Kool Savas: "Ich war komplett wahnsinnig"

Kool Savas (41) ist schon so lange im Rap-Business, dass er niemandem mehr etwas beweisen muss. Trotzdem, oder gerade deshalb, legt er mit "Essahdamus" ein neues Mixtape hin, das vielleicht nicht jeder so erwartet hätte. Warum die Freiheiten auf einem Mixtape größer sind und er immer wieder seine Vergangenheit in seiner Musik verarbeitet, verriet er spot on news im Interview.

Warum haben Sie kein "klassisches Album" gemacht? Sind die Freiheiten auf einem Mixtape größer?

Kool Savas: Ich mache mich bei einem Album echt irre und denke ein wenig zu viel darüber nach. Bei dem Mixtape habe ich mir die Freiheit gelassen, zu machen, was ich möchte, in alle Richtungen zu gehen und viele Features darauf zu machen. Die Erwartungen sind nicht die gleichen wie an ein Album, wo eher 15 Solo-Songs erwartet werden.

"Candyman" ist so ein Beispiel - ein eher untypischer Song. Hätte dieser Track keinen Platz auf einem "reinen" Savas-Album?

Savas: Diesen Song hätte ich nicht auf ein Album gepackt. Er ist einfach komplett was anderes. Aber vielleicht würde es meinen Alben auch gut tun.

Die Liste der Gäste ist lang. Wie haben Sie die Leute ausgesucht, mit denen Sie etwas machen wollten?

Savas: Manche sind spontan über ein Telefonat entstanden, bei anderen hatte ich schon den einen oder anderen direkt im Kopf. Bei "Sneakers & Heels" zum Beispiel hatte ich sofort Milo (Milonair) im Kopf und mit Jones wollte ich ohnehin schon lange mal arbeiten und habe nur nach der passenden Gelegenheit gesucht.

Auch die legendäre Berliner M.O.R.-Crew (Masters of Rap) ist auf einem Song zu hören. Wie war es, mit Ihrer alten Crew aufzunehmen?

Savas: Für mich war es einfach schön, die alten Zeiten wieder aufleben zu lassen. Es hat sich so angefühlt, als hätten wir seitdem auch schon immer wieder zusammen Musik gemacht. Vielleicht machen wir auch wieder andere Sachen zusammen.

Kommen wir zum Titel. "Essahdamus", angelehnt an Nostradamus. Wieso trägt das Tape diesen Titel?

Savas: Fun Fact: Ich habe mich auf Twitter "Essahdamus" genannt und Leuten Tipps zu ihrem Leben gegeben. (lacht) Vielleicht auch grob fahrlässig, aber die Leute haben das schon als Spaß verstanden. Außerdem habe ich im Rahmen meiner Karriere oft weitsichtig gehandelt und auch Dinge gemacht, die andere Menschen vielleicht noch nicht sehen konnten. Schwer zu erklären. Du hast sozusagen eine Eingebung, ähnlich wie bei Nostradamus, dass das, was du jetzt machst, auch für die Zukunft gut sein könnte. Wie ein unsichtbarer Wegweiser, der immer da war. Und Gott sei Dank haben sich die "Prophezeiungen" auch bewahrheitet.

Nostradamus hat aber auch unter seiner "Gabe" gelitten. Gibt es da Parallelen zu Ihnen?

Savas: Ganz so krass sicher nicht. Aber es ist schon so, wenn du eine Begabung hast, die auf einem gewissen Level vielleicht außergewöhnlich ist, wirst du trotzdem mit den Leuten verglichen, die diese Begabung nicht haben. Deshalb bist du dann eher derjenige, der dafür angefeindet wird. Es ist Fluch und Segen zugleich. Aber ich bin schon so lange dabei, dass ich einige Epochen von Rappern, Trends und musikalischen Stilen durchgemacht habe. Immer wieder muss ich mich mit Menschen auseinandersetzen, die meinen, meine Zeit sei vorbei und ich solle den Thron freischaufeln und Platz machen. Da könnte man vielleicht von Leiden sprechen, aber auf einem ganz geringen Niveau. (lacht)

Bei dem Song "Auge" geht es beispielsweise um Neid. Ist das etwas, was im Rap weit verbreitet ist?

