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"Krieg als Fernsehshow": Schriftsteller gibt bei Lanz Einblick in russische Gesellschaft

Der russische Schriftsteller Dmitry Glukhovsky war zu Gast bei Markus Lanz und gewährte tiefe, teils verblüffende Einblicke in die Gesellschaft Russlands. Zu welchem Land hat sich Glukhovskys Heimat seit Putins Amtsantritt entwickelt?

Der russische Schriftsteller und Journalist Dmitry Glukhovsky war zu Gast bei Markus Lanz - und gewährte tiefe Einblicke in die russische Gesellschaft unter Putin. (Bild: ZDF)
Der russische Schriftsteller und Journalist Dmitry Glukhovsky war zu Gast bei Markus Lanz - und gewährte tiefe Einblicke in die russische Gesellschaft unter Putin. (Bild: ZDF)

"Einer der bekanntesten russischen Schriftsteller, spätestens seit 'Metro 2033": So kündigte Markus Lanz in seiner ZDF-Talkshow am späten Dienstagabend Dmitry Glukhovsky an. Es handele sich um einen Mann, "der so gut wie wenige andere beschreiben kann, welches Land Russland unter Putin geworden ist. Kein Staat mehr, sagt er, sondern eine Mafia-Organisation". Harte Worte, die Glukhovsky bei "Markus Lanz" aber ausgiebig mit Schilderungen aus seiner Perspektive unterfütterte. Der in Moskau geborene Autor gewährte dabei in der Tat einige erstaunliche Einblicke in die russische Gesellschaft.

Putin aus der Nähe "unbeeindruckend"

In seinem neuen Buch "Geschichten aus der Heimat" beschreibt einer der bekanntesten Dissidenten des Regimes unter anderem seine Begegnungen mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Vor 15 Jahren habe er bei Kremlin Pool gearbeitet, einer Gruppe russischer Journalisten, die akkreditiert sind, um über die Aktivitäten des Präsidenten Russlands zu berichten. Er "hatte die Gelegenheit, ihn von der Nähe zu beobachten". So sei der Politiker ("sehr klein und hat dünnes Haar") eher unscheinbar, die Treffen "fühlten sich sehr unbeeindruckend" an. Vor allem durch die Medien werde in Russland hingegen alles getan, um Putin als machtvoll wirken zu lassen. "Die Macht des Fernsehens ist unvergleichbar bei uns", erklärt der Schriftsteller und staunte angesichts eines Besuches im "ZDF-Headquarter", dass es keine bewaffneten Sicherheitsmänner gab.

"Bei uns wird das Hauptstudio wie eine Militärbasis verteidigt", erklärte Glukhovsky und berichtete: "Die Menschen, die Fernsehen kontrollieren, können jede Sache erzählen, und die Leute sind überzeugbar." Wenn es das Fernsehen in Russland nicht gäbe, hätte Putin keine so machtvolle Erscheinung - was auch für zukünftige russische Präsidenten gelte, sagte Glukhovsky. Es sei sehr wichtig, "Fernsehen zu kontrollieren, Propaganda zu kontrollieren." Trotz der Mobilmachung haben die Bürgerinnen und Bürger großes Vertrauen in die russischen Medien.

Die russische Bevölkerung habe laut Dmitry Glukhovsky Angst:
Die russische Bevölkerung habe laut Dmitry Glukhovsky Angst: "Die Leute in Russland, die wissen das. Sie wissen ganz genau, dass sogar eine wirkliche Opposition, ein wirklicher Widerstand, Straflager kriegen kann." (Bild: ZDF)

 

"Die Russen haben Angst vor dem Staat"

Aber befürwortet Russlands Bevölkerung eigentlich den Angriffskrieg? "Vor der Mobilmachung konnte die Mehrheit der Russen den Krieg als Fernsehshow beobachten. Patriotisch, atemberaubend, begeisternd - aber eben nur als Fernsehshow", erklärte Glukhovsky. "Die Russen sind sehr konform, weil sie Angst vor dem Staat haben, und wollen keinen Widerstand zeigen." Im Laufe der letzten 20 Jahre, unter Putins Regime, hätten die Menschen gelernt, dass jeder Widerstand bestraft werde. Der Schriftsteller selbst steht auf der Fahndungsliste, weil er den Krieg als "Krieg" bezeichnet hat. Würde er nach Russland einreisen, so Glukhovsky, müsste er bis zu 15 Jahre im Straflager absitzen.

"Die Leute in Russland, die wissen das. Sie wissen ganz genau, dass eine wirkliche Opposition, ein wirklicher Widerstand, Straflager kriegen kann. Die Erinnerungen von Stalin-Zeiten leben in ihren Familien", erklärt er. "Deswegen wollen die Leute nicht zeigen, dass sie gegen den Krieg sind. Sie wissen genau, was die Meinungsforscher von ihnen erwarten."

"Die Ukrainer scheinen militärisch nicht besiegbar zu sein"

Bei Lanz wurde auch darüber gesprochen, wie deutsche Medien mit der Angst der Bevölkerung angesichts der aktuellen Situation umgehen. "Ich glaube, mit Zuschriften in Redaktionen ist es so ähnlich wie mit Zuschriften in Parteizentralen", erklärte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der am Dienstagabend ebenfalls bei Markus Lanz zu Gast war, um als Regierungsvertreter über die gewaltigen Herausforderungen dieser Zeit zu sprechen. "Man merkt es auch in den Gesprächen: Das spielt schon eine Rolle." Natürlich wollen die Politikerinnen und Politiker ihrer Bevölkerung garantieren, dass alles besser werde. "Aber dann überlegen die für sich auch: Verspreche ich eigentlich gerade zu viel?"

Die Kämpfe in der Ukraine gehen unterdessen weiter, die Bevölkerung möchte mit aller Kraft ihre Heimat verteidigen. "Es gibt auch keinen Grund, aufzuhören", konstatierte Christian Mölling, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, und bot Markus Lanz damit eine Steilvorlage. "Es gebe schon einen guten Grund aufzuhören: damit keine Menschen mehr sterben in diesem grauenvollen Krieg. Aber aus russischer Sicht gibt es wahrscheinlich keinen Grund aufzuhören", warf der Moderator ein.

"Aus der Vergangenheit" würde man wissen, so betonte der Sicherheitsexperte, dass die Menschen nach Kriegsende in den russischen eroberten Gebieten nicht mehr in Sicherheit wären. Eine "positive Nachricht" könne man als Beobachter trotzdem aus der jüngsten Entwicklung ziehen: "Die Ukrainer scheinen offensichtlich militärisch nicht besiegbar zu sein." Deswegen sei es für Russland die beste Idee, sich zurückzuziehen und Friedensverhandlungen vorzubereiten.

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