Leadership-Profi zum Desaster - Das schlechteste Olympia-Ergebnis aller Zeiten sagt viel über unser Land

Das schlechteste Abschneiden aller Zeiten bei einer Sommer-Olympiade deckt schonungslos die wahren Probleme in unserem Landes auf.<span class="copyright">Getty Images / Luke Hales / Staff</span>
Das schlechteste Abschneiden aller Zeiten bei einer Sommer-Olympiade deckt schonungslos die wahren Probleme in unserem Landes auf.Getty Images / Luke Hales / Staff

Das schlechteste Abschneiden aller Zeiten bei Sommer-Olympia deckt schonungslos die wahren Probleme in unserem Land auf - nicht nur in Sport, sondern auch in Wirtschaft und Politik, sagt Kishor Sridhar. Laut dem Leadership-Profi ist es Zeit, diese offen anzusprechen.

Sportliche Erfolge sind mehr als Unterhaltung, sie sagen viel über ein Land aus. Der Soziologe Pierre Bourdieu prägte das Konzept des kulturellen Kapitals eines Landes, dass sich aus dessen kulturellen Leistungen, wirtschaftlichen Erfolgen, Ruf, Prestige und sportlichen Erfolgen. Pierre Bourdieu zeigte, dass sich positive und negative Entwicklungen in einem Land oft in allen diesen Bereichen widerspiegeln. Die Olympischen Spiele sagen uns somit einiges über den Zustand unseres Landes insgesamt aus und geben uns spannende Einblicke, die uns zum Nachdenken anregen sollten:

1. Deutschland ist nicht mehr Weltspitze

Das schlechte Abschneiden Deutschlands bei der Olympiade würde nicht unserem Potential entsprechen heißt es. Doch tatsächlich befinden wir uns auf einem langsamen Abstieg. Während wir früher immer auf Platz 5 bis 6 standen, sind wir nach dem 9. Platz 2020 nun auf den 10. Platz abgerutscht. Wobei diesmal Russland nicht dabei war. Sonst wären wir sogar auf Platz 11 gelandet. Unser kleiner Nachbar, die Niederlande, liegt nun vor uns auf Platz 6.

Das soll nicht die Leistungen der einzelnen deutschen Athleten schmälern, auf die wir stolz sein sollten. Etwas liegt allgemein im deutschen System im Argen, was übrigens auch Sportler und Funktionäre so sehen. Ähnliches erleben wir in der Wirtschaft. Seit etwa fünf Jahren verlieren wir unsere Spitzenpositionen in den verschiedensten Bereichen. Die einzelnen Akteure (im Sport die Athleten, in der Wirtschaft die Unternehmen bis hin zum kleinen Mittelständler) geben ihr Bestes, aber das System erlaubt es einfach nicht mehr, an der Weltspitze zu bleiben.

2. Bürokratie würgt Leistung ab

Der Sportvorstand des deutschen Leichtathletik-Verbands, Jörg Bürgner, hat es in einem Satz zusammengefasst: „Wir schreiben Excel-Tabellen, während andere trainieren – und das kann nicht sein. Das ist ausgeufert. Wir müssen die Bürokratie abbauen und uns um Trainingsinhalte kümmern.“ Genau diesen Satz würde jeder Unternehmer, mit dem ich bis jetzt zusammengearbeitet habe, in Deutschland genauso unterschreiben. Wir ersticken an Bürokratie, und selbst ein groß angelegter Bürokratieabbau hilft nicht, wenn jeden Monat neue Ideen für Dokumentationen aus der Politik kommen, um Unternehmen und deren Abläufe noch „transparenter“ zu machen.

Das sind nicht einfach persönliche Eindrücke aus der Change-Beratung, sondern in den letzten zehn Jahren ist Deutschland im Ranking des renommierten Schweizer Instituts für Managemententwicklung um zehn Plätze auf Platz 24 abgerutscht, aufgrund von Überbürokratisierung und zu starrer Struktur. Auch in der Change-Beratung erlebe ich inzwischen viele Unternehmen die vor Dokumentationsverliebtheit zu ersticken drohen. Es war mal gut gemeint war, aber bringt keinen Mehrwert bringt, sondern bremst aus. Kennzahlen, die keinen Mehrwert liefern, und Dokumentationsaufwand, der in keinem Verhältnis zum Nutzen steht, belasten die Unternehmen. Statt Transparenz und Leistungsförderung wird Unklarheit geschaffen und Leistung erstickt. Leistung statt Excel-Tabellen würde Jörg Bürgner sagen.

