Leadership-Experte kommentiert - Olympia zeigt, wieso Leistung wieder wichtig werden muss - schon bei unseren Kindern

Leistung ist wichtig in Sport, Wirtschaft und Gesellschaft, sagt Leadership-Experte Kishor Sridhar. Auch die Olympiade zeigt das.<span class="copyright">kovop/Shutterstock.com</span>
Leistung ist wichtig in Sport, Wirtschaft und Gesellschaft, sagt Leadership-Experte Kishor Sridhar. Auch die Olympiade zeigt das.kovop/Shutterstock.com

Die Reform der Bundesjugendspiele ist Quatsch. Leistung ist wichtig in Sport, Wirtschaft und Gesellschaft, sagt Leadership-Experte Kishor Sridhar und fordert eine Rückkehr zu Leistungsorientierung bereits bei Kindern.

Eins vorweg: Ich hatte ein Abo auf die Teilnehmerurkunde, also den Trostpreis bei den Bundesjugendspielen. Ich habe nur einmal eine Siegerurkunde bei den Bundesjugendspielen bekommen, beim Turnen. Bis heute bin ich der Überzeugung, dass der Lehrer entweder Mitleid mit mir hatte oder sich verrechnet hat. Für meinen jüngeren Bruder hingegen war die Siegerurkunde eine Demütigung. Selbstverständlich holte er bis auf einmal nur Ehrenurkunden. Mein Sieg wäre für ihn eine Niederlage gewesen.

Nein, Sport war nicht mein Ding. Dafür konnte ich andere Dinge sehr gut. Andere Klassenkameraden konnten eigentlich gar nichts gut, sind aber heute erfolgreicher als alle anderen. Warum das so ist? Dazu gleich mehr.

Die Reform der Bundesjugendspiele raubt unserer Jugend die Chance auf Erfolgserlebnisse

Die Bundesjugendspiele wurden reformiert, um den Fokus weniger auf individuelle Wettkampfergebnisse und mehr auf Bewegung, Spaß und Teamgeist zu legen. Der Hauptgrund für die Abschaffung der traditionellen zentimetergenauen und sekundengenauen Bewertung ist, dass diese oft zu Stress und Frustration bei den Schülern führte, insbesondere bei denen, die im sportlichen Bereich schwächer sind.

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Ich kenne niemanden, der wegen eines schlechten Abschneidens ein Trauma erlitten hat, aber ich kenne einige, die durch ein gutes Abschneiden angespornt wurden, mehr zu geben und sogar in den Leistungssport gegangen sind.

Und das ist genau das Problem, das wir in der Gesellschaft immer öfter erleben und das mir auch in der Führungskräfteentwicklung und im Change-Management zunehmend begegnet: Niederlagen formen. Sie zeigen uns, was wir gut können und was nicht und wo wir uns verbessern können.

Eines meiner Kinder war stolz darauf, in Mathe eine Vier zu bekommen, weil es hart dafür gearbeitet hat. Ein anderes war deprimiert, weil es 'nur' eine Zwei bekommen hat. Kinder sind viel besser in der Lage, ihr Leistungsvermögen einzuschätzen, als wir meinen.

Keine Gesellschaft funktioniert im Kuschelmodus

Wir können nicht die ganze Gesellschaft in den Kuschelmodus versetzen. In der Arbeitswelt sieht es anders aus und spätestens im internationalen Wettbewerb ist Wettbewerbsgeist gefragt, sowohl bei der Olympiade als auch in der Wirtschaft. Was man als Kind nicht lernt, wird einem nicht plötzlich im Erwachsenenalter zufallen.

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In der Mitarbeiter- und Führungskräfteentwicklung lege ich Wert auf emotionale Aspekte, nicht auf reine Ellenbogenmentalität. Dennoch ist ein sportlicher Wettbewerbsgeist wichtig. Und ein Unternehmen wird ohne Kennzahlen und Leistungsindikatoren nicht erfolgreich sein. Genau dieses Verständnis nehmen wir einer ganzen Generation.

Kinder werden mit Methoden beurteilt, die wir Mitarbeitern nicht zumuten würden

In vielen Bundesländern wurden in Grundschulklassen Zeugnisse mit Bewertungen abgeschafft und dafür sogenannte Entwicklungsgespräche eingeführt. Wie leider so oft im Bildungswesen gilt auch hier: gut gemeint ist noch lange nicht gut gemacht. Dort wurde etwas eingeführt, das zwar den Druck auf die Kinder vermeiden sollte, aber in Wahrheit unnötigen psychologischen Stress auf sie ausübt. Ähnliches sind wir dabei, in der Mitarbeiterentwicklung abzuschaffen, weil der psychologische Druck nachweislich zu groß ist.

Noten oder Bewertungen erzeugten zu viel Druck und einige der Eltern seien in der Kommunikation überfordert, sind nur einige der vielen Argumente. Kinder sollen ihre Leistung selbst anhand von Smileys einschätzen können, dann bekommen sie das Feedback der Lehrkraft in Anwesenheit der Eltern, die oft dem Gespräch aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse kaum folgen können. Dadurch fügen wir den Kindern emotionale Verletzungen zu, die wir heutzutage Mitarbeitern nicht mehr zumuten würden. Die Gründe dafür sind einfach und gelten sowohl für Mitarbeiter als auch für Kinder gleichermaßen:

  1. Im besten Fall entspricht die eigene Einschätzung der der Lehrkraft/Führungskraft. Dann kann man konstruktiv zusammenarbeiten. Das ist aber leider selten der Fall.

