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Merkel: «Gespenstische Situation» im Katastrophengebiet

Kanzlerin im Katastrophengebiet: Begleitet von Rheinland-Pfalz' Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat Angela Merkel den Hochwasser-Hotspot Schuld besucht.
Kanzlerin im Katastrophengebiet: Begleitet von Rheinland-Pfalz' Ministerpräsidentin Malu Dreyer hat Angela Merkel den Hochwasser-Hotspot Schuld besucht.

Die Kanzlerin spricht nach der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz von einer Verwüstung, für die es kaum Worte gebe. Sie verspricht schnelle Hilfe und beschleunigte Maßnahmen zum Klimaschutz.

Adenau (dpa) - Bei einem Besuch des weitgehend zerstörten Eifeldorfs Schuld hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) der Katastrophenregion umfassende Hilfe zugesagt. Die Regierungschefin sprach am Sonntag mit Bewohnern zerstörter Häuser und mit Einsatzkräften.

Sie zeigte sich betroffen vom Ausmaß der Schäden im Kreis Ahrweiler und kündigte für August einen weiteren Besuch an. «Wir müssen schneller werden im Kampf gegen den Klimawandel», sagte Merkel. «Wir müssen auch der Anpassung noch größere Aufmerksamkeit zuwenden.» Die Mitigation, also die Anpassung an Auswirkungen von Klimawandel wie Dürre und Extremregen, sei nicht nur für Afrika ein Thema, sondern auch für Deutschland.

«Schuld wird nie wieder der Ort sein, der er mal war», sagte Ortsbürgermeister Helmut Lussi unter Tränen. Die Schäden allein in seinem Dorf habe ein Sachverständiger auf 31 bis 48 Millionen Euro beziffert.

«Schnell handeln, aber mit langem Atem»

«Wir stehen an Ihrer Seite», versprach Merkel an die Adresse der anwesenden Bürgermeister und der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). «Bund und Land werden gemeinsam handeln, um die Welt wieder Schritt für Schritt in Ordnung zu bringen in dieser wunderschönen Gegend.» Es gehe darum, schnell zu handeln, aber mit langem Atem. Am Mittwoch werde die Bundesregierung ein Programm verabschieden für schnelle Hilfen, mittelfristige Aufgaben und die Wiederherstellung der Infrastruktur.

Sie sei stellvertretend für alle betroffenen Gemeinden nach Schuld gekommen, sagte Merkel später vor dem Rathaus der Verbandsgemeinde Adenau, zu der das tiefer gelegene Schuld gehört. Sie habe sich an der Seite der Ministerpräsidentin «ein reales Bild von der surrealen, gespenstischen Situation» machen wollen. Die deutsche Sprache kenne kaum ein Wort für die dort angerichteten Verwüstungen.

Beruhigend sei die tatkräftige gegenseitige Hilfe, sagte Merkel. Deutschland sei ein starkes Land, das die jetzt anstehenden Aufgaben stemmen könne. Aber «ganz kurzfristig wird das hier nicht wieder alles in Ordnung sein».

Der Wiederaufbau werde Monate dauern, sagte Verbandsbürgermeister Guido Nisius (CDU). Aber: «Uns Eifeler im Adenauer Land zeichnet aus: Wir schwätzen nicht, wir packen an.» Nisius rief dazu auf, keine weiteren Sachspenden abzugeben. «Wenn Sie uns zielgerichtet helfen wollen, spenden Sie Geld!»

Ministerpräsidentin Dreyer sprach von einem «Kraftakt auf lange, lange Zeit». Sie sei dankbar, dass Merkel gekommen sei. «Wir haben viele, viele Menschen, die am Herzen, in der Seele, in der Psyche sehr stark leiden.»

Allein 110 Tote im Kreis Ahrweiler

Die Suche nach weiteren Opfern in den teils völlig zerstörten Ortschaften ging am Sonntag unvermindert weiter. Durch die Unwetterkatastrophe sind allein im Landkreis Ahrweiler 110 Menschen ums Leben gekommen. Zudem wurden zuletzt 670 Verletzte gezählt. «Es ist zu befürchten, dass noch weitere Todesopfer hinzukommen», berichtete die Polizei am Sonntag.Vier Tage nach den verheerenden Unwettern in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der Todesopfer auf mehr als 150 gestiegen. Zerstörte Häuser, Brücken, Straßen und Bahnstrecken - die Wassermassen haben eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. In Belgien hat die Hochwasserkatastrophe mindestens 31 Menschen das Leben gekostet, wie das Nationale Krisenzentrum am Sonntag mitteilte.

In Nordrhein-Westfalen lag die Zahl der bestätigten Todesopfer zuletzt bei 46, darunter waren vier Feuerwehrleute. Im Hochwasser-Hotspot Erftstadt westlich von Köln suchen immer noch zahlreiche Menschen nach ihren Angehörigen. Bisher wurden nach Angaben der Stadt bei der «Personenauskunftsstelle» 59 Menschen gemeldet, deren Aufenthaltsort ungewiss ist.

Im Stadtteil Blessem wollten Fachleute am Sonntag die Stabilität des Untergrunds prüfen. Sie sollen nach Angaben der Stadt die Abbruchkanten eines Erdrutsches untersuchen. Die Lage sei unverändert angespannt. In Blessem war durch die Fluten ein riesiger Krater entstanden. Mindestens drei Wohnhäuser und ein Teil der Burg stürzten ein.

Einen Rückschlag gab es bei Euskirchen an der Steinbachtalsperre südwestlich von Bonn. Dort fließt das Wasser langsamer als erwartet ab. Eigentlich hatten die Behörden gehofft, am Sonntagnachmittag Entwarnung geben zu können. Aus der Talsperre wird Wasser abgelassen, um Druck von dem Damm zu nehmen.

Scholz: «Es geht um Milliarden Euro»

Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat unterdessen Soforthilfen in dreistelliger Millionenhöhe für die Betroffenen der Hochwasserkatastrophe im Westen in Aussicht gestellt. «Es braucht einen nationalen Kraftakt», sagte der SPD-Politiker der «Bild am Sonntag». Er wolle am Mittwoch im Kabinett zwei Dinge auf den Tisch legen. «Erstens eine Soforthilfe, bei der letzten Flut waren dafür deutlich mehr als 300 Millionen Euro nötig. Da wird jetzt sicher wieder so viel gebraucht», erläuterte Scholz.

«Zweitens müssen wir die Grundlage für ein Aufbauprogramm schaffen, damit die zerstörten Häuser, Straßen und Brücken zügig repariert werden. Wie wir von der vorherigen Katastrophe wissen, geht es um Milliarden Euro.»

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU), der am Samstag mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Katastrophengebiet in Erftstadt besucht hatte, versprach Direkthilfe für die betroffenen Menschen und sagte zu, dass «sehr unbürokratisch Geld ausgezahlt» werde.

Steinmeier hatte zu Solidarität und Spenden für die Opfer aufgerufen. «Die Unterstützungsbereitschaft, sie muss anhalten, im Großen wie im Kleinen», sagte er. Für Montag hat sich Bundesinnenminister Horst Seehofer in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz angekündigt.