Werbung

Wenn das Leben "erinnerungslastiger" wird

Warum gibt es eigentlich so wenige Liebesfilme über Geschwister? "Gloria, die schönste Kuh meiner Schwester" ist eine charmante Land-Tragikomödie, die zwei "Tatort"-Kommissare in ungewöhnlichen Rollen zusammenführt. Ein Interview über Zeiten im Leben, in denen man Familie "wiederentdeckt" und die Schwierigkeit, mit Kühen vor der Kamera zu stehen.

Ein Film mit zwei "Tatort"-Kommissaren, aber ganz ohne Mord. In "Gloria, die schönste Kuh meiner Schwester" (Freitag, 27. September, 20.15 Uhr, ARD) zeigen Axel Prahl und Dagmar Manzel, was sie als Klasse-Schauspieler auch in einem melancholisch-leichten Stoff zu bieten haben. Präzise und liebenswert spielen sie ein Geschwister-Paar im bäuerlichen Brandenburg, das sich nach Jahren des Schweigens wiedertrifft. Dass dabei eine Kuh die dritte Hauptrolle einnahm, machte die Dreharbeiten zu durchaus besonderen. Im Interview sprechen Dagmar Manzel, 61, und Axel Prahl, 59, über jene Lebensjahre, in denen Geschwister wieder wichtiger werden. Weil sie zu den wenigen gehören, die sich - außer einem selbst - noch an die gemeinsame Kindheit erinnern können.

teleschau: Es gibt viele Streifen über Liebespaare, Eltern und Kinder. Nur wenige Plots der Filmgeschichte erzählen vor allem von Geschwistern. Eine unterschätzte Beziehung?

Axel Prahl: Das ist eine Frage an die Filmindustrie. Abseits vom Krimi und vielleicht noch klassisch inszenierten Liebesgeschichten haben es andere Themen schwer. Vor allem, wenn man zur Primetime ins Fernsehen will.

Dagmar Manzel: Ingo Rasper, der Autor und Regisseur unseres Films, wollte unbedingt mit uns beiden drehen. Er hat uns den Plot sozusagen auf den Leib geschrieben. Da haben Axel und ich gesagt: Ja, super. Aber wir wollen keine klassische Love Story!

teleschau: Was ist anders, wenn man von Liebe und Zerwürfnisse zwischen Geschwistern erzählt?

Dagmar Manzel: Man geht von anderen Voraussetzungen aus. Geschwister haben eine selbstverständliche, natürliche Bindung aneinander. Es braucht keine Begegnung, kein Kennenlernen, kein Sich-trennen. Alles ist einfach da. So kann man Liebe und Schmerz anders erzählen.

Prahl: Es ist einfach, wie es ist. Man kann sich seine Familie nicht aussuchen und eigentlich auch nicht dauerhaft vor ihr weglaufen. Das ist der große Unterschied zu "gewählten" Beziehungen.

"Ab Mitte 30 oder 40 findet bei vielen eine Rückbesinnung auf die Familie statt"

teleschau: In welcher Geschwister-Konstellation sind Sie groß geworden?

Prahl: Ich bin mit einem Bruder aufgewachsen.

Dagmar Manzel: Ich habe zwei Brüder und zwei Schwestern. Aufgewachsen bin ich aber vor allem mit meinen Schwestern.

teleschau: Unterschätzen wir, wenn wir der Kindheit entwachsen sind, wie wichtig und prägend Geschwister für das eigene Leben sind?

Prahl: Ich habe das nie unterschätzt. Natürlich gibt es unterschiedliche Phasen im Leben. In der Kindheit und Jugend ist man gewöhnlich sehr eng miteinander. Daraus erwachsen Konkurrenz und Konflikte. Dann kommt die Phase als junger Erwachsener, wo man sich vom Elternhaus emanzipieren will. Ab Mitte 30 oder 40 findet bei vielen eine Rückbesinnung auf die Familie statt. Dann merkt man, dass da Leute sind, auf die man immer zurückgreifen kann. Selbst, wenn die Ehe gescheitert ist oder es sonst gerade nicht so gut im Leben läuft.

teleschau: Kann man mit Geschwistern über alles reden?

