Krude Vorwürfe, fehlende Selbstreflexion: Özils unrühmlicher Abgang

Mesut Özil wollte sich in seiner Facebook-Trilogie erklären, handelt dabei aber höchst naiv und teilweise frei von Logik. Er schadet dabei nicht nur sich selbst, sondern auch nachhaltig dem DFB.

Ein Kommentar von Tommy Gaber

Nach 92 Länderspielen ist Schluss: Mesut Özil will nicht mehr für Deutschland spielen
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Mesut Özil machte es spannend. Der Sonntag sollte ihm gehören. Über mehrere Stunden verteilte er drei ausführliche Statements auf Facebook. Drei Pamphlete, in denen er zunächst sein publicityträchtiges Foto mit Türkeis autokratischem Präsidenten Recep Tayyip Erdogan verteidigte, ohne auch nur den Hauch von Selbstkritik.

Als nächstes waren die bösen Medien und vor allem DFB-Präsident Reinhard Grindel an der Reihe, den Özil in besonders heftiger Art und Weise attackierte und ihm unter anderem Rassismus vorwarf. Weil zwei Akte in Özils sonntäglichem Krimi-Drama noch nicht reichten, erklärte er hinten raus – Achtung Trommelwirbel – auch noch seinen Rücktritt aus der deutschen Nationalmannschaft.

Nach über zwei Monaten Stillschweigen hat sich Özil also dann doch erklärt. Aber hat er das wirklich? Was Özil im brisanten ersten Teil schreibt, ist hinlänglich bekannt. Dass er stolz ist auf seine türkischen Wurzeln ist und das zwei Herzen in seiner Brust schlagen. Das ist auch keinesfalls verwerflich, niemand soll seine Herkunft verleugnen.

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Bemerkenswerter Nonsense

Özil (bzw. sein Beraterteam) beschwört seine “Werte”, ignoriert dabei aber völlig, dass Erdogan eben nicht für diese Werte steht, nicht für die Werte von Özils deutscher und auch nicht für die seiner türkischen Heimat. Die freiheitsliebende Türkei verwandelt Erdogan zunehmend in eine islamistische Diktatur. Er unterdrückt Menschenrechte, Presse- und Meinungsfreiheit.

Özil schreibt, dass er sich mit Erdogan nur über Fußball unterhalten habe. Wie naiv kann man eigentlich sein? Infolgedessen wäre es ja dann wohl auch ok, sich mit Syriens Diktator Assad ablichten zu lassen und währenddessen ein wenig über die Vorzüge der Dreierkette zu plaudern. Özils krude Logik gipfelt in der Bemerkung, dass DFB-Boss Grindel ihn “für politische Propaganda” missbraucht habe, während er sich selbst von jeglicher politischer Propaganda für Erdogan freispricht. Ein bemerkenswerter Nonsense.

Grindel ist nicht mehr tragbar

Mit seiner Trilogie hat Özil nicht nur sich selbst, sondern auch nachhaltig dem DFB geschadet. Sollte Özils Vorwurf, Grindel habe aus Eitelkeit eine gemeinsame Erklärung mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Vorfeld der WM behindert, zutreffen, wäre Grindel endgültig nicht mehr tragbar.

Der katastrophale Umgang der DFB-Spitze mit der Erdogan-Affäre steht per se für eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Fußballgeschichte. Durch die dramatische Entwicklung der Causa Özil steht der DFB endgültig vor einem Totalschaden. Zur Aufarbeitung des WM-Debakels und der angestrebten sportlichen Neuausrichtung gesellt sich nun ein gesellschaftliches Problem. Der deutsche Fußball dürfte es schwer haben, das Vertrauen junger, multikulturell geprägter Talente zurückzugewinnen.