 

3. Leistungsgedanke in der Jugend wird nicht gefördert

Zudem bemängelt Sportvorstand Jörg Bürgner den Mangel an Nachwuchs in den Vereinen und in der Jugend. Das ist ein grundsätzliches Problem, wenn der Leistungsgedanke bereits in der Jugend nicht mehr gelebt wird. So wurde das alte Urkundensystem bei den Bundesjugendspielen abgeschafft, um das Miteinander zu fördern und weniger Druck aufzubauen. Auch der Olympiasieger im Schwergewicht, Matthias Steiner, hat dies in einem Interview bei FOCUS Online scharf kritisiert : Kinder wollen sich messen, sie haben Spaß daran. Doch wir nehmen ihnen diese Chance, so Matthias Steiner. Dies gilt jedoch auch im allgemeinen Leben. Leider haben ganze Generationen, die im Fürsorgesystem des Staates aufgewachsen sind, gar keine Leistung mehr vorgelebt bekommen.

Sinnvolle Bewertungen helfen der Orientierung, wie auch später in Unternehmen. Wenn sie fair und verständlich sind, dienen Leistungskennzahlen zur Orientierung und schaffen Eigenverantwortung. Unternehmen scheitern meist, wenn sie Kennzahlen verwenden, die Mitarbeiter nicht direkt beeinflussen können. In der Jugend gelten Noten als psychischer Terror und Urkunden bei Sportwettkämpfen als Belastung für jene, die nicht gut abschneiden. Doch eine Gesellschaft lebt nicht vom Mittelmaß, sondern immer von Spitzenleistung.

 

4. Mangelnde Kritikfähigkeit

Die genannten Probleme sind nicht neu; die Olympischen Spiele 2024 verdeutlichen sie lediglich wieder. Doch Entscheider sind oft nicht kritikfähig. Kajak-Olympiasieger Max Rendschmidt hat Bundeskanzler Olaf Scholz letzte Woche persönlich gegenüber geäußert, dass die Anwesenheit des Bundeskanzlers bei der Olympiade nicht wichtig sei. Er solle lieber Entscheidungen für den Sport treffen. Ferner ergänzte Rendschmidt seine Kritik später und bemängelte, dass die Liebe zum Sport in der Politik oft nur dann entdeckt werde, wenn Medaillen gewonnen werden. Es ließe sich noch hinzufügen: und die Liebe zur Wirtschaft und zu Unternehmen, wenn man Wahlen gewinnen möchte. Ansonsten geht kaum mehr Klartext, und wir können davon ausgehen, dass er in dem längeren persönlichen Gespräch noch mehr gesagt hat.

Doch selbstverständlich ist es einfacher, Kritik abperlen zu lassen. Sonst müsste man sein eigenes Handeln hinterfragen. Ein Sportler, der jedoch Kritik abperlen lässt, würde es nicht zu Olympia schaffen, während Politiker oder Führungskräfte damit oft nach oben kommen. Doch um oben zu bleiben, braucht es genau jene Kritikfähigkeit. Es zeigt sich immer wieder, dass jene Unternehmen und Führungskräfte, die sich bewusst Kritik einholen, langfristig und dauerhaft erfolgreich mit ihren Teams sind. Dann gibt es jene, die einfach nur nicken und sich dann einige Jahre später wundern, warum ihr Unternehmen abgehängt wurde.

 

Der Sprecher der Bundesregierung hat mit folgendem Satz auf Max Rendschmidts Kritik reagiert: „Dass es, was die Sportförderung betrifft, immer auch besser gehen kann, hat der Bundeskanzler aus den persönlichen Gesprächen mitgenommen.“ Das ist kein Ausdruck von Selbstkritik, sondern von Sturheit – eine Sturheit, die wir uns als Land nicht leisten können, wenn wir in Zukunft weiterhin an der Weltspitze sein wollen, sei es im Sport oder in der Politik.