Kommentar zur GroKo nach Hessen: Barfuß oder Lackschuh?

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) (Bild: Reuters)
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit Finanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) (Bild: Reuters)

Nach den Wahlen in Hessen steht die Große Koalition vor einem Scherbenhaufen. Kanzlerin Merkel zieht nun Konsequenzen und gibt den CDU-Vorsitz ab. Vor allem aber für die SPD entwickelt sich die GroKo zur Schicksalsfrage. Dabei geht es eigentlich um eine simple Entscheidung: Augen zu und durch oder Abbruch und alles neu. Zwei Szenarien.

Ein Kommentar von Moritz Piehler

Die Wahlen in Bayern, bei denen Union und SPD von den Wählern empfindlich abgestraft wurden, sind kaum vorbei, da kommt auch schon der nächste Tiefschlag. Auch in Hessen verloren die beiden traditionellen Volksparteien sehr deutlich, jeweils um die elf Prozent im Vergleich zu den vorherigen Wahlen.

Wie in Bayern wird das Ergebnis von den Landesparteien auch als Reaktion auf die Unzufriedenheit der Wähler mit der Arbeit der Bundesregierung gedeutet. Was also bedeutet die Wahlschlappe für die Große Koalition auf Bundesebene?

Merkel erkennt Zeichen der Zeit

Auch wenn die eigene Basis immer lautere Kritik an der GroKo äußert, war es für die Union bisher noch etwas einfacher, trotz der schlechte Ergebnisse auf einem “Weiter so” zu beharren. Das ist unter Merkel ja ohnehin schon vom Mantra zum Wahlslogan geworden. Doch nach Hessen scheint jetzt auch die Bundeskanzlerin die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Am Montagmorgen verkündete sie, nicht mehr für den Parteivorsitz zu kandidieren. Ursprünglich hatte sie vor, beim Parteitag im Dezember in Hamburg erneut anzutreten. Jetzt kam der überraschende Rückzug, der das Ende der Ära Merkel einleitet.

Vielleicht gerade noch rechtzeitig. Denn noch geht die CDU halbwegs unversehrt aus den Wahlschlappen hervor. Auch in Hessen wird sie vermutlich an der Regierungsbildung beteiligt sein und den Ministerpräsidenten stellen, weil sie nach wie vor die stärkste Partei bleibt, auch wenn die Ergebnisse mittlerweile weit von alten Mehrheiten entfernt liegen. Dass die Christdemokraten etwas weniger aufgerüttelt sind als die SPD, liegt vor allem auch an den großen Wahlgewinnern der beiden Landtagswahlen.

Angela Merkel tritt den Rückzug an (Bild: AFP Photo)
Angela Merkel tritt den Rückzug an (Bild: AFP Photo)

Die Grünen konnten sich sowohl in Bayern, als auch in Hessen deutliche Zugewinne sichern, größtenteils aus dem Lager ihres ehemaligen Koalitionspartners SPD. Von dem haben sie sich aber inzwischen unabhängiger gemacht und sind deshalb auch für die CDU zur Alternative geworden. Sollte es beim vorläufigen Endergebnis in Hessen bleiben, wäre es das erste Mal, dass eine schwarz-grüne Koalition bestätigt wird. Das sind vor allem noch mehr schlechte Nachrichten für die SPD, denn sollte das Schule machen, sind die Sozialdemokraten auf absehbare Zeit in die Opposition verdammt. Möglicherweise auch ein Grund dafür, warum der Bruch mit der GroKo auf Bundesebene so ein schwieriger Schritt zu sein scheint.

Das Dilemma der SPD

Klar dürfte mittlerweile aber eben auch sein, dass sich die Sozialdemokraten mit einem Verbleib in der GroKo keinen Gefallen tun. Sie haben sich unter Nahles mit dem mürrischen Einverständnis zur Koalition mit der CDU nach langem Hin und Her in eine äußerst missliche Lage manövriert. In der momentanen Situation müsste die logische Konsequenz eigentlich sein, die Stimmung unter den Wählern und in der eigenen Basis ernst zu nehmen und sich aus der GroKo zu verabschieden. Das hätte aber so gut wie sicher unmittelbare Neuwahlen zur Folge. Ein ziemlich riskantes Glücksspiel für die SPD.

