"Ich bin vom Land, da ticken die Uhren anders"

Hanna Plaß ist eine vielseitige Künstlerin: Sie arbeitet nicht nur als Schauspielerin, sondern auch als Musikerin. Wie sie sich auf ihre neue Rolle in der SAT.1-Comedy "Think Big!" vorbereitet hat, erzählt sie im Interview.

Freitag, 20.15 Uhr, auf SAT.1 - da ist für gewöhnlich wenig Raum für Hochkultur. Hanna Plaß allerdings wird dank ihres bisherigen Schaffens durchaus als Teil der schönen Künste anerkannt. Die 31-Jährige spielte jahrelang in Theatern, führte gar selbst Regie. In Berlin verkörperte sie zuletzt die Schneekönigin an der Deutschen Oper, im Kino wirkte die in London geborene und in Franken aufgewachsene Wahlberlinerin in "Mackie Messer - Brechts Dreigroschenfilm" (2018) mit. Und auch ihre Herangehensweise als Musikerin unter dem Decknamen Ginger Redcliff fand eher in anspruchsvolleren Kreisen Anklang. Nun spielt sie aber erstmals eine Serienheldin: Nicole Pütz aus Köln-Chorweiler in der neuen Comedy "Think Big!" (ab 7. Februar), eine junge Frau, die sich mit ermogeltem Abitur als BWL-Studentin versucht - Ziel: ein eigenes Nagelstudio. Das beißt sich doch, oder? Hanna Plaß, Jahrgang 1989, ist da im Interview anderer Meinung.

teleschau: Wo erreichen wir Sie gerade, Frau Plaß?

Hanna Plaß: In meiner Wohnung, ich sitze gerade in meinem Wohnzimmer. Ja, ich habe jetzt ein Wohnzimmer. Ich habe lange in WGs gewohnt, doch nun habe ich eine Wohnung mit meinem Freund zusammen. Und zum ersten Mal habe ich ein Wohnzimmer (lacht).

teleschau: So viel Zeit, um das zu genießen, scheinen Sie zuletzt aber nicht gehabt zu haben ...

Plaß: Das stimmt. Seit zwei Jahren, nach meiner Zeit am Staatstheater Stuttgart, bin ich wieder freiberuflich unterwegs. Seitdem habe ich in Würzburg, Bremen, Köln, Langeoog, überall, gearbeitet und war wenig zu Hause. Doch zuletzt spielte ich drei Monate lang die Schneekönigin an der Deutschen Oper Berlin. Seitdem kann ich mein eigenes Wohnzimmer endlich richtig genießen.

teleschau: Vom Theater und der Oper zur Comedy-Serie auf SAT.1 - verbauen Sie sich damit nicht Ihren eingeschlagenen Weg in der Hochkultur?

Plaß: Das weiß ich nicht. Es wäre in jedem Fall schade, gäbe es da einen Einschnitt. Zudem war "Think Big!" als schauspielerische Arbeit unfassbar anspruchsvoll. Diese Art von Comedy zu spielen, ist eine Herausforderung und kein Spaziergang. Im Drehbuch reiht sich Pointe an Pointe. Das muss richtig sitzen. Da jede Folge ihr eigenes Thema hat, einen ganz menschlichen Kern, muss man dranbleiben und genau sein, um das rüberzubringen. Das hat uns sehr viel abverlangt.

teleschau: Also gibt es keine Vorurteile unter Ihren Theaterfreunden?

Plaß: Nein, ich stoße vielmehr auf viel Aufregung und große Vorfreude. Viele zeigen sich richtig gespannt und neugierig. Und bei allen, die bisher ruhig waren und vielleicht die Nase rümpfen mögen, hoffe ich, dass sie sich "Think Big!" einmal anschauen. Möglicherweise werden sie ja überrascht ...

teleschau: Auch Ihr eigenes Anspruchsdenken stellte sich nicht quer?

Plaß: Für mich ist wichtig, dass sich meine Arbeit sinnvoll anfühlt. Und die Serie zeigt, dass wir anspruchsvolle Themen angegangen sind.

teleschau: Welche wären das in "Think Big!" zum Beispiel?

Plaß: Das wären als allererstes Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit. Ich glaube, dass diese in Deutschland so gut wie nicht existieren. Wer nicht zumindest aus der Mittelschicht kommt, wird mit großer Sicherheit nicht studieren. Nur durch Förderung finden wir hier einen Weg raus. Ich hatte das große Glück, dass meine Eltern mich gefördert haben, von Anfang an und immer. Anderen Menschen steht das gleiche Recht zu, jeder sollte die Chance bekommen, gefördert zu werden.