Savas: Ich glaube, es geht nicht nur um Neid. Neid ist ja auch immer ein Zeichen von Unzufriedenheit und in der Rap-Szene ist das sehr stark vertreten. Der Großteil der Rapper sucht sich für Dinge, die ihnen misslingen, immer einen anderen Schuldigen. Insofern wurde ich auch oft für Dinge verantwortlich gemacht, die nicht mein Bier und nicht mein Problem sind. Wenn man so eine Einstellung hat, kann da natürlich Neid entstehen. Viele werden sagen, Neid ist eine tolle Form der Anerkennung. Aber ich persönlich könnte darauf verzichten, weil dann eine negative Stimmung vorherrscht. Es geht nicht nur um Besitz, manchmal gönnt man etwas einer gewissen Person einfach nicht.

Natürlich müssen wir auch über den Track "Triumph" reden. Darauf ist neben Ihnen noch Azad und Sido zu hören. Wie kam es dazu?

Savas: Sido und ich waren beide der Meinung, dass es Zeit ist, endlich mal irgendwas zusammen zu machen. Wir wurden beide - komplett unabhängig voneinander - mit zwei verschiedenen Sounds erfolgreich und haben das Genre mitgeprägt. Und bei Azad ganz genauso. Ich für meinen Teil dachte mir, "was für eine geile Kombi". Auch vor dem Hintergrund, dass wir nicht alle pur deutsch sind und eine ähnliche Geschichte haben. Diese konnten wir in dem Song erzählen.

Das Cover des Albums steckt ja in dieser einen Zeile des Songs: "Saß im Zug mit meiner Mutter und paar Playmos in der Hand, wusste, höchstwahrscheinlich kehr ich nie zurück in dieses Land." Ist der Song so etwas wie der Titel-Track?

Savas: Ich könnte jetzt keinen einzelnen Song benennen, der das Album repräsentiert. "Triumph" ist eher ernst, aber es gibt viele Songs, die in eine andere Richtung gehen. Ich denke nicht, dass es einen Song geben muss, der das ganze Album beschreibt. Und auch ein Cover muss das nicht. Ich bin mir bewusst, dass es ein sehr wichtiger Song ist und gewissermaßen auch ein Aushängeschild.

Wurde die Geschichte des Songs auch deshalb auf dem Cover verbildlicht?

Savas: So mega bewusst war das nicht. Aber die Situation war eben sehr wichtig für mich und die Geschichte gibt genug her, dass ich daraus sowohl ein Cover, als auch einen Song machen konnte. Es gehört schon zusammen. Auch das Intro "Anekdoten aus Istanbul 2", das mein Opa spricht, hat damit zu tun.

Kurz zum Hintergrund: Ihr Vater wurde in der Türkei inhaftiert, weil er sich politisch engagiert hat. Daraufhin sind Sie mit ihrer Mutter zurück nach Aachen geflüchtet. Wie sehen Sie die Geschehnisse in der Türkei im Moment?

Savas: Es interessiert mich sehr. Aber dadurch, dass ich Verwandte und Bekannte in der Türkei und hier auch meine Familie und eine große türkische Community habe, habe ich für mich entschieden, mich nicht dazu zu äußern. Würde ich Stellung beziehen, wäre am Ende damit keinem geholfen. Ich halte das lieber privat und bespreche das mit Freunden und Familie.

Wann waren Sie das letzte Mal in der Türkei?

Savas: Das ist gar nicht so lange her. Anfang Juli.

Aber Sie hatten sich nach Ihrer Flucht doch sehr lange dagegen verwehrt, wieder in die Türkei zurückzukehren.