Würde der Ausstieg aus der GroKo bei den Wählern so gut ankommen, dass die SPD wieder Punkte dazu gewinnen würde? Oder wäre das Gegenteil der Fall, dass ihr das Platzenlassen der Regierung auf die Füße fallen würde und möglicherweise weitere Wählerabwanderungen in Richtung Grüne und Linke der Preis wären? Dazu kommt die Sorge, dass ein Auflösen der GroKo den rechten Rand der Politikverdrossenen in der AfD weiter stärken könnte. Nach der Bundestagswahl im vergangen Jahr wurde recht deutlich, dass die SPD mit ihrem zunächst klaren Nein zur GroKo Sympathiepunkte zurückgewinnen konnte. Nur folgte danach eben das Zurückrudern und die Bestätigung des Images einer Partei ohne Rückgrat und Profil.

Andrea Nahles hadert nun schwer mit den Einzug in die GroKo (Bild: AFP Photo)
Andrea Nahles hadert nun schwer mit den Einzug in die GroKo (Bild: AFP Photo)

Andrea Nahles und ihrer Partei stehen schwierige Wochen bevor. Die ersten Reaktionen nach der Hessenwahl waren sehr vom Frust im Lager der Genossen geprägt. Nahles versuchte bereits, diesen ein wenig aufzufangen, indem sie Forderungen an die CDU stellt. Eine Halbzeitbilanz will sie ziehen und droht auch deutlich mit dem Austritt aus der GroKo. Der eigene Generalsekretär Lars Klingbeil schwächte dann aber direkt schon wieder ab und ließ verlauten, dass er weder das Aus der Großen Koalition, noch baldige Neuwahlen bevorstehen sehe.

Die Vizevorsitzende Malu Dreyer hingegen fordert, sich klar von der CDU zu distanzieren und findet, man sei in den Koalitionsverhandlungen zu nachsichtig gewesen. Schon ist das Dilemma der SPD wieder klar erkennbar. Die Partei schlingert kurslos durch ihre Regierungszeit und versucht nur noch zu reagieren, um den Fall etwas zu bremsen. Bisher geschieht das ziemlich erfolglos.

Die Risiken des GroKo-Bruchs

Das große Risiko bei einem Bruch der aktuellen Regierungskoalition sind unübersichtliche Mehrheitsverhältnisse. Vor Zuständen wie in der Weimarer Republik wird da bereits gewarnt, in der unzählige Splitterparteien das Regieren nahezu unmöglich machten. Sicher ist gerade nur, dass bei Neuwahlen das klare System der beiden Volksparteien plus kleiner möglicher Koalitionspartner so nicht mehr existieren würde.

Bei der aktuellen Sonntagsfrage läge die CDU mit 24% vorne, die Grünen mit 20% dahinter, dann SPD und AfD gleichauf bei 14% und Linke und FDP sind mit jeweils 10% ebenfalls noch ernstzunehmende Partner oder Opposition. Diese Konstellation muss aber kein Drama sein. Die abgebildete Vielfalt könnte durchaus für eine belebte politische Diskussionskultur im Bundestag sorgen, wie mancher sie schon bei einer möglichen Minderheitsregierung der CDU im Frühjahr erhofft hatte. Bislang aber schrecken beide Koalitionspartner davor zurück und laufen so sehenden Auges weiter ihren Weg und lassen den Status der ehemaligen Volksparteien der alten Bundesrepublik dabei weit hinter sich.

Neben der AfD stehen nach den Erschütterungen des Parteienspektrums vor allem die Grünen auf der Gewinnerseite (Bild: Reuters)
Neben der AfD stehen nach den Erschütterungen des Parteienspektrums vor allem die Grünen auf der Gewinnerseite (Bild: Reuters)

Im nächsten Herbst steht eine ganze Reihe von Wahlen im Osten an. Im September wählen Brandenburg und Sachsen einen neuen Landtag, im Oktober folgt dann Thüringen. Vor den drei Landtagswahlen im kommenden Jahr könnte die CDU die Chance, die Merkels Abtritt bietet, nutzen und sich neu definieren – auch im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der AfD. Bleibt die junge Partei weiter ein No-Go für die Christdemokraten? Oder kann sich der rechtskonservative Flügel der Union eine Zusammenarbeit vorstellen?

Für die Sozialdemokraten stellt sich die Richtungsfrage aber schon jetzt. Momentan ist die SPD noch an allen drei Landesregierungen dort beteiligt, in fast allen denkbaren Konstellationen. Sich aber bis zum Herbst 2019 Zeit zu lassen und neu zu ordnen, hat die SPD nicht. Das haben die Wahlen in Hessen einmal mehr gezeigt. Und so bleibt die entscheidende Frage der nächsten Wochen: Quo vadis, GroKo?

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