Kommentar: Wir brauchen endlich eine Volksbahn
Die Bahn hat Finanzprobleme, der Minister meckert – dabei tut ein radikaler Schnitt not: Damit die Bahn unser wichtigstes Verkehrsmittel wird, muss sich fast alles ändern.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Heute Morgen hatte ich ein Déjà-Vu. Diese Erinnerungstäuschung kam daher in Gestalt des schneidigen Andi Scheuer, der Bundesverkehrsminister verteilte Forderungen, die ich schon mal gehört hatte: Es ging um die Bahn und angebliche Milliardenbeträge, die ihr fehlen – akute Finanzprobleme. Berlin schlägt Alarm.
Scheuer ließ also ausrichten, er erwarte vom Aufsichtsrat der Bahn "klare Antworten". Er habe zudem den Vorstand beauftragt, "die Konzernstrukturen effizienter zu organisieren sowie zu verschlanken. Die Strukturen müssen den Hunderttausenden Mitarbeitern und Millionen Kunden dienen."
“Effizienter”, “verschlanken” – all dies wurde schon mal gesagt. Es war die Mutter aller Probleme. Damit fing das Desaster an: Irgendjemand hatte den Politikern zum Ende des vorigen Jahrhunderts eingeflüstert, alles müsse jetzt total liberal sein. Der Markt werde es schon richten. Und die Politiker machten sich daran, von der Bahn eine Art Privatisierung zu wollen, sie redeten auch von “verschlanken” und dass alles “effizienter” werde, wenn die Bahn anfinge, marktwirtschaftlich zu agieren.
Was daraus wurde
Wie dieses Lied ausging, ist bekannt. Die Bahn wurde kaputtgespart. Denn den tollen Managern fehlte die Kreativität zu anderem und vor allem der Durchblick auf das, was eine Bahn überhaupt ist: das potenziell wichtigste Verkehrsmittel des ganzen Landes.
Und wie sieht es heute in Deutschland aus? Die Züge kriegen jetzt statt eines roten einen grünen Anstrich. Sie fahren aber mit sensationellen Verspätungen und in einer Taktung zum Abgewöhnen. Die Tickets sind günstig, wenn viele Wochen im Voraus gebucht wird – aber wer weiß das schon so oft? Spontane Buchungen verlangen hingegen Phantasiepreise, viel zu teuer. Außerdem erreicht die Bahn viele kleine Orte entweder gar nicht oder einmal am Sanktnimmerleinstag.
So wird das nichts mit der Bahn. Und das liegt nicht an fehlender “Effizienz” oder fehlender “Verschlankung”, sondern an Politikern wie Scheuer. Denn sie weigern sich anzuerkennen, welche Aufgabe die Bahn in Deutschland hätte.
Die Bahn muss das beste und günstigste Verkehrsmittel des Landes werden. Nur die Bahn ist eine Alternative zum Auto- und Flugverkehr, welche unsere Luft verpesten und den Klimawandel heraufbeschwören. Nur die Bahn ist umweltfreundlich. Aber dafür muss viel, viel Geld in die Hand genommen werden. Es muss geklotzt werden, nicht gekleckert.
Der Staat muss buttern, er muss die Bahn zur besten Wahl machen. Derzeit wird allerhöchstens diskutiert, ob Soldaten Freifahrten bekommen – was ist mit den Berufspendlern, warum erhalten die nicht einmal spürbare Nachlässe?
Was geschehen muss
Der Nutzen eines massenhaften Umstiegs auf die Bahn wäre erst einmal kein marktwirtschaftlicher. Denn Bahnfahren kostet, und diese Kosten sollten nicht allein dem Passagier aufgedrückt werden, wie das normalerweise im Markt ist. Aber die Bahn ist kein Brötchen und kein Piercing, wo alles seinen Preis hat.
Die Bahn hat eine gesellschaftliche Aufgabe, und dafür muss der Staat sich an anderer Stelle das Geld holen. Die Bahn muss endlich wieder eine totale Staatsbahn werden. Ein Projekt. Solange wir das nicht kapieren, müssen wir uns die leeren Worthülsen von Leuten wie Scheuer anhören.