"Natürlich braucht es staatliche Nachbesserung"

teleschau: Wie erreicht man das?

Plaß: Natürlich braucht es staatliche Nachbesserung. Der Staat kann nie genug Geld ausgeben, um seine eigenen Bürger zu fördern und zu stützen. Derweil lohnt es sich aber auch, die Werbetrommel etwa für Arbeiterkind.de zu rühren. Dahinter steckt eine gemeinnützige Organisation, die junge Menschen ohne akademischen Background unterstützt, Jugendliche, die die ersten in der Familie sind, die studieren. Freiwillige beraten zu Themen wie Studienablauf, BaföG und auch zum Umgang mit Vorbehalten von anderen.

teleschau: Vorbehalte schlagen auch Nicole Pütz in "Think Big!" entgegen.

Plaß: Was alles andere als unrealistisch ist in unserer elitären Gesellschaft. Den Anspruch, den die Serie hat und die Ziele, die sie sich steckt, das gefiel mir von Anfang an. Gerade Nicole als kämpferische und anklagende Figur ist nicht 08/15-Comedy. Sie lässt sich nicht unterkriegen, und sie weiß was sie will. Sie sagt sich: "Das ist nicht nur für euch Akademikerkinder, das ist auch für mich. Die Steuergelder, die in dieser Uni stecken, sind auch meine Steuergelder." Und: "Ich werde nicht die Hartz-IV-Geschichte schreiben, in die ihr mich alle steckt."

teleschau: Sie sind behüteter aufgewachsen ...

Plaß: Ich bin vom Land. Da ticken die Uhren anders. Doch im Gegensatz zu gut betuchten Stadtbezirken sind dort zum Beispiel die Schulklassen viel gemischter. Alle Kinder gehen auf die gleiche Grundschule. Und da es in meinem Dorf immer ein gutes Gemeinschaftsgefühl gab und viele Anlässe, an denen man zusammenkam, bekam ich immer mit, was andere machten, die nicht mit mir aufs Gymnasium gegangen sind. Trotzdem sind die Verhältnisse natürlich andere ...

teleschau: Eine Parallele zu Nicole hingegen ist: Sie sind die Erstgeborene, die Älteste von Vieren. Mussten Sie Ihre Geschwister auch ständig aus verzwickten Situationen herausboxen?

Plaß: Ja, das kam schon mal vor (lacht). Aber natürlich hat keiner ein Auto geknackt oder jemandem das Handy geklaut, wie es in der Serie passiert. Alles harmloser. Nicole ist der Boss zu Hause, und wenn es um meine Geschwister geht, erkenne ich auch bei mir so ein Boss-Phänomen, was ich aber total nervig und anstrengend finde. Ich muss mir selbst immer wieder sagen: "Ach Hanna, jetzt sei doch nicht so." Aber natürlich, wenn meine kleinen Schwestern Mist bauen, würde ich mich immer vor sie stellen und sagen: "Hey, lasst sie in Ruhe!" - und sie danach wieder belehren.

"Die Serie hat meinen Blick für Fingernägel geschärft"

teleschau: In Sachen Fingernägel ticken Sie wiederum anders als Nicole, oder?

Plaß: Ich hatte null, null, null Ahnung davon. Doch jetzt, wenn ich in die U-Bahn steige: Sie sind überall (lacht). Die Serie hat meinen Blick für Fingernägel geschärft. Aber es ist auch kein Wunder, Nicki Minaj, Beyoncé, Lady Gaga - sie alle tragen diese übertrieben spitzen, artifiziellen Nägel. Die Geschmäcker mögen da unterschiedlich sein, das ist wie mit Klamotten: Länge, Form, Farbe - das ist wie ein Kleiderschrank. Aber es geht dabei ja auch um Pflege und darum, nach einem Nagelstudiobesuch einfach sechs Wochen seine Ruhe zu haben. Je nachdem, was man beruflich macht, ist das echt praktisch.

teleschau: Sieht man Sie nun auch privat mit "Schelllack-Hochglanz-Manicure in Candypink"?

Plaß: Nein, das bestimmt nicht (lacht). Gerade auch, weil ich gerne Klavier spiele, deswegen möchte ich kurze Nägel haben. Das ist mir einfach wichtiger. Aber ich bin jetzt gebrieft und kenne mich aus. Was ich zum Beispiel für mich entdeckt habe und mir neu war, ist, meine Nägel mit Öl zu massieren.