Kriegsmarine statt Kreuzfahrtschiffe - Zweites Standbein: SPD und Grüne wollen Meyer Werft zum Rüstungsbauer machen
Soll der Staat den Bau von Monsterschiffen übernehmen? Welche Ursachen wirklich zur Krise der Meyer Werft in Papenburg führten. Staat und Politik spielen dabei laut Kreuzfahrt-Spezialist Wolfgang Meyer-Hentrich eine fragwürdige Rolle.
Meist wird ihr Name in einem Atemzug mit ihrem idyllischen niedersächsischen Standort erwähnt und fast jeder kennt die spektakulären TV-Bilder, bei denen riesige Kreuzfahrtschiffe von Papenburg über die schmale Ems zum Meer geschleppt werden. Der Name Meyer Werft stand für Zuverlässigkeit, Qualität und Erfolg.
Doch schön länger schreibt die Meyer Werft Verluste. Fachleute hat es deshalb nicht gewundert, doch große Teile der Presse scheint es überrascht zu haben, dass die Meyer Werft vor dem Bankrott steht und ohne die von der Bundesregierung und dem Land Niedersachsen in Aussicht gestellte Staatshilfe nicht mehr überleben kann. Kanzler Olaf Scholz bezeichnete die Großwerft als ein „Kronjuwel“, bewertete sie als „systemrelevant“ und versprach Rettung auf Kosten des Steuerzahlers. Scholz wies darauf hin, dass einschließlich der Zulieferindustrie etwa 20.000 Arbeitsplätze von der Werft abhängig sind.
Vor allem die Corona-Krise, so der Tenor, habe das Unternehmen in die Knie gezwungen: Schiffe wurden unter Quarantäne gestellt, Reisen abgesagt, Aufträge verschoben. Dazu stark gestiegene Materialpreise wegen unterbrochener Lieferketten und gestiegener Energiekosten. Die Nachrichten suggerieren, dass ein deutsches Musterunternehmen unschuldig in Not geraten ist, und Bund und Land jetzt als weiße Ritter daherkommen, um die Zukunft des Unternehmens und alle Arbeitsplätze zu retten.
Aber stimmt das wirklich? Ist dieses Unternehmen tatsächlich unschuldig in schweres Wasser geraten? Ist es richtig, dass der Staat als 80-Prozent-Mehrheitseigner einsteigt, ohne die moderne Kreuzfahrtindustrie in Frage zu stellen? Und trifft es zu, dass der Staat keine andere Wahl hat? Oder verfolgt er möglicherweise ganz andere Absichten, als er vorgibt? Fragen, die es wert sind, etwas genauer hinzuschauen.
Der Aufstieg einer Werft
Bis zur Corona-Krise strotze die Meyer Werft nur so vor Kraft und Selbstbewusstsein. Der ungeheuerliche Boom des Kreuzfahrtwesens hatte die Familienwerft aus Papenburg zu einer der ganz Großen der europäischen Werftindustrie wachsen lassen. Mit Hilfe von Aufträgen aus den USA. In den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts nämlich erlebte die US-amerikanische Kreuzfahrtindustrie mit neuartigen Schiffen und Unterhaltungskonzepten nach Las Vegas Vorbild eine sensationell erfolgreiche Entwicklung. Die Marktführer aus den USA suchten fieberhaft nach neuen Schiffsbauern, um die Bedürfnisse des überbordenden Markts zu befriedigen. Dafür mussten sie sich in Europa umschauen. Denn nur dort war man in der Lage, Schiffe zu bauen, die ihren Ansprüchen genügen konnten.
Auf Grund ihrer Erfahrungen erhielt die Meyer Werft schon früh Aufträge von amerikanischen Kreuzfahrtunternehmen. Zunächst ging es nur um Schiffe für den heimischen US-Markt, der den dortigen Kreuzfahrtkonzernen aber bald zu eng wurde. Anfang dieses Jahrhunderts fingen sie an, systematisch auch den lahmenden europäischen Kreuzfahrtmarkt zu erobern. Es dauerte nicht lange, bis die Begeisterung für die Massenkreuzfahrten neuen Stils nach Europa überschwappte. Preiswerte Kreuzfahrten wurden auf einmal populär und ein wichtiger Teil des Massentourismus.
Der riesige Bedarf an Großschiffen für die US-amerikanischen Kreuzfahrtkonzerne verhalf der Meyer Werft dazu, schnell zu einer großen Adresse der europäischen Werftindustrie zu werden. Der Bau riesiger Kreuzfahrtschiffe wurde zum Markenzeichen der Meyer Werft. Während andere Werften an den deutschen Küsten ihren Niedergang erlebten hatten die Manager der Meyer Werft auf ein Marktsegment gesetzt, das endloses Wachstum in Aussicht stellte.
