Laut Experten erst der Anfang - „Inflation außer Kontrolle“: Putins Wirtschaft kippt, Russen-Ökonomen alarmiert

Der IWF hat für Russland im Januar für das Jahr 2024 ein Wachstum von 2,6 Prozent vorhergesagt.<span class="copyright">Getty Images/Anton Petrus</span>
Der IWF hat für Russland im Januar für das Jahr 2024 ein Wachstum von 2,6 Prozent vorhergesagt.Getty Images/Anton Petrus

Russlands Wirtschaft zeigte sich bisher überraschend widerstandsfähig – doch jetzt scheint das System ins Wanken zu geraten. Der Ukraine-Krieg tobt weiter, die Inflation geht durch die Decke – und das ist laut Experten erst der Anfang.

Fast drei Jahre lang überraschte Russland sowohl sich selbst als auch die Welt: Trotz Krieg und hoher Sanktionen zeigte sich die Wirtschaft seit dem Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 erstaunlich widerstandsfähig. Geschickte Maßnahmen der Zentralbank, kluge Entscheidungen der Wirtschaftspolitik und die Anpassungsfähigkeit privater Unternehmer verhinderten ein größeres Einbrechen der Konjunktur.

„Seit Anfang 2024 ist die russische Wirtschaft kaum noch gewachsen“

Selbst im ersten Kriegsjahr 2022 schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur um 1,2 Prozent. Ein Jahr später legte die Wirtschaft sogar um 3,6 Prozent zu, angetrieben von den hohen Rüstungsausgaben.

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Doch jetzt scheint sich das Blatt zu wenden: „Ein relativ guter Zeitraum für die russische Wirtschaft, der auf zuvor angehäuften Ressourcen gründete, ist vorbei“, so Oleg Vjugin, Ökonom und ehemaliger Vizechef der russischen Zentralbank im Gespräch mit der „Welt“.

Eine Entwicklung, die sich laut Wirtschaftsexperten schon länger abzeichnete: „Seit Anfang 2024 ist die russische Wirtschaft kaum noch gewachsen“, warnte bereits im November letzten Jahres der Russland-Experte der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik, Janis Kluge in der „Welt“. Frühindikatoren wie der S&P-Einkaufsmanagerindex für die russische Industrie hätten bereits im September 2024 auf einen Rückgang der Produktion schließen lassen – zum ersten Mal seit 2022.

Russen-Ökonom: „Die Inflation ist außer Kontrolle“

Die vorangegangene Überhitzung der russischen Wirtschaft, die nach Ansicht von Ökonomen nicht nur auf die hohen Staatsausgaben für den Krieg zurückzuführen war, sondern auch auf die historisch niedrige Arbeitslosigkeit, die durch den Geburtenrückgang und die Massenauswanderung junger Männer verursacht wurde, trieb die Löhne um durchschnittlich 19 Prozent in die Höhe.

Ein unschöner Nebeneffekt: Die Inflation ging durch die Decke: Im Dezember 2024 stieg sie laut dem Datenerhebungs-Portal „Statista“ auf satte 9,5 Prozent, nachdem sie im November noch bei 8,9 Prozent lag.

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Liam Peach, leitender Schwellenmarktökonom bei „Capital Economics“, warnte erst kürzlich in der „Frankfurter Rundschau“: „Die Inflation ist außer Kontrolle und wir glauben, dass die Tendenz zu einer weiteren Straffung der Geldpolitik in den kommenden Monaten bestehen bleibt, da die Inflation weiter steigt und die Inflationserwartungen hoch bleiben.“

Die russische Zentralbank, traditionell auf den Kampf gegen Inflation fokussiert, versuchte durch Anhebung des Leitzinses verzweifelt, die Preissteigerungen zu bremsen. Im Juli 2023 lag der Leitzins nach Informationen der „Frankfurter Rundschau“ bei 7,5 Prozent – ein Jahr später bei stolzen 21 Prozent. Doch der Erfolg blieb aus. Stattdessen bremste die Maßnahme das Wirtschaftswachstum nur noch mehr.

2025: Gestoppter Gas-Transit und US-Sanktionen schaden russischer Wirtschaft

Das bekommt auch die Bevölkerung zu spüren: Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Preise für Kartoffeln 2024 fast um 100 Prozent, Butter kostete fast 40 Prozent mehr. Putin entschuldigte sich in einer Rede im Dezember außerdem für die hohen Eierpreise und nannte sie einen „Fehler der Regierung“.

Doch auch bei Gas-, Kommunal- und Verkehrstarifen mussten die Bürger kräftig in die Tasche greifen. Dies war nötig, um den Gaskonzern Gazprom zu entschädigen, nachdem er zu Kriegsbeginn mit erheblichen Sonderabgaben für den Krieg belastet wurde. „Die hohe Inflation macht all die kurzlebigen Erfolge der vergangenen drei Jahre zunichte“, so Wirtschaftsexperte Vjugin.

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Und auch das Jahr 2025 beginnt für Russlands Wirtschaft unter äußerst schwierigen Vorzeichen. In seiner Neujahrsansprache versicherte Putin der Bevölkerung zwar, dass „alles gut wird“.

Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache: Bereits in den letzten drei Jahren ist der Gas-Transit durch die Ukraine stark reduziert worden, Anfang 2025 kam es jetzt zu einem vollständigen Stopp.

Am 10. Januar verhängte der scheidende US-Präsident Joe Biden außerdem neue Strafmaßnahmen gegen die beiden Energiekonzerne Gazprom Neft und Surgutneftegas, mehrere Versicherungsgesellschaften sowie mehr als 180 Tanker.

Entscheidungsträger halten sich für „unverwundbar“

„Die aktuelle Situation erinnert an die Wochen nach Kriegsbeginn 2022, als die Leute angesichts des Schocks erst Klarheit gewinnen mussten, was ab- und wie es weitergeht“, so Wladislaw Inozemcew, russischstämmiger Ökonom und Mitbegründer des Zentrums für Analysen und Strategien in Europa (CASE) im Gespräch mit der „Welt“. „Auch jetzt erwarten die Leute nervös, dass es schlechter wird, wissen aber nicht, ob es zu einer Katastrophe oder nur zu einer Delle kommt.“

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Laut Inozemcew besteht ein entscheidender Unterschied zu 2022 allerdings darin, dass die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger und die Zentralbank nun nicht mehr im Einklang handeln:

„Damals waren sie selbst so schockiert, dass sie sich gemeinsam anstrengten und die Situation mit den nötigen Anpassungen auch tatsächlich meisterten. Jetzt bräuchte es einen zweiten Kraftakt der Anpassung. Aber inzwischen sind sie überheblich geworden und halten sich für unverwundbar, sodass jeder seine eigenen Interessen verfolgt, wie man zuletzt etwa bei der Abwertung des Rubels sah. Das macht die Situation gefährlich.“