauer ein. Es hätte eine neue Qualität. Und die Thüringer könnten sich fragen, was sie wirklich bewegt.
Im Video: Empörung über gemeinsames Vorgehen von CDU mit AfD in Thüringen