Je größer die Schiffe, je besser die Auftragslage, desto mehr schwollen die Gewinne an. Vor der Corona-Krise kostete ein Schiff für 4000 Passagiere etwa 500 Mio. Euro. Ein solches Schiff erwirtschaftet jährlich einen Umsatz von ca. 400 Mio. Euro. Innerhalb von 4 Jahren konnte so ein Schiff komplett abbezahlt werden. Die Nachfrage nach den profitablen Megakreuzern wurde immer überhitzter; die Auftraggeber überboten sich gegenseitig, um neue Schiffe zu ergattern.
Technische Meisterleistungen
Die Fertigstellung der hochkomplexen Kreuzfahrtgiganten ist eine ingenieurwissenschaftliche, industrielle und schiffbauliche Meisterleistung, die höchste Standards und höchste Anforderungen an Personal, Management, Technik, Material und Logistik voraussetzt. Die Produktionsgeheimnisse, die hinter einer solch anspruchsvollen Fertigungsstrategie stehen, werden deshalb mindestens genauso streng unter Verschluss gehalten, wie es bei der Rezeptur von Coca Cola der Fall ist.
Um das Ausmaß der Megaschiffe zu begreifen: Ein Kreuzfahrtschiff für 6000 Passagiere entspricht in etwa dem Volumen des Empire State Buildings. Dieser Raumkörper kreuzt dann als schwimmende Ferienanlage durch die Meere und erreicht dabei auch noch Geschwindigkeiten von über 40 km/h. Dass dies nicht ohne enormen Energieaufwand möglich ist, liegt auf der Hand.
Neben der Meyer Werft können in Europa nur die Werft Chantiersd’Atlantique (zwischenzeitlich STX France S.A) aus St. Nazaire in Frankreich und die Fincantieri Werft aus Italien solche Großschiffe bauen. Fincantieri wurde 1959 als Staatsunternehmen gegründet. Auf den verschiedenen Werften des Konsortiums wurden Tanker, Fracht- und Personenschiffe, vor allem aber auch Kriegsschiffe gebaut. Italien ging damals davon aus, dass der Schiffsbau zur Erhaltung der nationalen Unabhängigkeit und der Wahrung seiner internationalen Interessen in die Hände des Staates gehört.
2017 übernahm Fincantieri 50 Prozent der Chantiers d’Atlantique, bei der der französische Staat 34 Prozent hielt. Auch Chantiers d‘Atlantiquebaute Kriegsschiffe sowie Fracht- und Personenschiffe. Geplant war, dass Fincantieri die französische Werft zu hundert Prozent übernehmen sollte. Alles schien in trockenen Tüchern, bis Corona dazwischen kam. Viele Auftraggeber mussten ihre Aufträge stornieren, die Übernahme kam nicht zustande. Stattdessen übernahm der französische Staat 2021 den 50 Prozent Anteil von Fincantieri und ist heute mit 84,3 Prozent Haupteigentümer der Werft.
Höhenrausch
Die Meyer Werft ist seit mehr als 200 Jahren in Familienbesitz. Über sieben Generationen kam sie mit sich verändernden Bedingungen zurecht und war überaus flexibel, sich auf neue Situationen einzulassen.
Im Laufe ihrer Geschichte war ihre Produktpalette so vielfältig, dass fast jede Art von Schiff irgendwann von ihr gebaut wurde. Sie war keine kleine Werft, aber auch nie eine ganz große. Erst der Kreuzfahrtboom katapultierte sie in die erste Liga der europäischen Anbieter. Da nun der Schwerpunkt auf den Bau der neuen Mammutschiffe gelegt wurde, entstand eine existenzielle Kooperation mit den Kreuzfahrtunternehmen. Dass man sich damit in Abhängigkeit brachte, störte die Manager nicht.
Die Kassen waren zum Bersten voll. Risiken wurden nicht gesehen, zumal die Auftragseingänge die Kapazität der Papenburger Werft bei weitem überstieg. Da der Kreuzfahrtmarkt außerdem immer größere Schiffe verlangte, musste man sich auch wegen der limitierten Möglichkeiten der Emsüberführungen nach neuen Produktionsstandorten umschauen. 1997 übernahm die Meyer Werft die Neptun Werke in Rostock.
