Landtagswahl am 22. September - Außen glatt, innen aggressiv und radikal: Die Doppel-Strategie der AfD in Brandenburg

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Wahlkampf der AfD in Brandenburg.Frank Hammerschmidt/dpa

In Thüringen ist der AfD Historisches gelungen: Erstmals hat es eine rechtsextreme Partei bei einer Landtagswahl in der Bundesrepublik auf den ersten Platz geschafft. Kommt jetzt auch in Brandenburg die „Höcke-Strategie“? Offenbar berät man sich schon.

Man kann von der AfD halten, was man will, aber Fakt ist: In Thüringen ist ihr ein historischer Triumph gelungen. Die im Freistaat als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte Partei erreichte bei der Landtagswahl am 1. September 32,8 Prozent der Stimmen. Damit ist sie offiziell stärkste Kraft im Landtag.

Historisch ist das Ganze deshalb, weil aus einer Landtagswahl in der Bundesrepublik noch nie eine rechtsextreme Partei als Sieger hervorgegangen ist. Das schockiert viele Bürger, beunruhigt politische Beobachter und schmerzt die politische Konkurrenz.

Die AfD fühlt sich logischerweise bestätigt. „Der konsequente Kurs unserer Partei ist vom Wähler in Sachsen und Thüringen eindrucksvoll honoriert worden“, schreibt die Bundesgeschäftsstelle der Partei auf Anfrage von FOCUS online.

AfD will Lehren aus Landtagswahlen ziehen

Wie der „Spiegel“ berichtet, diskutieren AfD-Funktionäre nun darüber, was sich aus den vergangenen Landtagswahlen lernen lässt. Während die Rechtsaußen-Partei über das Ergebnis in Sachsen - 30,6 Prozent, aber man hatte auf 35 spekuliert - wohl nicht ganz glücklich ist, überwiegt mit Blick auf Thüringen die Freude.

Dabei ist relativ klar, dass die AfD nicht in die Regierung kommen wird. Alle anderen Parteien - von BSW über SPD bis hin zur CDU - haben erklärt, keine Koalition mit den Rechtspopulisten eingehen zu wollen. Und eine AfD-Minderheitsregierung würde wohl an der Ministerpräsidentenwahl scheitern.

Trotzdem verfügt die AfD in Thüringen jetzt über eine Sperrminorität - wenn es um Änderungen der Landesverfassung oder die Wahl von Verfassungsrichtern geht, führt kein Weg mehr an Björn Höcke und seiner Mannschaft vorbei.

Thüringer AfD-Verband „gesichert rechtsextrem“

Höcke ist es auch, in dem einige Parteimitglieder den Wegbereiter für den AfD-Erfolg in Thüringen sehen, wie der „Spiegel“ berichtet. Sie glauben, dass eine völkische Ideologie der richtige Weg ist, um als Partei an die Macht zu kommen.

Wenn ein AfD-Landesverband für solches Gedankengut bekannt ist, dann der thüringische. Der Verfassungsschutz stuft ihn als „gesichert rechtsextrem“ ein und Höcke, seine Galionsfigur, stand erst vor kurzem wegen des Verwendens einer verbotenen NS-Parole vor Gericht.

„Höcke sendet immer wieder mehr oder minder eindeutige Signale an die rechtsextreme Szene, um sie bei der Stange zu halten“, sagt der Politologe Benjamin Höhne von der Universität Chemnitz im Gespräch mit FOCUS online. Seiner Einschätzung nach ist die „Melange aus Rechtspopulismus und Rechtsextremismus ein Teil des Erfolgsrezepts der AfD im Osten“.

Tatsächlich sind 74 Prozent der AfD-Wähler mit der politischen Arbeit Höckes zufrieden, das zeigen Daten, die infratest dimap im Auftrag der ARD erhoben und ausgewertet hat. Und eine Mehrheit der AfD-Wähler entschied sich bei der Thüringen-Wahl aus Überzeugung für die Rechtsaußen-Partei, nicht aus Protest.

AfD Brandenburg will offenbar „mehr Höcke wagen“

Diese Beobachtungen könnten auf den letzten Metern des Wahlkampfes in Brandenburg, wo am 22. September ein neues Parlament gewählt wird, eine entscheidende Rolle spielen. Wie der „Spiegel“ berichtet, hat die Brandenburger AfD die Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen genau analysiert - und beschlossen, „mehr Höcke zu wagen“.

Das bedeutet dem Artikel zufolge nicht nur, dass der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag und andere Funktionäre häufiger im Brandenburger Wahlkampf auftreten sollen als ursprünglich geplant.

Man fühlt sich offenbar auch darin bestätigt, sich bewusst nicht von rechtsextremen Kräften abzugrenzen. „Vor dem politischen Gegner oder dem Verfassungsschutz einzuknicken, bringt einfach nichts. Das sieht man doch daran, wie es der AfD geschadet hat, sich von den 'Freien Sachsen' zu distanzieren“, sagte ein Brandenburger Spitzenfunktionär dem Nachrichtenmagazin.

Brandenburger AfD: Chaotisch, „systematische Arbeit schwer zu erkennen“

Der Politologe Gideon Botsch, der die Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus am Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) in Potsdam leitet, bezweifelt allerdings, dass sich der Landesverband so detailliert mit den Ergebnissen der Wahlen in Sachsen und Thüringen auseinandergesetzt hat, wie es der „Spiegel“-Bericht nahelegt.

