Spitzen-Grüne warnen vor Sparkurs und attackieren Merz - Nouripour & Lang wiedergewählt

Die beiden Grünen-Chefs Lang und Nouripour machen weiter. Die Delegierten beim Parteitag in Karlsruhe gewährten ihnen eine zweite Amtszeit. Doch nur einer von beiden holt ein besseres Ergebnis als beim ersten Mal.

Omid Nouripour und Ricarda Lang.
Omid Nouripour und Ricarda Lang.

Die CO-Vorsitzenden der Grünen, Ricarda Lang und Omid Nouripour, sind wiedergewählt worden. Die Delegierten beim Parteitag in Karlsruhe ermöglichten beiden damit am Freitag eine weitere zweijährige Amtszeit. Lang trat auf dem für Frauen reservierten Platz ohne Gegenkandidatinnen an, Nouripour setzte sich gegen den Außenseiter-Kandidaten Philipp Schmagold aus Schleswig-Holstein durch.

Lang erhielt 82,3 Prozent der Stimmen, Nouripour 79,1 Prozent. Schmagold kam auf 12,0 Prozent. Die mit digitalen Stimmgeräten durchgeführte Wahl sollte noch beim Parteitag in Karlsruhe mit Stift und Zettel bestätigt werden, Ergebnisse sollten am Samstag vorliegen.

Lang holte damit ein besseres Ergebnis als bei ihrer ersten Wahl. Sie hatte im Januar 2022 bei einem digitalen Parteitag 75,93 Prozent der Stimmen erhalten. Die Wahl musste damals noch per Brief bestätigt werden, dabei erhielt sie 78,73 Prozent der Stimmen. Nouripour schnitt schlechter ab: Er hatte 2022 zunächst 82,6 Prozent bekommen und bei der späteren Briefwahl 91,7 Prozent, bei zwei Gegenkandidaten.

Lang kommt aus Baden-Württemberg und rechnet sich dem linken Parteiflügel zu. Sie ist seit 2012 bei den Grünen und war auch schon Chefin der Nachwuchsorganisation Grüne Jugend. Ihr Schwerpunkt ist die Sozialpolitik. Nouripour ist Realo und langjähriger Bundestagsabgeordneter aus Frankfurt mit einem Fokus auf die Außenpolitik.

Robert Habeck und Annalena Baerbock.
Robert Habeck und Annalena Baerbock.

Lang und Nouripour arbeiten ohne ersichtliche Probleme zusammen. Beide treten weniger profiliert auf als ihre Vorgänger an der Parteispitze, Robert Habeck und Annalena Baerbock, die inzwischen als Minister deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie setzen den Kurs Habecks und Baerbocks fort und versuchen, die Grünen für mehr Menschen jenseits der Kernklientel wählbar zu machen - was laut Umfragen zuletzt aber weniger gelang.

Scharfe Kritik an Merz

Mit scharfen Attacken auf Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) haben die Grünen ihren Bundesparteitag eingeläutet. «Leute, ihr seid nicht einmal oppositionsfähig», rief der Parteivorsitzende Omid Nouripour in Karlsruhe an die Adresse der Union. «Das kann doch nicht sein, dass eine Opposition mehr die Niederlage der Regierung will als den Erfolg des Landes», sagte er mit Blick auf die Genugtuung der CDU/CSU nach ihrer erfolgreichen Verfassungsklage gegen die Haushaltspolitik der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP.

Friedrich Merz.
Friedrich Merz.

Wirtschaftsminister Robert Habeck erklärte, die CDU unter Friedrich Merz sei eine «Partei von gestern, angeführt von einem Vorsitzenden von vorgestern». Die Leipziger Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta warnte: «Eine Zukunft unter Merz, das wisst ihr ganz genau, wäre eine Zukunft in der Vergangenheit.» Bei früheren Parteitagen war deutlich mehr Kritik am Koalitionspartner FDP zu hören gewesen - nun keilt die Partei lieber gegen CDU und CSU.

«Wir stören in der Mitte, weil wir in der Mitte sind»

«Wir werden Lösungen finden», versprach Nouripour. «Kaputtsparen geht nicht.» Es brauche unter anderem ein funktionierendes Wasserstoffnetz und Ladeinfrastruktur für Elektroautos. Für all das seien Investitionen nötig. «Wir müssen natürlich die Schuldenbremse reformieren», betonte der Parteichef. Diese werde den Herausforderungen nicht mehr gerecht. Er dankte Finanzminister Christian Lindner (FDP) dafür, dass sie für das laufende Jahr ausgesetzt wurde. «Herzlichen Dank dafür!»

