Krisen überstehen - Psychologe gibt Tipps, wie Sie unsichere Zeiten meistern
Die Welt wird immer unberechenbarer, Krisen belasten uns zunehmend. Wie können wir trotz Stress psychisch und physisch gesund bleiben? Psychologe Niko Kohls zeigt Wege auf, gestärkt aus schwierigen Zeiten hervorzugehen.
Wie kann Resilienz dabei helfen, besser mit Stress in Krisenzeiten umzugehen?
Resilienz beschreibt die Fähigkeit, trotz belastender Umstände psychisch und physisch gesund zu bleiben und sogar gestärkt aus Krisen hervorzugehen. Das lateinische Wort für Resilienz ist resilientia, abgeleitet von resilire, was „zurückspringen“ oder „abprallen“ bedeutet. Aspekte dieser Kompetenz zur Selbstregulation und -transformation können sowohl angeboren als auch erlernt sein und so wird es uns möglich, aus schwierigen Erfahrungen zu reifen und Entwicklungspotential zu schöpfen. Evolutionsbiologisch ist dies eine Schlüsselkompetenz, um zu überleben und somit auch Leben zu ermöglichen. In einer zunehmend unvorhersehbaren und komplexen Welt ist Resilienz eine wichtige Ressource, die zur Stabilität von Körper und Geist sowie zur Gemeinschaft beiträgt.
Adaption und Habituation sind zentrale Prozesse der Resilienzbildung. Adaption bezeichnet die Fähigkeit, sich an Veränderungen anzupassen und neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln, während Habituation ermöglicht, sich an wiederkehrende Stressoren zu gewöhnen, was ihre Belastung mindert. Beide Prozesse fördern die psychische Widerstandskraft, indem sie helfen, Stress und Belastungen besser zu bewältigen.
Soziale Unterstützung stärkt Resilienz zusätzlich, da sie emotionale Stabilität, Zugehörigkeit und so letztlich auch Sinnhaftigkeit vermittelt. Gemeinsames Erleben und Teilen von Ressourcen erleichtert es, Krisen zu meistern und psychische Widerstandskraft aufzubauen. In Krisenzeiten erlaubt Resilienz, flexibel auf Bedrohungen zu reagieren und einen gesunden Abstand aufzubauen, ohne dabei jedoch Risiken und Herausforderungen zu negieren und in einen unrealistischen Optimismus zu verfallen.
Was sind VUCA- und BANI-Welten?
Die Begriffe VUCA und BANI stehen für zwei Konzepte, die prototypische Belastungsszenarien unserer Zeit erfassen und versuchen, die zunehmend komplexen und oft chaotischen Lebens- und Entscheidungsrealitäten zu beschreiben.
Der Begriff VUCA wurde in den 1990er Jahren vom U.S. Army War College geprägt. Er beschreibt die Herausforderungen moderner Konflikte und steht für Volatility (Volatilität), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Ziel war es, aufzuzeigen, wie sich die Welt nach dem Kalten Krieg verändert hat und wie Führungskräfte in einer zunehmend unbeständigen und komplexen Umgebung navigieren müssen. Heute wird VUCA über das Militär hinaus in Wirtschaft, Bildung und anderen Bereichen verwendet, um die Herausforderungen einer sich ständig wandelnden Welt zu erfassen.
Der Begriff BANI (Brittle, Anxious, Nonlinear, Incomprehensible) erweitert das VUCA-Modell um die Aspekte Zerbrechlichkeit, Angst, Nichtlinearität und Unverständlichkeit, die neuere Anforderungszenarien prägen und durch multiple Herausforderungen auf unterschiedlichen Ebenen verschärft werden. Der amerikanische Zukunftsforscher Jamais Cascio prägte im Frühjahr 2020 den Begriff BANI, um die spezifischen Unsicherheiten der Gegenwart zu fassen – wie die Corona-Pandemie oder weltweite Krisen.
Anders als VUCA-Welten, die aufgrund des Auftretens einer Anomalie als dynamisch und herausfordernd sind, werden BANI-Welten als dauerhaft fragil und unberechenbar beschrieben. Cascio greift hier auf den Begriff des Phasenwechsel zurück, der in der Physik den Übergang von stabilen zu instabilen Zuständen beschreibt: Gesellschaftliche Anomalien „blubbern“ nicht mehr gelegentlich auf wie beim Erhitzen von Wasser – das „Kochen“ hat begonnen und die anomailistischen Blasen sind überall. Die Instabilität des Systems - in der Physik wäre das Entropie - hat ein Niveau erreicht, bei dem Anomalien nicht mehr sporadisch, sondern dauerhaft und intensiv spürbar sind. Ein „Back to Normal“ gibt es nicht mehr.
Warum ist es wichtig, VUCA und BANI-Herausforderungen zu unterscheiden?
Im VUCA-Kontext wird die Welt als volatil, unsicher und komplex beschrieben. Entscheidend ist hier die Fähigkeit, trotz ständiger Veränderungen ein gewisses Gleichgewicht zu bewahren. In der Biologie bezeichnet man dieses Prinzip als Homöostase – ein Begriff, den der Physiologe Walter Cannon prägte. Homöostase bedeutet „Gleichstand“ und beschreibt die Fähigkeit von Organismen, ihre inneren Zustände wie Temperatur oder Blutdruck stabil zu halten. Auch Organisationen und Gesellschaften streben diese Stabilität an.
In einer VUCA-Welt gilt es, Strukturen und Prozesse zu schaffen, die flexibel genug sind, um kurzfristige Veränderungen auszugleichen, aber dennoch eine grundlegende Balance ermöglichen. Flexible Planung, Vorbereitung und schnelle Anpassung sind daher wesentliche Bausteine, um Stabilität in dieser Umgebung zu gewährleisten.
Im Gegensatz dazu beschreibt der BANI-Kontext eine brüchige und unvorhersehbare Realität. Hier sind Veränderungen oft tiefgreifender und schwer durchschaubar, sodass Homöostase allein nicht mehr ausreicht, weil die Rückkehr zu einem stabilen Gleichgewicht kaum möglich ist.
Stattdessen ist Heterostase erforderlich – ein Begriff, der vom griechischen Wort für „Unterschiedlichkeit“ abgeleitet ist und eine dynamische Anpassung an wechselnde Bedingungen beschreibt. Heterostase bedeutet, dass Systeme nicht nur Stabilität suchen, sondern sich aktiv weiterentwickeln und flexibel bleiben, ohne zwingend zu einem früheren Zustand zurückzukehren.
In einer BANI-Welt werden daher Flexibilität und Innovationsfähigkeit wichtiger denn je, um auf unvorhersehbare Herausforderungen zu reagieren. Alte Strukturen und Lösungen müssen kontinuierlich hinterfragt und, wenn nötig, angepasst oder ersetzt werden.
Während also die VUCA-Welt Homöostase erfordert – ein dynamisches Gleichgewicht in einer instabilen Umgebung –, verlangt die BANI-Welt Heterostase, die über bloße Stabilität hinausgeht und eine kontinuierliche Anpassung ermöglicht. Diese Mechanismen verdeutlichen, wie sich die Anforderungen an Resilienz entwickelt haben: Die Zukunft verlangt nicht nur Selbstregulation im Sinne der Homöostase, sondern vor allem die Fähigkeit zur individuellen und gesellschaftlichen Transformation, um in einer Welt voller überraschender Herausforderungen bestehen zu können.
Diese Notwendigkeit anzuerkennen und daraus sowohl individuell als auch gesellschaftlich die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Wie verändert sich unsere Wahrnehmung unter akutem und chronischem Stress?
Unsere Wahrnehmung verändert sich unter Belastungen wie akutem oder chronischem Stress, was durch die Aktivierung unterschiedlicher neuronaler Netzwerke und physiologischer Prozesse bedingt ist. Wesentlich sind hier das Attention- und das Awareness-Netzwerk im Gehirn. Das Attention-Netzwerk fokussiert unseren Blick auf Bedrohungen, was bei Stress einen „Tunnelblick“ bewirkt.
Das Awareness-Netzwerk hingegen ermöglicht eine breitere Wahrnehmung der Umgebung. Bei chronischem Stress gerät das Gleichgewicht dieser Netzwerke aus der Balance, was langfristig zu Erschöpfung führen kann.
Akuter Stress setzt eine „Kampf-oder-Flucht“-Reaktion in Gang, die durch die Adrenalin-Stressachse aktiviert wird. Das sympathische Nervensystem erhöht Herzfrequenz, Blutdruck und Reaktionsbereitschaft, während unsere Wahrnehmung durch das Attention-Netzwerk stark auf die unmittelbare Gefahr fokussiert wird. Diese Priorisierung ermöglicht schnelle, gezielte Reaktionen, doch tritt hierbei ein „Tunnelblick“ auf, bei dem alle anderen Reize ausgeblendet werden.
Chronischer Stress aktiviert dagegen die Cortisol-Stressachse, die den Körper auf eine langfristige Anpassung an die Belastung einstellt. Der anhaltend hohe Cortisolspiegel unterdrückt das Immunsystem und versetzt den Organismus in einen dauerhaften Alarmzustand. Im Unterschied zu akutem Stress, der durch kurze und intensive Reaktionen gekennzeichnet ist, verursacht chronischer Stress eine ständige Wachsamkeit, die kognitive und emotionale Erschöpfung zur Folge haben kann.
Dabei gerät das Zusammenspiel der beiden Netzwerke zunehmend aus der Balance. Diese Balance ist jedoch entscheidend, da sie es uns ermöglicht, sowohl gezielt zu fokussieren, als auch die Umgebung im Blick zu behalten.
Bei chronischem Stress, wie er oft in der BANI-Welt auftritt, neigen wir dazu, komplexe Situationen auf wenige Aspekte zu reduzieren oder die Fähigkeit zum Fokus zu verlieren, da die Vielzahl der Stressoren überfordert. Beide Reaktionen – übermäßige Fokussierung oder Verlust des Überblicks – sind gleichermaßen problematisch. Daher ist die Balance unserer Wahrnehmung - auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene – essenziell, um Stress zu bewältigen und unsere kognitive sowie emotionale Gesundheit zu erhalten.
Welche Rolle spielt Stressbewältigung?
Stressbewältigung ist ein wesentlicher Bestandteil der Resilienz, da Resilienz letztlich auch bedeutet, mit Stress und Belastungen umzugehen, ohne das innere Gleichgewicht zu verlieren. Unser Körper reagiert auf akuten Stress durch das sympathische Nervensystem, das über die Adrenalin-Stressachse aktiviert wird. Diese kurzfristige Reaktion bereitet uns auf Flucht- oder Kampfreaktionen vor und hilft dabei, in gefährlichen oder herausfordernden Situationen schnell zu handeln. Diese akute Stressreaktion ist gesund und lebenswichtig, kann jedoch belastend werden, wenn sie chronisch anhält und die zweite, langfristige Stressachse aktiviert wird – die Cortisolachse.
Längerfristiger Stress aktiviert die Cortisol-Stressachse und signalisiert dem Körper, dass eine dauerhafte Belastung vorliegt, was zu Erschöpfung und langfristigen Gesundheitsproblemen führen kann. Chronischer Stress führt oft zu Schlafstörungen, Erschöpfung und einer generellen Schwächung des Immunsystems. Um Resilienz aufzubauen, ist es daher essenziell, Methoden zur Stressbewältigung zu entwickeln und die beiden Stressachsen in Balance zu halten. Techniken wie Atemübungen, körperliche Bewegung, aber auch bewusste Entspannungsphasen tragen dazu bei, dass sich der Körper regeneriert und die Stressachsen sich normalisieren können.
In VUCA- und BANI-Welten ist es jedoch oft nicht möglich, alle Stressoren vollständig zu vermeiden. Daher ist es wichtig, Stress nicht als Gegner, sondern als Signal für notwendige Anpassungen zu betrachten. Stressbewältigungstechniken helfen uns, die eigene Aufmerksamkeit zu schulen, ein Bewusstsein für unsere Grenzen zu entwickeln und Prioritäten zu setzen, um unsere Ressourcen bestmöglich einzusetzen.
Langfristige Resilienz entsteht, wenn wir lernen, mit Stress gelassen umzugehen und Wege finden, ihn als Impuls für persönliches Wachstum zu nutzen. Der gezielte Einsatz von Stressbewältigungsmethoden und die bewusste Steuerung von Aufmerksamkeit und Wahrnehmung helfen, das Gleichgewicht zu bewahren und belastbare, resiliente Reaktionen auf zukünftige Herausforderungen zu entwickeln.
Wie kann ich Resilienz aufbauen?
Resilienz ist nicht nur eine feste Eigenschaft, sondern kann durch gezielte Maßnahmen gestärkt und gefördert werden. Praktiken wie Achtsamkeit, Meditation und regelmäßige Selbstreflexion spielen eine wichtige Rolle, weil sie uns helfen, aufmerksamer für eigene Bedürfnisse und Grenzen zu werden und das innere Gleichgewicht zu wahren. Durch Achtsamkeit lernen wir, im Hier und Jetzt zu leben, uns auf das zu konzentrieren, was wir beeinflussen können, und das Unveränderliche anzunehmen. Achtsamkeitsbasierte Übungen wie Meditation stärken das Kohärenzgefühl und tragen dazu bei, dass wir die Welt als handhabbar und verstehbar erleben.
Selbstregulationstechniken, wie regelmäßiges Innehalten oder das Praktizieren von Atemübungen, helfen dabei, in stressigen Momenten Ruhe zu finden und den Blick auf die wichtigen Dinge zu behalten. Dies gilt besonders in Zeiten, in denen unsere Aufmerksamkeit leicht durch multiple Anforderungen abgelenkt wird.
Dankbarkeit ist ebenfalls ein wichtiges Instrument zur Resilienzförderung: Indem wir bewusst positive Erlebnisse wertschätzen, richten wir unsere Wahrnehmung auf das Gute und stärken so unsere emotionale Balance. Auch die Fähigkeit, sich auf das Wesentliche zu fokussieren und Aufgaben zu priorisieren, ist zentral für ein resilienteres Leben.
Neben den individuellen Faktoren ist das soziale Umfeld für die Resilienz enorm wichtig. Studien zeigen, dass Menschen, die in einem unterstützenden Umfeld leben und soziale Beziehungen pflegen, besser mit Stress und Krisen umgehen können. Unterstützende soziale Netzwerke, wie Familie, Freunde oder Kollegen schaffen Halt und stärken das Gefühl von Gemeinschaft und Zusammenhalt.
Der Austausch über Sorgen und der Zugang zu Empathie und Mitgefühl von anderen wirken stabilisierend und geben Sicherheit, dass man in schweren Zeiten nicht allein ist. Auf diese Weise hilft Resilienz nicht nur uns selbst, sondern stärkt auch unsere Umgebung und kann zur kollektiven Belastbarkeit beitragen.