Kommentar zur Terrorattacke in Christchurch: Echtes Mitgefühl lässt sich nicht teilen

Kerzen, um der Opfer von Christchurch gedenken. (Bild: Vincent Thian/AP)
Kerzen, um der Opfer von Christchurch gedenken. (Bild: Vincent Thian/AP)

Die Terrorattacke im neuseeländischen Christchurch macht gewisse Mitbürger schmallippig. Da passt was nicht zum Empathiekonzept.

Ein Kommentar von Jan Rübel

Geschehen furchtbare Taten mit gewaltsam zu Tode gekommenen Menschen, sollte es keinen Wettlauf der Trauerbekundungen geben. Auf die Stoppuhr muss nicht zu schauen sein, wer wann sich meldet. Auf die Geste kommt es an, auf den Inhalt.

Doch was sich im Schatten der Terrorattacke im neuseeländischen Christchurch vollzieht, lässt tief blicken. Terror ist politisch, da bedarf es einer Einordnung von Politikern. Doch damit haben manche Zeitgenossen ein echtes Problem. Oder haben sie ein Problem mit ihrer Empathie?

Die Taten von Christchurch sind klar beschreibbar: Der Festgenommene hat eine strukturierte Öffentlichkeitsarbeit geleistet, damit er nicht missverstanden wird. Er handelte aus rassistischen Motiven, speziell islamfeindlichen. Er übertitelte seine Mordangriffe mit einer Art „Verteidigung“ gegen „Umvolkung“, also jener Warnung vor einem Anwachsen muslimischer Bevölkerungsteile in einem Ausmaß, dass da etwas „übernommen“ wird. Außerdem beschrieb der Täter Neuseeland und Australien als „Finger an der Hand Europas“ – das ist Quatsch, aber die von ihm geschlagene Brücke bedarf einer Entgegnung aus Europa, und vor allem von Leuten, die selbst oft von Umvolkung reden. Damit sind wir bei der AfD.

Mathe für Anfänger

Ich bin jetzt mal ganz oberflächlich und tue diese These von der Umvolkung ab. Erstens schießt sie zielsicher an der Wirklichkeit vorbei, weil sie Menschen in Blöcke zusammenpackt, die so nicht existieren: In Deutschland zum Beispiel gibt es nicht DIE weißen Christen als Block und die Muslime als anderen. Nur der fatale Wunsch nach Vereinfachung lässt solchen Mist fabulieren. Und zweitens ist auch das Geschwafel von der Zunahme muslimischer Populationen schlicht falsch. Das statistische Bundesamt vermerkt jede Geburt in Deutschland – und dokumentiert, wie sich Muslime in Deutschland beim Kinderkriegen dem allgemeinen Trend anpassen, also wie alle im Lauf der Jahrzehnte weniger Kinder kriegen. Man muss schon jegliche Gesetze der Mathematik auf den Mond schießen, um aus diesen Zahlen irgendwelche „Gewichtsverschiebungen“ herauszulesen.

So irre der Täter von Christchurch also auch ist, politisch gibt es eine Menge zu entgegnen. Doch dann sind wir bei der Stoppuhr.

Es dauerte schon merklich lange, bis Politiker der AfD auf den Anschlag reagierten. Ansonsten sind sie recht flink, zuweilen rutschen sie mit der Maus gar aus. Ein Statement gegen Islamfeindlichkeit kriegte ich nicht mit. Was nach dem Schweigen folgte, war inhaltloses Blabla.

Wie Jörg Meuthen und Alice Weidel auf die Terrorattacke in Christchurch reagierten, ist bezeichnend. (Bild: dpa)
Wie Jörg Meuthen und Alice Weidel auf die Terrorattacke in Christchurch reagierten, ist bezeichnend. (Bild: dpa)

Die Großkopferten äußerten sich bestürzt über den Terrorangriff. AfD-Chef Jörg Meuthen schrieb: „Was für eine feige und widerwärtige Tat! Mein ganzer Abscheu für den oder die Täter, mein tiefes Beileid den unschuldigen Opfern und ihren Hinterbliebenen. #Christchurch #Neuseeland“

Fraktionschefin Alice Weidel formulierte es so: „Ein unfassbarer Terroranschlag geschah gestern in #Christchurch, 49 Menschen verloren dabei ihr Leben, viele weitere wurden verletzt. Meine Gedanken sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Was sie durchleiden müssen, kann man sich nicht einmal ausmalen.“

Und der Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier: „Feiger und abstoßender Anschlag in #Neuseeland. Jeder einzelne Tote durch Terror ist einer zu viel. In Gedanken bei den Opfern und den Hinterbliebenen. #Christchurch“

Wortklauberei will ich an dieser Stelle nicht betreiben und mich nicht fragen, ob es einen Terrorangriff gibt, der nicht „feige“ ist und ob der dann irgendwie weniger schlimm wäre. Gemein ist diesen Bekundungen aber, dass sie das Kind nicht beim Namen nennen. Nicht den rechtsextremen Hintergrund des Täters, nicht den religiösen Hintergrund der Opfer. Warum keine Analyse?

