Kommentar: Wo ist denn nun die Grünen-Diktatur?

Das ist derzeit hip: Alle auf die Grünen. Selbst die mit ihnen in einigen Ländern regierende CDU erklärt sie zum Hauptgegner. Das ist weniger inhaltlich als taktisch gemeint. In Deutschland hat eine Hysterie die Öko-Partei zu Freiheitsfeinden gedichtet. Der Freiheit hilft das kaum.

Grünen-Diktatur
Lange wurde sie beschworen, die Grünen-Diktatur. (Bild: Frank Hammerschmidt/picture alliance via Getty Images)

Ein Kommentar von Jan Rübel

Glaubt man Friedrich Merz, ist der Wähler ein scheues Wesen. Verlangt man von ihm etwas, zum Beispiel Realitätssinn, flieht er. Derzeit auch in die Arme der AfD, denn dort kann sich hübsch einkuscheln, wer von der Welt in Ruhe gelassen werden will. Also, für einen trügerischen Moment.

Der CDU-Chef will nun zunehmend die Grünen attackieren. Warum? In der Analyse kommt die Unionsspitze zum Schluss, dass vor allem Ostdeutsche von den Grünen genervt seien. Das Bild, das gerade von der Öko-Partei entworfen wird, beansprucht schrille Farben. Die Grünen würden vieles vorschreiben wollen: Wie man heizt, wie man sich fortbewegt, was man isst und wie man spricht. Lauter Vorgaben, und dies noch von Besserwissern aus den Städten, losgelöst vom Alltag des gemeinen Deutschen an und für sich. Die Grünen wollen uns ans Leder der Freiheit, so der Vorwurf. Sie würden von oben nach unten regieren, absolutistisch und jakobinisch zugleich.

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Dieses Prachtgemälde kommt zustande, weil einige Fehlfarben verwendet werden. Beim Thema Heizung hat die Opposition nicht nur kritisiert, sondern auch mit falschen Informationen gearbeitet; bis heute wird die Warnung verbreitet, alle Heizungen müssten raus, sofort. Oder bei der Verkehrswende mit Autos: Anstatt über ein vernünftiges Ende der Verbrennermotoren zu diskutieren, jammern AfD und Teile von Union sowie gar der FDP, als ob übermorgen ein grüner Polizist vor der Garage steht und die Familienklitsche beschlagnahmt. Und wer sich darüber aufregt, kriegt einen verbalen Knüppel von der Sprachpolizei. Alles Mumpitz. Ausgedacht und dennoch effektiv.

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Infografik: Wer schneidet in der Ampel-Koalition am schlechtesten ab? | Statista
Infografik: Wer schneidet in der Ampel-Koalition am schlechtesten ab? | Statista

Lauter Nebenschauplätze

Denn das Problem der Grünen ist lediglich zweierlei. Zum einen sprechen sie Wahrheiten aus, auch wenn sie unbequem sind. Und zum anderen suchen sie nach Lösungen für die Probleme, die sich aus diesen Wahrheiten ergeben. Das mag arrogant klingen. Ändert aber trotzdem nichts.

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Mit einem Mangel an Lösungsorientiertheit aber lassen sich Wählerstimmen binden. Um diesen indes zu kaschieren, dichtet man eine Öko- und Moraldiktatur zusammen. Wenn man schon nicht für etwas ist, dann wenigstens gegen etwas, wenn auch Ausgedachtes. Denn der Wähler, dieses scheue Wesen, vergisst bestimmt schnell…

…die Grünen macht derzeit eine um sich greifende Null-Bock-Mentalität zu schaffen. Klimawandel: Wird mir zu viel. Digitalisierung: Ist mir zu kompliziert. Bisher Entrechtete mucken auf: Aber nicht in meinem Vorgarten. Diese Selbstvergessenheit sieht wenig berauschend aus. Unsexy will man aber auch nicht sein. Und so können sich Nicht-Veränderer zu Freiheitskämpfern stilisieren. Nur haben sie vergessen, dass sich einiges ändern muss, damit es bleibt, wie es ist. Und andere Veränderungen, zum Beispiel die vielen Hitzetoten unter uns im Sommer der kommenden Wochen, kommen eh.

Einen Arroganzstempel wäscht man nicht leicht ab

Die Grünen können dagegen nur wenig unternehmen. Sie könnten eine Kampagne starten, nach der die Partei nicht vorhat, Latte Macchiato als tägliches Pflichtgetränk der Deutschen einzuführen. Sie könnten es aber auch sein lassen. Derzeit regen wir uns über wenig relevante Themen auf, beschäftigen uns mit ihnen. Dies versperrt den Blick auf Wesentliches. Aber die Populisten freut's. Was kümmert uns die Zukunft?