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Kommentar: Wie Twitter zwei Drachentötern eine Heimat gibt

Je erfolgloser, desto höher die Schlagzahl: Georg Pazderski und Hans-Georg Maaßen twittern um die Wette. Da muss wohl was raus.

Hans-Georg Maaßen im Bundestagswahlkampf 2021 (Bild: REUTERS/Thomas Escritt)
Hans-Georg Maaßen im Bundestagswahlkampf 2021 (Bild: REUTERS/Thomas Escritt)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Hans-Georg Maaßen ist nur ein halber Georg, aber im Twittern ist er Georg Pazderski ebenbürtig. Da treten beide wie der heilige Georg auf, der Drachentöter. Was Maaßen (CDU) und Pazderski (AfD) antreibt, ist der Kampf gegen die „Verrücktheiten in der Politik“.

Und beide treten in den Sozialen Medien aufs Gaspedal. Während andere Politiker aus den gleichen Parteien in der Weihnachtszeit sich besinnlich oder gar eher abwesend zeigten, spuckten beide in die Hände. Sie agieren übrigens gerade aus einem Zwischenstadium heraus. Beide haben den angestrebten Sprung in den Bundestag nicht geschafft. Für ihre politische Karriere sieht es nicht gut aus. Aber natürlich ist ein Comeback möglich, beide sind Pfunde; Twitter scheint für sie eine Art letzte Hoffnung und Frustventil zugleich zu sein.

Doch es gibt feine Unterschiede. Während Maaßen gern Positives von der ungarischen Regierung des Autokraten Orbán vermeldet, bevorzugt Pazderski lobende Hinweise auf die Politik der autoritären PiS-Partei Polens. Man hat ja seine persönlichen Geschmäcker.

Pazderski legte Mitte Dezember los, und zwar mit einer Attacke gegen die Grünenpolitikerin Ricarda Lang, die ihre Kandidatur für den Parteivorsitz verkündet hatte. „Und demnächst wird sie uns dann auffordern, den Gürtel enger zu schnallen“, orakelte der Berliner. Das wirkte out of the Blue, wenn man nicht das Foto dazu sah – eine klare Anspielung auf Langs Körpergewicht. Verbitterung scheint durch, als er einen Bericht der „Welt“ über die „Corona-Spaziergänge“ mit dem „Neuen Deutschland“ und der „Aktuellen Kamera“ zu DDR-Zeiten vergleicht, um sich wenig später über den neuen Ost-Beauftragten der Bundesregierung zu mokieren. Pazderski, der Oberst aus dem Kalten Krieg und in der Südwestpfalz geboren, fragt dann gleich, warum es keinen West-Beauftragten gibt; mit DDR-Journalismus muss er sich ausgekannt haben. Allerdings scheint ihm einiges durcheinander zu geraten. Er schreibt: „Was sagt das über eine Partei aus, wenn sie glaubt 32 Jahre nach der Wiedervereinigung einen Erziehungsbeauftragten zur Förderung der Demokratie in Ostdeutschland einsetzen zu müssen? Und warum gibt es eigentlich keinen West-Beauftragten der #SPD?“ Ähm. Der Ost-Beauftragte ist kein Parteiamt, sondern eines der Bundesregierung. Den gab es eigentlich, unter verschiedenen Bezeichnungen, seit 1991.

Allzeit bereit

Pazderski teilt aus. Die neue Bundesverteidigungsministerin ist für ihn eine „Quotenfrau“. An anderer Stelle meckert er, wenn die „alte weiße Frau“ nicht mehr allein aus dem Panzer komme, „soll sie besser draußen bleiben“. Was zur Frage führt, welche Vorstellung der ehemalige Soldat von der Amtsführung im Bundesverteidigungsministerium hat: Sind deren Ressortchefinnen und -chefs nur geeignet, wenn sie kernig unter Stacheldraht kriechen und in Panzer springen? Oder verrät Pazderski uns ein Selbstbild, wonach er kernig & springend ist? Letzteres erinnert mich an den hochdekorierten Soldaten Benedict Drask in der aktuell sehr erfolgreichen Filmsatire „Don’t look up“ – der zeigt, wofür gestandene Kerle noch gut sind. Später schreibt Pazderski sogar auf Twitter über den Film, wobei aber nicht klar wird, ob er ihn gesehen beziehungsweise durchdrungen hat, worum es geht: „Hört sich nach einer Situationsbeschreibung an: Adam McKays Filmsatire ‚Don’t Look Up‘ erzählt von verlogenen Politikern, zynischen Medien und einem verblödenden Volk.“

Dann zeigt der Hobbyepidemiologe ein Foto des Epidemiologen Karl Lauterbach mit dem Kommentar, „schon in der Vergangenheit sind Bürger immer wieder Scharlatanen und Blendern auf den Leim gegangen“ – aber nein, Pazderski nicht! Er hat den Durchblick.