Das ging schon mal schneller. Nach der Terrorfahrt vom Berliner Breitscheidplatz sprach AfD-Politiker Markus Pretzell, dem übrigens die Partei zu rechts geworden ist, von „Merkels Toten“. Oder als es in Münster eine Amokfahrt gab, die im Übrigen einen weitaus weniger politischen Zusammenhang ausdrückte, twitterte Beatrix von Storch sarkastisch: „Wir schaffen das“, in Anlehnung an die Worte Angela Merkels.

Ganz ehrlich: Solche Bekundungen finde ich feige. Eine Distanzierung vom Täter in Christchurch sieht anders aus.

Jetzt aber druff

Und dann gibt es natürlich die besonders Wagemutigen im speziellen Sinne, die sich an eine Umdeutung setzen. Der Berliner AfD-Abgeordnete Harald Latsch versuchte sich in einer Ohrfeige für Klimaschützer: „Unfassbare Tat! Den Angehörigen und Verletzten gilt mein Beileid. Der Täter von #Christchurch #Neuseeland rechtfertigt seine Tat mit Überbevölkerung und Klimaschutz. Die Klimapanikverbreiter tragen Mitverantwortung für diese Entwicklung #GretaThunberg“.

Latsch bemüht sich nicht um Mitgefühl, er schreibt die Geschichte gleich um. Auf Konsequenzen für seine Parteikarriere bin ich gespannt.

Nun gibt es bei Rechtspopulisten eine Sucht, immer einen drauf zu setzen. André Poggenburg ist ein ehemaliger AfD-Spitzenpolitiker, der nun seinen eigenen Weg geht, und dabei auf Schrilles setzt. In seiner ersten Reaktion auf die Terrorattacke entgegnete er der SPD-Chefin Andrea Nahles, welche die Angriffe auf Muslime beim Namen nannte: „Klar ist aber auch: Muslime, die deutsche Frauen angreifen, greifen auch uns alle an und das schon seit Jahren mittlerweile. Warum thematisieren Sie das nicht genauso deutlich!? #Arbeiterverräterpartei“

Tja. Bestenfalls hat Herr Poggenburg sich verhoben. Bestenfalls hat er keine Ahnung vom Unterschied zwischen Terrorismus und Mord. Bestenfalls kann er nicht bis zehn zählen. Bestenfalls hat er sich eine Wagenburg gebaut mit der Fertigkeit eines Kleinkindes. Bestenfalls ist jemand wie er dem Beruf des Politikers nicht gewachsen. Dann sollte er es auch lassen.

Inhaltloses Blabla gab es auch von Kramp-Karrenbauer. (Bild: Peter Kneffel/dpa via AP)
Inhaltloses Blabla gab es auch von Kramp-Karrenbauer. (Bild: Peter Kneffel/dpa via AP)

Am Ende dieser ruhmlosen Galerie hat nun eine Politikerin zu stehen, die mit der AfD nichts zu tun hat. Sie ist bekannt und einflussreich. Sie könnte demnächst Kanzlerin sein. Die Zeitungen titelten unlängst: „Kramp-Karrenbauer verurteilt Angriffe auf Moscheen“. Die CDU-Vorsitzende hat also, so dachte ich, die richtigen Worte gefunden. Doch in den Texten selbst wurde nur eine Twittermeldung von ihr zitiert, und die ging so: „Egal gegen wen sich Hass, Gewalt und Terror richten, am Ende sterben Menschen, verlieren Kinder ihre Eltern und Eltern ihre Kinder. Dafür kann es keine Erklärung und darf es nie Entschuldigung geben. Im Gedenken an Opfer in #christchurch nie einen Zweifel daran aufkommen lassen.“

Die Politikerin, die in letzter Zeit sich in klarer Sprache versucht und aneckt, die austeilt, nennt an dieser Stelle das Kind nicht beim Namen. „AKK“ schreibt inhaltloses Blabla. Man könnte auch sagen: Sie schreibt wie die AfD.