Und im August 2014 stieg sie mit 70 Prozent bei der finnischen STX-Werft Turku ein, die sich ebenfalls auf den Bau großer Kreuzfahrtschiffe spezialisiert hatte. 2015 wurde der Anteil auf 100 Prozent aufgestockt. Der große Sprung nach vorne war geglückt. Gemessen an der Zahl der Aufträge war die Meyer Werft zur Nummer Eins der Kreuzfahrtschiffkonstrukteure geworden.
Ebenfalls 2015 wurde der Sitz der Meyer Holding nach Luxemburg verlegt. Ausschlaggebend dafür war die damit verbundene Steuerersparnis, aber auch die Tatsache, dass es in Luxemburg keines Aufsichtsrates mit Arbeitnehmermitbestimmung bedarf. Übrigens: Trotz gut gefüllter Kassen hatte der Konzern zwischen 2006 und 2016 über 27 Mio. nicht rückzahlbarer Zuwendungen aus Fördertöpfen des Bundes erhalten, bei denen es ausdrücklich um die Unterstützung der Kreuzfahrtsparte ging. Die Meyer Werft befand sich im Höhenrausch. Alles lief blendend und dem weiteren Wachstum schienen keine Grenzen gesetzt – bis 2020.
Rückschläge
Zu den ersten Corona-Toten, die weltweit Schlagzeilen machten, gehörten die Passagiere der Diamand Princess. Das Schiff wurde am 5. Februar 2020 in Yokohama unter Quarantäne gestellt. Die Covid Pandemie traf die Kreuzfahrtindustrie härter als die meisten anderen Branchen. Infektiöse Krankheiten breiten sich auf Kreuzfahrtschiffen rasend schnell aus. Die Kreuzfahrtunternehmen mussten ihr Geschäft fast vollständig einstellen. Da sie unter Billigflaggen von Steuerparadiesen fuhren, half ihnen kein Staat der Welt. Als die führenden amerikanischen Kreuzfahrtunternehmen den Präsidenten um Hilfe baten, verwies Trump auf ihre unpatriotische Haltung und bewilligte ihnen keinen Cent.
Den Kreuzfahrtkonzernen stand das Wasser bis zum Hals. Sie stornierten die Aufträge an die Werften und verkleinerten ihre Flotten, indem sie alte Schiffe abstießen.
Anders in Deutschland. Obwohl die Meyer Werft steuerlich in Luxemburg residiert, bekam sie vom Land Niedersachsen eine Corona-Hilfe in Höhe von 14 Mio. Euro. Doch das half nicht. Das Unglück nahm seinen Lauf. Konnte die Meyer Werft die Kosten für den Bau neuer Schiffe vor Corona aus eigener Kraft vorfinanzieren, riss nun die Finanzierungskette. Normalerweise zahlen die Auftraggeber 20 Prozent an. Die Restzahlung erfolgt dann bei Übergabe.
Doch Inflation, gestiegene Energie- und Rohstoffpreise und Lieferengpässe machten einen Strich durch die alten Rechnungen. Schiffe, deren Preis bei Vertragsabschluss festgeschrieben wurden, konnten deshalb nur mit hohen Aufschlägen fertig gestellt werden.
Der Staat als Retter?
Nach Corona boomt die Kreuzfahrtindustrie wie nie zuvor. Neue Riesenschiffe mit einem Wert von 11 Mrd. sollen in Papenburg gebaut werden. Aber trotz guter Auftragslage fehlt der Meyer Werft das Geld, um den Bau der Schiffe aus eigener Kraft vorzufinanzieren. Die Banken haben signalisiert, dass es keine Kredite ohne weitere Sicherheiten gibt. Wenn die Werft die neuen Aufträge stemmen will, braucht sie bis Ende 2027 fast 2,8 Mrd. Euro.
Der Bund und das Land Niedersachsen wollen der Werft nun beispringen. Die Details müssen zwar noch geklärt werden, doch der Bundeskanzler hat angekündigt, dass das Betriebskapital der Werft durch den Staat und das Land Niedersachsen mit einem Kredit von 400 Mio. aufgestockt werden soll. Dafür wollen Bund und Land vorläufig 80 Prozent der Meyer Werft übernehmen. Bis zur Rückzahlung der Kredite bzw. bis zum Rücklauf der staatlichen Anteile. Zudem soll es Kreditbürgschaften in Höhe von 2,15 Mrd. Euro geben.
Doch diese Kreditbürgschaften haben einen Haken. Einer der Hauptauftraggeber für die neuen Schiffe ist die amerikanische Kreuzfahrtreederei Carnival Cruises, die über 50 Prozent des Weltmarkts beherrscht. Wegen der Corona-Krise hat der Konzern aber Schulden in Höhe von 27 Mrd. Dollar aufgetürmt. Ein unsicherer Kantonist. Bei einer Nettogewinnerwartung des Auftraggebers im Jahr 2024 von 1,55 Mrd. Dollar hätte dieser im Falle unvorhersehbarer Komplikation keinerlei Puffer für die Rückzahlung der Schulden.