Erschrocken kann sich Pazderski auch geben. Als eine Grünenpolitikerin (nicht Lang) von der Polizei den Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken auf einer Querdenkerdemo fordert, ist das für ihn „Faschismus in Reinstform“. Also: Der mit einem KZ in jedem Vorort?

Klar, von Lang kann er nicht lassen, es gibt dann noch ein Foto mit ihr und einer Fastfood-Tüte, dazu schreibt Pazderski scheinheilig: „Das poste ich mal ohne Kommentar.“ Gab ja auch beim letzten Mal eine Menge Kritik wegen Bodyshaming und so.

Das Amt der Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales nennt er „Dingsbums“, nachdem er ein paar Tage früher mit Blick auf die „Corona-Demos“ gefragt hatte: „Sollten sich die Regierenden nicht freuen, dass die Demokratie in Deutschland so prächtig funktioniert?“

Gegen Jahresende zeigt sich Pazderski resigniert. „Das neue Deutschland: regiert von Schwindlern, Betrügern und Unfähigen“, schreibt er schlicht. Die fehlende Macht muss schon schmerzen. Und schließlich, im neuen Jahr, fällt ihm doch noch etwas Positives ein: dass er nicht mehr so oft Merkel in Film, Funk und Fernsehen sehen und hören werde.

Ein wenig subtiler dagegen geht Maaßen vor. Zwar präsentiert er sich ähnlich traurig, konstatiert Mitte Dezember: „Nicht mehr mein Land.“ Aber er retweetet mehr, lässt andere sprechen und macht sich dadurch weniger angreifbar. Und er stellt scheinbar nichts ahnende Fragen wie: „Darf man das noch sagen oder ist man schon rechts?“ Oder er zitiert, zum Beispiel einen Professor, der über Sterberisiken bei Coronaimpfungen fabuliert. Werden andere kritisiert, wie etwa Kardinal Müller, der über eine angeblich geplante Gleichschaltung der Bürger und über einen angeblich geplanten Überwachungsstaat und über eine angeblich finanzkräftige Elite herumspinnerte, die angeblich hinter allem stecke – dann springt ihm Maaßen zur Seite und bedauert: „Man muss den Eindruck haben, dass wirklich jeder, der der Wahrheit zu nahe kommt, als Verschwörungstheoretiker, Schwurbler, Rechtspopulist oder Nazi diffamiert wird.“ Natürlich beglückt Maaßen die Leser nicht direkt, was er für „die Wahrheit“ hält, er macht mehr auf alter Weiser vom Thüringer Berg.

Jetzt wird es ernst

Da er sich für super hält, kann er Ähnliches nur schwer für andere empfinden. Er retweetet einen Text über die neue Bundesinnenministerin, eine Volljuristin, die nur „angeblich mal Jura studiert“ hat. Dem scheidenden ZDF-Moderator Claus Kleber ruft er nach, er „war das Gesicht des deutschen ‚Haltungsjournalismus‘, der statt Information Propaganda und anstelle von Regierungskritik Feindbekämpfung betreibt.“ Maaßen hätte das heute-Journal bestimmt ganz anders moderiert.

Zum Jahresanfang stimmt er uns gedankenvoll ein: „Ich befürchte, uns allen stehen schwere Zeiten bevor.“ Genau, winter is coming.

Es könnte auch sein, dass Maaßen und Pazderski mit ihrer Sicht auf die Lage der Nation eine eigene Gemütslage spiegeln. Ist ja nicht so gut gelaufen, in den vergangenen Monaten. Nur könnten sie sich fragen, ob sowas wettzumachen ist mit dieser Schlagzahl an Aufgeregtheiten.

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