Weitere Infos dazu gibt's hier: Ampel-Koalition will für 2023 Schuldenbremse aussetzen

Die Regierungsbeteiligung der Grünen habe Wirkung gezeigt, sagte Nouripour, die Partei habe «unglaublich viel erreicht». Die Energiewende sei nun unumkehrbar. Die Grünen würden von vielen Seiten angegriffen. Habeck sagte: «Wir stören in der Mitte, weil wir in der Mitte sind.»

Es muss unser Auftrag sein, dass vor Synagogen in diesem Land keine Polizeiautos mehr stehen müssen.Omid Nouripour

Nouripour erinnerte an den Nationalsozialismus und appellierte: «Es muss unser Auftrag sein, dass vor Synagogen in diesem Land keine Polizeiautos mehr stehen müssen.» Er forderte die Freilassung der Geiseln in den Händen der Hamas und betonte sein Mitgefühl für das Leid der Menschen in Gaza, für das er die Hamas in die Verantwortung nahm. Zugleich dürften die Menschen, die unter dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine litten, nicht vergessen werden.

Habeck fordert «zeitgemäßes Update der Schuldenbremse»

Wirtschaftsminister Habeck erklärte, der Parteitag finde statt in «einer Zeit der Ungewissheit und Unsicherheit». Er fügte hinzu: «Deutschland steht unter Druck, und alle spüren ihn.» Die Ukraine müsse weiter von Deutschland unterstützt werden «mit Waffen, mit Geld, mit Wiederaufbau».

Weitere Infos zum Bundesparteitag der Grünen gibt's auch im Video:

«Ich bin für die Schuldenbremse», beteuerte Habeck. Doch so starr wie die Schuldenregeln einst konstruiert worden seien, passten sie nicht mehr in die aktuelle Zeit der multiplen Krisen. Es brauche nun «ein zeitgemäßes Update der Schuldenbremse».

Die stellvertretende Bundesvorsitzende, Pegah Edalatian, versprach zu Beginn: «Wir übernehmen Verantwortung, wo andere sich wegducken. Wir führen Debatten, wo sich andere scheuen.» Beim Thema Israel wollte der Bundesvorstand jedoch wohl lieber auf Nummer sicher gehen. Über einen Antrag des Bundesvorstandes mit dem Titel «Solidarität mit Israel: Für Frieden, gegen Hass und Terror» sollte noch am späten Abend abgestimmt werden. Anders als bei anderen Debatten wurden hier keine Redner ausgelost.

Zum Nahost-Konflikt wurden eine Rede von Außenministerin Annalena Baerbock und Beiträge von zwei externen Rednerinnen erwartet. Es sei wichtig, dass es ein «Solidaritätszeichen gibt zu Israel, auch ein klares Zeichen zum Thema Antisemitismus», sagte die politische Geschäftsführerin der Grünen, Emily Büning. Man habe entschieden, «da keine weiteren Debattenbeiträge zu machen».

Kretschmann zur Asylreform: «Das ist der richtige Kurs»

Eine ursprünglich für Donnerstagabend vorgesehene Debatte zur Migrationspolitik rutscht durch die Änderung des Ablaufplans in die Nacht zu Sonntag. Der Delegierte Simon Haack sagte, die Grünen müssten eine Partei sein, «die für die Humanität kämpft». Denn ein Teil der Menschen, die ihr Kreuz bei den Grünen machten, «wählen uns auch, weil sich unsere Migrationspolitik vom Abschottungsnarrativ absetzt».

Winfried Kretschmann.
Winfried Kretschmann.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann bescheinigte seiner Partei in seiner Rede mit Blick auf diverse Politikfelder: «Realitätscheck bestanden». Er ermahnte sie, Politik für das ganze Land zu machen und nicht nur für die eigene Anhängerschaft. Zur bei den Grünen äußerst umstrittenen Reform der europäischen Asylpolitik und den Beschlüssen der Ministerpräsidentenkonferenz, die weniger Leistungen für Asylbewerber vorsehen, sagte Kretschmann: «Ich bin überzeugt, das ist der richtige Kurs.»

Bis Sonntag wollen die 825 Delegierten der Grünen in Karlsruhe auch den sechsköpfigen Bundesvorstand und weitere Gremien neu besetzen. Die Co-Vorsitzenden, Ricarda Lang und Nouripour, kandidieren beide erneut. Für die Europawahl im kommenden Juni sollen in Karlsruhe ein Programm verabschiedet und eine Kandidatenliste aufgestellt werden. Der Parteitag steht unter dem Motto «Machen, was zählt».

Im Video: Baerbock fordert tiefgreifende EU-Reform