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Kommentar: Zum Jahrestag der Dresdener Bombennacht sollte die AfD sich ehrlich machen

Eine Frau legt am Mahnmal für die Bombentoten vom Februar 1945 in Dresden Blumen nieder. (Bild: REUTERS/Matthias Rietschel)
Eine Frau legt am Mahnmal für die Bombentoten vom Februar 1945 in Dresden Blumen nieder. (Bild: REUTERS/Matthias Rietschel)

Der Kreisverband taucht in die Geschichte ein. Aber was will er daraus lernen?

Ein Kommentar von Jan Rübel

Angeblich sind Hitler und die Nazis nur ein Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte, wie es Alexander Gauland formulierte. Da sollte der AfD-Fraktionschef im Bundestag mal auf die Website des Dresdener Kreisverbands seiner Parteifreunde schauen. Die kommen aus diesen zwölf Jahren zwischen 1933 und 1945 kaum wieder raus. Wobei: Eigentlich beschäftigen sie sich nur mit dem letzten Jahr.

Die Stadt Dresden erinnert an den 75. Jahrestag einer ihrer schlimmsten Nächte. Vom 13. auf den 14. Februar 1945 bombardierten Kriegsflugzeuge der Alliierten die Stadt, das „Elbflorenz“ wurde stark getroffen, Tausende Menschen starben: in den Kellern, auf der Straße.

Aus Sicht der Alliierten war Dresden ein wichtiger Stützpunkt, mit einer Bahnlinie zu den Truppen an der Ostfront und eine Absicherung Berlins. Aus Sicht der Dresdener starb in jener Nacht die Hoffnung, ungeschoren aus diesem Krieg herauszukommen.

Aus heutiger Sicht erscheinen die massenhaften Bombardierungen als Kriegsverbrechen, damals aber war es die Antwort auf eine einzige Reihe furchtbarer deutscher Kriegsverbrechen, für die Alliierten bestand ein militärischer Zweck. All dieses Abwägen hilft den Opfern nicht.

Und da ist ein Gedenken der Hinterbliebenen natürlich. Nur bleibt die AfD auf halbem Wege dabei stehen.

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Die Website des Dresdener Kreisverbands zeigt mit ihrem Aufschlag sechs Foto-Buttons. Vier von ihnen handeln von 1945.

„Es ist ein trauriger Anlass, der zur Mahnung ruft und die Dresdner immer wieder umtreibt“, schreibt der Kreisvorsitzende André Wendt. Dem ist zuzustimmen, auch wenn eine Konkretisierung zu begrüßen wäre, welche Mahnung er meint. Doch dann wird es komisch. Vorher schreibt Wendt noch von „gezählten und ungezählten“ Opfern. Auf den ersten Blick verstehe ich diese Unterscheidung nicht – Opfer bleibt doch Opfer. Weiter unten dann erklärt Wendt, was er meint, wenn auch gewohnt hinreichend unscharf: „Jedes Jahr aufs Neue beginnen die Diskussionen über Opferzahlen, Schuld und den Missbrauch für tagespolitische Zwecke.“

Echt jetzt, wer ist damit gemeint?

Nun, ernst und wörtlich genommen kann Wendt nur seine eigene Partei damit meinen. Diskussionen über Opferzahlen BEGINNT die AfD, und zwar jedes Jahr aufs Neue. Diesmal preschte gar der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla vor, der sagte: Er gehe von 100.000 Toten aus. Warum? „Meine Oma, mein Vater und andere Zeitzeugen haben mir von vollen Straßen vor dem Angriff und Leichenbergen nach der Bombennacht berichtet.“ Niemand von ihnen glaube an die Zahl von 25.000 Toten.

Nun, eigentlich finde ich diese Zahlenhuberei an sich widerlich – als würden 25.000 Brandtote nicht ausreichen für eine Erschütterung. Doch Chrupalla entscheidet sich bei der Wahl zwischen Glauben und Fakten für das Erste. Die Dresdner Archive sind gut geordnet. Geburten, Todesfälle, auch die der Bombennacht von 1945, sind erfasst. Historiker gingen den Spuren jener entsetzlichen Nacht nach – und sie kommen auf 25.000 Tote. Die von Chrupalla in den luftleeren Raum gestellten angeblich 100.000 Toten hätten dann keine Verwandten gehabt, keine Freunde oder Nachbarn. Keinen, der etwas erben wollte. Man suchte trotzdem nach bisher nicht aufgespürten Überresten und fand nichts. Die bisherigen Erfahrungen mit Massenbombardements und Feuerstürmen zeigen auch auf: „Verbrennen“, also unsichtbar werden, können so viele Menschen nicht. Nicht einmal annäherungsweise.