Savas: Das war wie eine Mauer, die durchbrochen werden musste. Als ich dann wieder dort war, war das Ganze aber gar nicht so spektakulär. Als Kind versteht man viele Sachen auch nicht und wehrt intuitiv gewisse Dinge ab. Vielleicht war die Reise ein wenig spät, aber es ist meiner Meinung nach nie zu spät, sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Denn wenn man die Verantwortung für die Vergangenheit abgibt, führt man ein ziemlich unverantwortliches Leben. Und das kann sehr, sehr gefährlich sein kann.

Ist das auch der Grund, warum Sie dieses Thema immer wieder in Ihrer Musik aufgreifen?

Savas: Das ist keine bewusste Entscheidung. Das ist ein emotionales Thema. Ich finde immer wieder Punkte in meinem heutigen Leben und in meinem Verhalten, wo mir bewusst wird, dass eine Beziehung zu dem besteht, was mir als Kind passiert ist. Das scheint bei mir so seine Spuren hinterlassen zu haben. Irgendwie habe ich daran doch noch zu knabbern. Ich möchte das jetzt auch nicht exorbitant aufplustern. Vielen Leuten ist etwas Ähnliches widerfahren. Aber als Kind hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass alles woran ich geglaubt hatte, weggebrochen ist. Es war damals auch unklar, ob mein Vater überhaupt zurückkommt. Ich war fünf Jahre lang in einer Schwebeposition. Ich hatte keine Gewissheit und nichts, mit dem ich mich auseinandersezten konnte. Diese Zeit hat viele meiner Denkmuster und Gefühlswelten so beeinflusst, dass es anscheinend immer wieder ein Thema für mich ist.

Kommt diese Selbstreflexion mit dem Alter?

Savas: Möglich. Das Privatleben hat sicher auch etwas damit zu tun. Ich bin ohnehin für die Leute jemand, der relativ jung geblieben ist. Als 20-Jähriger muss ich auf die Leute wie ein 14-Jähriger gewirkt haben. Ich war mega albern. Ich hab nur Quatsch gemacht. Ich lebe seit meinem 15. Lebensjahr alleine. Ich war komplett wahnsinnig und vollkommen von der Rolle. Das kann man sich heute gar nicht vorstellen, aber ich war ein kompletter Psychopath. Ich habe ein verrücktes Leben geführt und war vollkommen verantwortungslos. Da hatte ich gar nicht so viel Zeit, mir über Dinge Gedanken zu machen. Ich war auf jeden Fall YOLO.

Flucht ist ja momentan ein großes Thema. Ist der Song eine Art Statement zur aktuellen Lage?

Savas: Ich hoffe, dass er das sein kann. Es geht nämlich nicht um die klassische vom Tellerwäscher zum Millionär-Story. Denn das ist es genau nicht. Es geht darum, dass wir nicht bereit waren, den Stempel des Verlierers anzunehmen. Darum sagen wir ja: "Geboren um zu scheitern, doch leben wir für den Triumph". Wir haben Gott sei Dank für uns eine Perspektive gefunden. Wir haben etwas gefunden, mit dem wir uns verwirklichen konnten und das ist sehr wichtig. Es geht eben nicht darum, einfach zu sagen: "Gebt uns ein Zelt und etwas zu Essen", sondern etwas darüber hinaus. Das ist die eigentliche Integration. Insofern ist der Song sicherlich nicht nur ein Statement von uns persönlich, sondern vielleicht auch politisch.

Was kommt als nächstes bei Ihnen?

Savas: Im Januar gehe ich auf Tour und im Sommer werde ich sicher auch ein paar Festivals mitnehmen. Aber ich arbeite auch schon an einem weiteren Projekt, worüber ich jetzt aber noch nichts sagen kann. Es ist nicht alles hundertprozentig durchgeplant, aber die grobe Marschrichtung steht fest. Hauptsache ist, ich mache weiter Musik.

Foto(s): BMG Subword/ Katja Kuhl, Sony Music