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Kulturschätze im Museum - gefundenes Fressen für Insekten

Oliver Mack, Leiter des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung am Germanischen Nationalmuseum und oberster Restaurator.
Oliver Mack, Leiter des Instituts für Kunsttechnik und Konservierung am Germanischen Nationalmuseum und oberster Restaurator.

Würmer, Motten und Käfer laben sich an unseren Kulturschätzen. Dass sie in Museen und Archive eindringen, lässt sich nicht verhindern. Es gibt aber Strategien, die Schädlinge in Schach zu halten.

Nürnberg/Berlin (dpa) - Die Heilige Jungfrau lässt das Herz von Kunstfreunden bluten. Vom Gewand sind einige Teile abgebrochen, Brandlöcher prangen in der Brust, Farbe ist abgeplatzt. Doch am schlimmsten hat es den Kopf getroffen.

Der obere Teil ist nahezu zerstört. An der Jahrhunderte alten Holzfigur hat im wahrsten Sinne des Wortes der Zahn der Zeit genagt: in diesem Fall waren es Holzwürmer.

«Da haben sie sich kreuz und quer durchgefressen», sagt Oliver Mack und leuchtet mit der Taschenlampe auf die Stellen. «Und hier sieht man die Ausflugslöcher der Käfer.» Oliver Mack leitet das Institut für Kunsttechnik und Konservierung am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Als oberster Restaurator ist er dafür verantwortlich, die 1,3 Millionen Schätze in Deutschlands größtem kulturhistorischen Museum zu bewahren. Viele davon sind Tausende Jahre alt.

Licht und Feuchtigkeit setzten den wertvollen Stücken zu, aber auch Schädlinge wie Kleidermotten, Nagekäfer oder Papierfischchen. Die Holzwürmer hatten die Heilige Jungfrau schon befallen, bevor sie ins Museum kam. Doch auch dort wäre sie nicht per se vor den Tierchen sicher. «Man kann nicht absolut vermeiden, dass sie Zutritt haben», sagt Mack. «Aber man kann es kontrollieren.»

Schädlinge gab es schon immer in den Museen, und schon immer wurden diese bekämpft. Früher kam da meist die Giftkeule zum Einsatz. Heute setzen die Experten auf IPM. Die Abkürzung steht für «Integrated Pest Management», ein Schädlingsvermeidungskonzept, das die Museen in den USA und Großbritannien schon länger anwenden. «Der Schwerpunkt liegt auf Prävention», sagt der Biologe Bill Landsberger. Seit zehn Jahren hält er auf diese Weise die unliebsamen Eindringlinge an den Staatlichen Museen zu Berlin in Schach.

Und Prävention fängt schon bei den Gebäuden an. Durch winzige Ritzen an Türen und Fenstern gelangen die Insekten ins Museum. Besonders wohl fühlen sie sich, wenn sie ungestört sind - hinter Regalen, unter Schränken, in Rillen und ganz besonders in Archiven und Depots. «Ein schwerer Befall im Ausstellungsbereich ist eher selten», sagt Landsberger.

Das Germanische Nationalmuseum baut deshalb gerade ein neues Depot 21 Meter unter der Erde, komplett ohne Fenster. Überall in dem Museum sind Lockfallen verteilt, die Mack und sein Team ständig kontrollieren. Dadurch wollen sie rechtzeitig bemerken, wenn sich Schädlinge ausbreiten.

Diese können sich rasend schnell vermehren und einen gewaltigen Schaden anrichten. Besonders gefährdet sind Teppiche, historische Kleider, Felle, Holz, Papier und andere Kulturschätze aus tierischen Materialien. «Diese Objekte sind ein gefundenes Fressen», sagt Landsberger. 3500 Fallen muss er deshalb zusammen mit den Restauratoren in den verschiedenen Berliner Einrichtungen im Auge behalten und regelmäßig erneuern.

Doch gerade in kleineren Häusern fehlt dafür Personal und Expertise. Dann kommen Fachleute wie Stephan Biebl aus dem oberbayerischen Benediktbeuern ins Spiel, der Museen weltweit bei der Schädlingsbekämpfung und Prävention berät. Biebl hat beobachtet, dass diese mittlerweile alle Probleme mit den gleichen Schädlingen haben. «Über Leihgaben wandern diese von Museum zu Museum.» Dabei sitzt das Ungeziefer nicht unbedingt in der Kunst, sondern in den Transportkisten und den Verpackungen. «So verschleppt man die Schädlinge weltweit», sagt Biebl.

Gerade sei ein chinesischer Splintholzkäfer in einem deutschen Baumarkt aufgetaucht, sagt Biebl. Als nächstes erobere dieser vielleicht die Museen wie zuvor schon das Papierfischchen, das inzwischen ein echtes Problem sei. «Seit zwei, drei Jahren wird es immer mehr.» Papierfischchen sind etwas größer als Silberfischchen - und sie haben einen enormen Appetit auf Papier und Karton. Biebl hat schon erlebt, dass die Insekten in kurzer Zeit Leinwände zerlöchert und historische Musiknoten komplett zerstört haben.

Über moderne und zeitgenössische Kunst können Experten wie er manchmal nur den Kopf schütteln. Ein Kunstwerk aus Schweineknochen, Räume voller Erdnussflips oder Federn, Beuys berühmte Fettflecke - all das lockt Insekten an. «Das ist ein Schlaraffenland für Schädlinge», sagt Biebl.

Aber auch heruntergefallene Brotkrümel und Häppchenreste von der Vernissage können eine willkommene Mahlzeit für diese sein. «Man bräuchte mehr Zeit und Geld für Hygiene», fordert deshalb Andrea Funck, Professorin für Konservierung und Restaurierung an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Doch an der Reinigung werde angesichts der Etats oft zwangsläufig gespart.

Doch was tun, wenn Würmer und Motten die Sammlung befallen? Helfen können zum Beispiel Nützlinge, die es auf die Eier oder Larven der Schädlinge abgesehen haben. Auch Hitze oder Kälte können diese töten. Das verträgt aber nicht jedes Kunstwerk. Stickstoff ist deshalb oft das Mittel der Wahl. Wie das Germanische Nationalmuseum haben viele Häuser eine eigene Stickstoffkammer. Doch nach einer EU-Verordnung ist das Verfahren zurzeit nicht zulässig. Nach Angaben von Landsberger sollen die Museen aber in den nächsten Monaten eine Ausnahmegenehmigung bekommen können.

Doch am besten ist es, es kommt gar nicht erst so weit. «Bei manchen Objekten sind die Schäden einfach irreversibel», sagt Mack. «Wir müssen dann irgendwie damit leben.» So wie bei der Heiligen Jungfrau.