„Das passt nicht zur Struktur und zum Personal der Brandenburger AfD“, sagt er zu FOCUS online. Der Landesverband sei, so erklärt es Botsch, chaotisch und „eine systematische Arbeit schwer zu erkennen“.

Inhaltlich bewegt er sich nah am Thüringer Ableger. Der Verfassungsschutz beobachtet die AfD in Brandenburg als Verdachtsfall einer rechtsextremen Bestrebung, sechs Mitglieder der Landtagsfraktion gelten als „erwiesen rechtsextrem“.

„Die hiesige AfD fährt einen eigenständigen rechtsextremen Kurs von hoher Radikalität“, sagt Botsch. Die Junge Alternative in Brandenburg, also die Nachwuchsorganisation der AfD, bekennt sich laut dem Politikwissenschaftler offen zum Ziel „Millionenfach abschieben“. „Und AfD-Sommerfeste und Wahlveranstaltungen werden optisch immer stärker von offenen Neonazis mitgeprägt.“

Brandenburg: Spitzenkandidat gilt als rechtsextrem

Auch, wer auf Platz 1 der Landesliste steht, spricht für sich. Hans-Christoph Berndt, so heißt der brandenburgische AfD-Spitzenkandidat, werden Verbindungen zu Organisationen der Neuen Rechten nachgesagt. Außerdem ist er Mitbegründer des flüchtlingsfeindlichen Vereins „Zukunft Heimat“.

Auf „X“ (ehemals Twitter) schrieb er nach dem Anschlag von Solingen: „Vielfalt durch offene Grenzen ist keine Bereicherung, sondern mörderisch. Deshalb: Grenzen ziehe, Remigration und keinen Cent mehr für Woidkes Bündnis 'Tolerantes Brandenburg'.“

Der 68-jährige promovierte Mediziner gilt als rechtsextrem. „Seine Aussagen sind sehr radikal, insbesondere wenn die eigene Klientel angesprochen wird“, sagt Botsch. „Der Landesverband schwächt das meines Erachtens gar nicht ab.“

Anders im Landtag, gegenüber den Medien oder „in Potsdam“: Hier präsentiert sich die Brandenburger AfD gemäßigter, so der Politologe. Glatt, „aber gegenüber der eigenen Klientel aggressiv und radikal - das hat in der hiesigen AfD Tradition“. Botsch beschreibt das als „Doppel-Strategie“.

AfD-Bundesgeschäftsstelle antwortet ausweichend

Ob sie aufgeht, wird sich bei der Wahl am 22. September zeigen. Am Ende spielen die Wahlergebnisse der AfD aber nicht nur für den Osten Deutschlands eine Rolle.

Werner Krause, Parteienforscher am Lehrbereich für Vergleichende Politikwissenschaft an der Universität Potsdam, sagt zu FOCUS online: „Aus der Forschung wissen wir, dass die AfD vor allem wegen ihrer Positionen gewählt wird - nicht nur aus Protest.“ Krause glaubt, dass sie sich nicht nur in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, sondern bundesweit zunehmend radikalisiert.

Dazu würde die Reaktion der Bundesgeschäftsstelle auf die Frage, ob sich die AfD angesichts des Wahlerfolges in Thüringen künftig noch weniger von rechtsextremen Kräften distanzieren wird, passen.

„Die AfD [...] wird ihren konsequenten Kurs für die Interessen unserer Bürger und für eine bessere Zukunft Deutschlands weiter unbeirrt fortsetzen gemäß dem Motto 'Unser Land zuerst'“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme. Eine klare Abgrenzung nach radikal-rechts sieht anders aus.

„Die öffentliche Debatte hat sich verschoben“

Für Krause ist klar: Die AfD ist bestrebt, den „radikalsten Kurs von allen“ in der Migrationspolitik zu vertreten. Und der Erfolg der Partei bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen hat offenbar etwas ins Rollen gebracht.

Viele Parteien diskutieren plötzlich härter über das Thema Migration, CDU-Chef Friedrich Merz fordert massive Zurückweisungen an der Grenze, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat kürzlich Grenzkontrollen angeordnet.

Für manche mag das aussehen, als käme endlich Bewegung in ein Thema, das viele Deutsche beschäftigt. Aber Experten warnen: „Die öffentliche Debatte hat sich verschoben. Es wird hauptsächlich darüber diskutiert, wie möglichst viele Menschen möglichst schnell abgeschoben werden können, wie möglichst viele schon an den Grenzen abgewiesen werden können“, sagt Krause.

Das kommt in seinen Augen der AfD zugute, spielt ihrer „Normalisierung“ in die Karten. „Der Abstand zu ehemals 'radikalen' Forderungen in der Migrationspolitik wird kleiner. Die AfD kann sich also noch weiter radikalisieren, um sich von den etablierten Parteien abzugrenzen.“

Das beobachtet übrigens auch Botsch in Brandenburg. „Je stärker die demokratischen Parteien versuchen, AfD-Positionen zu kopieren - insbesondere in der Migrationspolitik, aber auch im 'Bashing' der Grünen oder bezüglich der Ukraine -, desto schriller werden die Töne bei der AfD."