  2. Man schätzt sich schlechter ein als die Lehrkraft/Führungskraft. Folge: Man ist verwirrt, zweifelt am eigenen Urteilsvermögen und ärgert sich darüber, sich selbst schlechter eingeschätzt zu haben.

  3. Man schätzt sich besser ein als die Lehrkraft/Führungskraft. Folge: Man ist deprimiert und zweifelt an sich selbst.

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Während man als Mitarbeiter diese Dinge noch mit der Führungskraft diskutieren kann und es im geschützten Rahmen bleibt, erleben Eltern in der Schule das Gespräch mit. Für das Kind bedeutet das: Es wird vor denjenigen bloßgestellt, die es am meisten liebt. Was macht das mit den Kindern? Im Vergleich dazu sind Noten oder Urkunden bei den Bundesjugendspielen ein Witz.

Es ist bezeichnend, dass einerseits im Erwachsenenalter Leistung erwartet wird und andererseits den Kindern etwas anderes beigebracht wird, nämlich dass Leistung unwichtig sei, während wir sie gleichzeitig in psychologische Stresssituationen aussetzen, die wir Mitarbeitern nicht mehr zumuten würden.

Leistung bewerten oder lieber nicht? Die Wissenschaft ist uneinig

Studien zu diesem Thema sind übrigens gar nicht so eindeutig, wie man meint. Die US-amerikanischen Psychologen Duda und Nicholls fanden 1992 heraus, dass Sportprogramme, die Teamarbeit und Kooperation betonen, positive Effekte auf die soziale Entwicklung haben. Dies ist wahrscheinlich auch Grundlage der neuen Bundesjugendspiele.

Die israelischen Psychologinnen Butler und Nisan wiesen nach, dass die Betonung von Noten und Bewertungen im Sportunterricht zu erhöhtem Stress führen kann, besonders bei weniger sportlichen Schülern. Das Gleiche geschieht aber auch bei Mathematik, Deutsch etc. Wenn das alte Urkundensystem der Bundesjugendspiele so schlimm war, warum gibt es dann noch Schulnoten im Sport? Das löst doch regelmäßig viel mehr Druck aus.

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Um ein wenig Klarheit über die vielfältigen Forschungsergebnisse zu finden, führten die Psychologen Deci, Koestner und Ryan von der University of Rochester eine Meta-Analyse von 128 Studien durch und fanden heraus, dass externe Belohnungen, wenn sie als Anerkennung für Kompetenz und Leistung gesehen werden, die intrinsische Motivation erhöhen können. Ja, Leistungsbewertungen können also durchaus frustrierend sein, aber andererseits brauchen wir sie, um uns selbst zu messen und zu motivieren. Jeder Freizeitsportler wird das bestätigen können, auch ganz ohne Studien.

Es lohnt mal auf die eigene Lebenserfahrung zu schauen

Aber vielleicht helfen hier auch persönliche Erfahrungswerte. Warum sind denn, wie eingangs erwähnt, jene Kinder später im Leben erfolgreich, die in keinem Bereich – weder im Sport noch in der Schule – Exzellenz gezeigt haben? Weil sie gelernt haben, ihre Grenzen zu erkennen, anhand eines ganz einfachen Notensystems, und dann gelernt haben, sich durchzubeißen. Welcher Mitarbeiter oder welche Mitarbeiterin ist Ihnen lieber? Jene, die immer alles konnten, oder jene, die wissen, was es heißt, sich durchzukämpfen?

Leistungsfähigkeit bedeutet, seine Grenzen aufgezeigt zu bekommen und diese dann überwinden zu wollen. Bei den Bundesjugendspielen wurden mir meine Grenzen aufgezeigt. Ich hatte kein Interesse daran, sie zu überwinden. In anderen Fächern wurde mir ebenfalls gezeigt, was ich nicht konnte, aber dort hat es meinen Ehrgeiz entfacht und ich wollte besser werden. Deswegen schreibe ich jetzt hier und habe nie an der Olympiade teilgenommen.

Olympia: Dabei sein ist viel, aber nicht alles

Wir sollten Kinder behutsam an Leistung heranführen und keine Experimente mit ihnen machen. Das schließt auch die geliebten und zugleich gehassten Urkunden bei den Bundesjugendspielen ein. Klar, das Motto der Olympiade lautet: „Dabei sein ist alles.“

Aber auch mit 61 Jahren, als älteste Teilnehmerin der Olympischen Spiele, ist die chinesische Tischtennisspielerin Ni Xia Lian zwar chancenlos. Doch um überhaupt teilnehmen zu können, hat sie enorm viel leisten müssen und über mehrere Lebensjahrzehnte Rückschläge erleiden müssen. Und dann fiebern wir auch mit jenen mit, die um die vordersten Plätze oder gar den Sieg ringen.

Und wenn dann ein Lukas Märtens die Goldmedaille im 400 Meter Freistil holt, dann sollten wir uns die Frage stellen, wie viele Niederlagen, wie viel Frust er erlitten hat, um dort stehen zu dürfen. Erfolg ist immer ein harter Weg. Je früher wir ihn in der Jugend spielerisch lernen, umso besser.