Kommentar: Wir haben diese schlechte Bahn verdient
Sperrung wichtiger Strecken, permanente Verspätung und ein um 40 Jahre verzögerter Ausbauplan: In der Bahn ist der Wurm drin, weil wir es so wollen. Die Autorepublik Deutschland steht lieber im Stau.
Ein Kommentar von Jan Rübel
Früher war die Bahn ein wenig besser, aber schimpfen durfte man über sie kaum. Da gehörte sie noch zu einer Art Kulturerbe, das gehörte indes zu einer Zeit, in der noch Züge direkt bis nach Italien fuhren. Vorbei. Vorerst.
Heute gehört es nicht einmal mehr zum guten Ton, über die Bahn zu schimpfen, auch über diese Phase sind wir hinaus und seufzen nur noch leise. Denn es ist schlimm geworden.
Vor ein paar Tagen verkündete jemand aus der Leitungsebene, man arbeite an der Umsetzung des so genannten Deutschlandtaktes. Alle 30 bis 60 Minuten – so oft sollten die Züge in jede Richtung fahren, mit einem ersten Zielfahrplan bis 2030. 2018 war das beschlossen worden. Doch der Zeitplan, so gab man nun zu, wird nicht erfüllt sein; jede der 181 angekündigten Umsetzungen steckt noch in der Planungsphase. Und nun ist die Rede von 2070. Eine simple Verschiebung um 40 Jahre ist eine deutliche Absage an jede ambitionierte Bahnpolitik.
Zwar wollte man bei der Bahn sich dann falsch verstanden wissen und sprach von geplanten Beschleunigungen. Aber nichts täuscht darüber hinweg, dass die Bahn nicht einmal ein Stiefkind der deutschen Politik ist, sondern eher ein Gefangener.
Stillstand mit Ansage
Erst heute eine neue, symbolhafte Schockermeldung: Im nächsten Jahr soll die vielbefahrene Strecke zwischen Frankfurt am Main und Mannheim für fünf Monate stillgelegt werden – wegen grundlegenden Sanierungsarbeiten. Das ist erst einmal eine gute Nachricht, denn die infrastrukturellen Missstände sind von einem derart riesigem Ausmaße, dass jeder Spatenstich nur zu begrüßen ist. Doch offenbart dieses Bauprojekt auch, wir kurz das Hemd der Bahn ist: Alles ist mit heißer Nadel gestrickt. Die Verspätung eines Zuges hat viele andere zur Folge, weil es an Zügen und an Personal fehlt. Muss an einer Strecke etwas gebaut werden, kann nicht einfach auf eine Nebenstrecke umgeleitet werden, weil das Streckennetz systematisch ausgedünnt wurde.
Die Bahn steht heute dumm da. Aber schuldig sind wir alle.
Über Jahrzehnte haben wir zugesehen, wie das Auto als Verkehrsträger verhätschelt wurde. Die Kosten des Straßenbaus auf die Nutzer umlegen? Unmöglich. Die Kosten des Streckennetzes die Bahnkunden stemmen lassen? Na klar.
So lief und läuft es. Nur eine Umbesinnung und ein Kraftakt würden nun helfen.
Wo es besser läuft
Die Schweiz könnte uns ein Vorbild sein. Auch die Eidgenossen hatten einen Plan, ihren „Takt“. An dem wurde indes konsequent gearbeitet – und daher steht das schweizerische Bahnwesen ungleich besser da; dies liegt nicht daran, dass die Alpenrepublik kleiner als Deutschland ist. Bei den einen gibt es den Willen, und bei den anderen nicht.
Bisher existieren nur warme Worte. Eine neue Priorisierung des Bahnverkehrs wird immer wieder aufs Neue versprochen, aber nie angegangen. Der aktuelle Verkehrsminister Volker Wissing hat zwar die Bahn zur angeblichen „Chefsache“ erklärt, aber wie dies nun aussieht, erkennt man nicht. Wissing ist als Minister wie seine Vorgänger ein Straßenbauer und Verbrennungsmotorfan. So sad.
Die Alternative wäre ja da. Ein pünktlicher Bahnverkehr, schnell und überallhin. Bessere Luft, weniger Asphalt. Ein Schnippchen dem Klimawandel. Aber das wollen wir nicht. Die Automobilindustrie, rufen dann nicht wenige, die müssen wir doch schützen. Nun, Jobstrukturen ändern sich. Und die Rolle dieser Industrie wird schrumpfen – dies liegt nicht daran, dass sie den Übergang zum Elektromotor mit Ansage verschlafen hat; überbewertet war diese Rolle schon immer. Eben eine gute Lobby. Und der Deutsche und sein Auto: Eine komische Lovestory.
Nun haben wir den Bahnsalat. Man kriegt eben, was man bestellt.
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