Da der deutsche Staat auch schon für frühere Carnival Aufträge bürgt, würde das Gesamtvolumen der alten und neuen Bürgschaften ca. 3,4 Mrd. Euro betragen. Im Fall eines Konkurses von Carnival Cruisesmüsste die Bundesrepublik in vollem Umfang in Haftung treten.
Obwohl kein einziges Kreuzfahrtschiff unter deutscher Flagge fährt, sehen Politiker aller Parteien in der Kreuzfahrtbranche noch immer eine moderne, zukunftsweisende Industrie und fördern sie in vielfältiger Weise. Hafenstädte stellen ihnen Landstromanlagen zur Verfügung, bauen Cruise Terminals und machen aufwendige Werbung für sie. Die Hamburg Cruise Days sind ein bekanntes Beispiel für solch eine aufwändige Dauerwerbeveranstaltung.
Stolz vermelden deutsche Städte noch immer den steilen Anstieg der Passagierzahlen in ihren Häfen, während andere Orte in Norwegen, Spanien, Italien, den Niederlanden oder Island sich gegen die Invasion von Kreuzfahrtpassagieren zur Wehr setzen.
Die Kreuzfahrtindustrie ist keine Zukunftsbranche, sondern hat sich zu einem Übel entwickelt, unter dem die Natur, Menschen und Städte zu leiden haben. Moderne Monsterschiffe mit vier-, sechs- oder achttausend Menschen an Bord, die als schwimmende Urlaubsanlagen über die Meere kreuzen, tragen dazu bei, die maritimen Ressourcen des Planeten in vielfacher Weise zu schädigen.
Nachhaltige Kreuzfahrtschiffe dieser Dimension kann es auch dann nicht geben, wenn es irgendwann gelingen sollte, umweltneutrale Brennstoffe einzusetzen. Die Kreuzfahrkonzerne zahlen keine Steuern, aber nutzen die Infrastruktur der Staaten für ihre Zwecke. Meist arbeitet das Personal dieser Schiffe weit unter dem Tarifniveau entwickelter Länder. Ist es unter diesen Umständen wirklich noch zeitgemäß, ihren Bau staatlich zu fördern?
Politik vor Wirtschaft?
Doch einiges deutet darauf hin, dass die Bundesregierung mit der einstweiligen Übernahme der Meyer Werft noch anderes im Schilde führt. Seit dem Ukraine-Krieg und der „Zeitenwende“ sucht sie nach Möglichkeiten, den Bau von Kriegsschiffen im eigenen Land zu optimieren. thyssenkrupp Marine Systems, der führende deutsche Konzern beim Bau von Unterseebooten und Marineschiffen, kann dies nicht allein bewältigen. In dieser Situation sucht die Bundesregierung nach einer Werft, die in der Lage ist, die modernen Hi-Tech Marineschiffe der Zukunft zu bauen.
Die Meyer Werft hat während der Coronakrise den Auftrag erhalten, zwei Marine-Tanker für die die Bundesmarine zu bauen. Das erste dieser Schiffe soll 2025 fertig sein. Die Grünen äußerten schon die Absicht, der Meyer Werft mit Militäraufträgen ein zweites Standbein zu verschaffen. So hat der grüne Abgeordnete Julian Pahlke in einem Interview darauf hingewiesen, dass die Meyer Werft in der Lage sein müsse, im Rahmen der Staatshilfe weitere Rüstungsaufträge zu übernehmen. Aber auch Politiker der SPD vertreten die Auffassung, dass die Meyer Werft geeignet sei, im Rahmen der Staatshilfe weitere Rüstungsaufträge zu übernehmen.
Was aus der Meyer Werft wird, liegt wohl nicht mehr in der Hand der Familie, die nur noch bis zum Abschluss der Verträge mit Bund und Land Eigentümerin ihrer Werft ist. Es gibt zwar die Option eines Rückkaufrechts, aber dass die Familie in einigen Jahren als alleinige Eigentümerin der Werft wieder den Kurs bestimmen kann, ist mehr als unwahrscheinlich.
Stattdessen zeichnet sich eine Kooperation oder Fusion mit thyssenkrupp Marine Systems ab. Die Zukunft der deutschen Werften dürfte in Zukunft mehr von der Politik als von der Wirtschaft bestimmt werden. Die staatszentristischen Positionen von SPD und Grünen würden dann sich einmal mehr durchsetzen.