Tino Chrupalla von der AfD. (Bild: Jens Schlueter/Getty Images)
Tino Chrupalla von der AfD. (Bild: Jens Schlueter/Getty Images)

Ob der AfD-Frontmann es will oder nicht: Er betet ein Märchen nach, das Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels kurz nach der Bombennacht in die Welt setzte, um den Horror vor den Kriegsgegnern zu bestärken; schließlich verkaufte er die Angriffe als „Terror“. Dabei waren sie scheußlicher Krieg.

Es ist also die AfD, die solche ekligen Debatten beginnt. Und was ist mit der Schuld? Den Hinweis, dass Dresden im Februar 1945 Gefängnisse voller unschuldiger Opfer des Regimes hatte, Zwangsarbeiterlager und Außenstellen von Konzentrationslagern, finde ich bei Wendt nicht. Es bleibt die AfD, welche „Missbrauch für tagespolitische Zwecke“ betreibt, ganz in den womöglich unfreiwilligen Worten ihres Dresdner Kreisverbandsvorsitzenden.

Ein weiterer Blick auf die AfD-Seite macht Staunen. Da gibt es einen Bericht über den Untergang des Vergnügungsdampfers „Wilhelm Gustloff“, der sich auch zum 75. Mal jährt: Damals starben über 9000 Menschen, geflohene Deutsche aus dem Osten; das Schiff war von einem sowjetischen U-Boot beschossen worden und wurde für die Insassen zum Grab.

Die Sache mit der Bürde

Zuerst fand ich es gut, dass die AfD darüber schreibt. Ich hatte mich generell gewundert, wie wenig über diese Tragödie in den Medien in diesem Jahr berichtet wird. Zwar ist die Versenkung nicht „die größte maritime Katastrophe aller Zeiten“, wie es die AfD umschreibt, schließlich gab es schon in der Antike schlimmere Seeschlachten – aber bezogen auf ein einziges Schiff ist es die bisher verlustreichste Katastrophe der Schifffahrt. Mit Zahlen an sich scheint es die AfD nicht zu haben. Das Motiv des Autoren schimmert recht bald durch: „Den getöteten Zivilisten bis heute eine abstrakte Mitschuld zu geben, kommt einer Verhöhnung der Opfer und deren Angehörigen gleich“, schreibt er. Wer macht denn sowas? Eine Menge der Toten von der Gustloff werden eine abstrakte Mitschuld an der Entstehung und Aufrechterhaltung der Nazi-Herrschaft gehabt haben, nicht aber für den Befehl des russischen U-Bootkapitäns, die Torpedos zu lösen. Und: Verhöhnen, das findet immer auf der persönlichen Ebene ab, nicht auf der abstrakten.

Kommentar: Kemmerich - der eingeplante Glücksfall der AfD

Die Geschichte der Gustloff hat mich auch bewegt, weil die Familie meiner Mutter eigentlich mit diesem Schiff fliehen sollte. Man hatte schon Plätze reserviert bekommen, nur hielt die Krebserkrankung meines Ur-Opas die Familie auf – und rettete ihr das Leben. Daher verstehe ich nicht, was die AfD eigentlich will. Am Ende fabuliert der Autor: „Aus der Geschichte lernen heißt nicht, Teile davon als Bürde bis in die heutige Zeit tragen zu müssen.“

Bestenfalls offenbart er damit, nichts verstanden zu haben. Was wir von unserer Geschichte aus 1933 bis 1945 lernen, ist vor allem eine Verantwortung. Wir Nachgeborenen können keine Schuld tragen, und niemand schwätzt uns sowas auf. Eine Bürde indes sind „Teile davon“ schon. Allein die Traumatisierungen unserer Großeltern und Eltern wirken sich auf uns und auf unsere Kinder aus – und das trägt nichts Gutes in sich; die AfD sollte mal Psychologen konsultieren.

Kann es sein, dass diesen AfD-Autoren das Reden über die Vergangenheit unangenehm wird, sobald es um die Anerkennung von Fakten geht? Betreiben sie deshalb solch einen Budenzauber um Zahlen?

Die Selbstgerechtigkeit von einigen Teilen in Dresden widert mich an. Dieser Übergang von echtem Gedenken hin zu Opfermythos ist verlogen. Und um echtes Trauern geht es dann auch nicht mehr. Das ist der Vogelschiss der AfD, der größer ist als der von einem Albatros.

Im Video: Dresden gedenkt der Bombenangriffe vor 75 Jahren: