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Kritik am Öffnungskurs einiger Länder

Die steigenden Infektionszahlen beginnen, die Stimmung abermals zu drehen: Viele machen sich wieder Sorgen und würden die Schutzmaßnahmen lieber verschärfen. Dass einige Länder dennoch lockern wollen, stößt bei Medizinern auf Unverständnis.

24 March 2021, Berlin: Karl Lauterbach, health expert of the SPD, gives an interview after Chancellor Merkel (CDU) answered the questions of the members of the Bundestag during the government questioning in the Bundestag. A main topic is the Easter and lockdown decisions of the federal-state conference on the Corona pandemic. Photo: Kay Nietfeld/dpa (Photo by Kay Nietfeld/picture alliance via Getty Images)
Karl Lauterbach (Bild: Getty Images)

Berlin (dpa) - Die dritte Corona-Welle rollt und dennoch schlagen einige Bundesländer einen Öffnungskurs ein - bei medizinischen Experten sorgt das für Entsetzen.

Der Präsident der Intensivmediziner-Gesellschaft DGIIN, Christian Karagiannidis, fordert angesichts der stark steigenden Infektionszahlen einen harten Lockdown und sofortigen Stopp aller geplanten Öffnungsschritte. «Die Beschlüsse für Modellprojekte nach Ostern sind völlig unpassend und müssen von Bund und Ländern sofort zurückgenommen werden», sagte Karagiannidis, der auch wissenschaftliche Leiter des Divi-Intensivregisters ist, der «Rheinischen Post» (Samstag).

Virologen kritisieren Öffnungskurs

«Es braucht eine Mischung aus hartem Lockdown, vielen Impfungen und Tests. Nur so lässt sich ein Überlaufen der Intensivstationen noch verhindern», sagte er. Ein solcher Lockdown müsse bundesweit gelten und zwei Wochen dauern. «Ich bitte die Politik, das Krankenhauspersonal nicht im Stich zu lassen.» Auch andere Mediziner und Virologen hatten den Öffnungskurs mancher Länder kritisiert.

Corona: Mehr als 20.400 Neuinfektionen

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: «Es ist ganz klar, dass wir im exponentiellen Wachstum sind und innerhalb von kurzer Zeit Tageszahlen von 30 000, 40 000, 50 000 Infizierten erreichen können.» Einige andere Länder ziehen deshalb auch die «Notbremse» und verschärfen Maßnahmen wieder.

Allerdings hatten Bund und Länder auf der Ministerpräsidentenkonferenz zu Beginn der Woche beschlossen, dass die Länder in «ausgewählten Regionen» in «zeitlich befristeten Modellprojekten» einzelne Bereiche des öffentlichen Lebens testweise öffnen dürfen, «mit strengen Schutzmaßnahmen und einem Testkonzept». Mehrere Länder haben angekündigt, gleich mehrere Modellregionen entsprechend zu öffnen. Das Saarland will nach Ostern sogar das ganze Land öffnen - bisher auch ohne eine Befristung.

"Uns muss jetzt mehr einfallen als nur zu schließen"

Das Land steht laut Daten des Robert Koch-Instituts von Freitagmorgen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von 61,1 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner im Bundesvergleich (119,1) zwar relativ gut da, aber mit steigender Tendenz (eine Woche zuvor 56,1, zwei Wochen zuvor 48,1). Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) verteidigt die Entscheidung: «Wir sind ein kleines Land, unsere Testinfrastruktur ist gut aufgestellt, und aktuell das Infektionsgeschehen moderat - also gute Voraussetzungen um dies saarlandweit zu tun», sagte er der «Bild»-Zeitung (Samstag). «Ein Jahr nach der Corona-Pandemie muss uns jetzt mehr einfallen als nur zu schließen und zu beschränken.» Er fügte an: «Deshalb werden wir die Tests noch stärker ausweiten, das Impfen beschleunigen und unter strengen Hygieneauflagen mehr Freiheiten ermöglichen.» Sollten «die Infektionszahlen exponentiell steigen, werden wir rechtzeitig die Notbremse ziehen».

Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, befürwortet weitere Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen. «Jetzt muss auch der Erschöpfung der Menschen durch kluge Öffnungen Rechnung getragen werden», sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Mit den absolvierten Impfungen der alten Menschen, dem Beheben der Impf- und Testprobleme und guter Organisation sollte es klappen, wieder Zusammenkünfte von mehr Menschen als bislang zu ermöglichen. Und Arbeitgeber-Präsident Rainer Dulger sagte der «Heilbronner Stimme» (Samstag): «Es geht um das verständliche Bedürfnis, dass sich alles wieder etwas normalisiert, hier muss die Politik Perspektiven aufzeigen.»

"Ziviler Ungehorsam hilft am Ende niemandem"

An der Sicherheit der viel beschworenen Schnelltests gibt es inzwischen aber starke Zweifel. «Antigentests sind bei weitem nicht so sicher, wie man glaubt», sagte Lauterbach den Funke-Zeitungen. Studien zeigten: «Wenn jemand wirklich asymptomatisch ist, schlägt der Schnelltest in sechs von zehn positiven Fällen an. In vier von zehn Fällen ist der Test negativ.»

Söder und Ramelow: Sie bereiten sich auf russischen Impfstoff vor

Inzwischen sprechen sich auch wieder mehr Menschen für eine Verschärfung als eine Lockerung der Maßnahmen aus, wie das ZDF-Politbarometer ergab. Mehr als ein Drittel (36 Prozent) will sie verschärfen, knapp ein Drittel (31 Prozent) beibehalten und ein Viertel (26 Prozent) lockern.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der gleich acht öffnende Modellregionen einrichten will, bittet die Menschen zugleich, sich Ostern weiter an die Corona-Regeln zu halten. «Ziviler Ungehorsam hilft am Ende niemandem - weder dem Einzelnen noch allen. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft. Hilfen, die einige bekommen, gibt es nur, weil andere sie mitfinanzieren. Deswegen ist es wichtig, dass wir die Solidarität hoch halten», sagte er der «Passauer Neuen Presse» und dem «Donaukurier» (Samstag).

VIDEO: Saarland will Corona-Regeln nach Ostern lockern