Prahl: Nicht unbedingt. Ich kenne wenige, die gegenüber Brüdern oder Schwestern die Wahrheit über ihre Beziehung auf den Tisch packen. Ich glaube, da besteht schon so eine Art Scham. Vielleicht vor allem unter Männern, denke ich. Die besprechen so etwas lieber mit der Partnerin selbst oder einem besten Freund.

Dagmar Manzel: Bei uns war es anders. Wegen des frühen Todes meines Vaters rückten wir Geschwister noch mal sehr viel enger zusammen. Wir redeten über wirklich alles. Wir mussten uns auch gegenseitig den Vater ersetzen. So weit es ging zumindest. Ich hatte immer einen sehr engen Kontakt zu meinen Geschwistern, vor allem zu meinen Schwestern.

teleschau: Wie drückt sich dieser "enge Kontakt" heute aus?

Dagmar Manzel: Das sind ganz profane, aber schöne Dinge. Meine Schwestern verfolgen, was ich beruflich mache. Sie kommen in die Oper, wenn ein neues Stück ansteht. Gerade habe ich in Schweden mit Rolf Lassgård gedreht. Eine meiner Schwestern lebt dort und ist zudem auch großer Lassgård-Fan. Da war es selbstverständlich, dass sie ans Set kommt und wir dort eine gemeinsame schöne Zeit verbringen. Wir nehmen Anteil am Leben der anderen. Auch meine Mutter tut das noch mit großer Leidenschaft. Familie und Geschwister sind auf jeden Fall ein wichtiger Pfeiler in meinem Leben.

"Mein Bruder war lange Zeit stärker als ich, und er nutzte dies auch aus"

teleschau: Lernt man, wenn man älter wird, den Wert von Geschwistern mehr zu schätzen?

Dagmar Manzel: Ich würde sagen, ja! Wie gesagt, unsere Beziehung war immer gut. Aber je älter wir werden, desto mehr verwandelt sich unsere Beziehung in eine selbstverständliche Offenheit, die man einander entgegenbringt. Man freut sich darüber, dass da Menschen sind, die einen bedingungslos auffangen. Geschwister nähern sich im Alter immer mehr dem Status der "besten Freunde" an, glaube ich. Nur eben, dass es da noch eine tiefere Verbindung gibt.

Prahl: Wenn man älter wird, sind immer weniger Menschen noch am Leben, die sich - gemeinsam mit dir - an deine Kindheit und Jugend erinnern können. Geschwister tun dies normalerweise, wenn die Alterskonstellation stimmt. Das schafft in den reiferen Lebensjahren, wenn das Leben ohnehin erinnerungslastiger wird, einen enormen Wert.

teleschau: Wie schlimm waren Streits und Konkurrenz in Ihren Geschwisterbeziehungen?

Dagmar Manzel: Bei uns ging es ungewöhnlich mild zu. Was wahrscheinlich auch daran liegt, dass ich das Nesthäkchen war. Die Jüngsten haben es oft leichter.

teleschau: Herr Prahl, Ihr Bruder ist anderthalb Jahre älter. Wie sehr hatten Sie unter ihm zu leiden?

Prahl: Erst mal war ich ihm dankbar, weil er als der Ältere mit den Eltern jene Kämpfe ausgefochten hatte, von denen ich als Jüngerer profitierte. Trotzdem gab es bei uns auch Konkurrenz. Mein Bruder war lange Zeit stärker als ich, und er nutzte dies auch aus (lacht). Ich erinnere mich an jenen Tag, an dem ich mich zum ersten Mal richtig wehrte. Da schubste ich ihn in einen Fahrradständer, danach lief er blutüberströmt nach Hause. Nun wollte er sich beim Vater beschweren. Aber der meinte nur: "Ich habe schon immer gesagt, irgendwann wird Axel sich mal wehren." Seit diesem Ereignis waren auch die Kämpfe zwischen uns weitgehend vorbei.

"Wenn die Kuh kaut, ist sie entspannt"

teleschau: Kommen wir auf Ihren Film zu sprechen. Gibt es solche Schönheitswettbewerbe unter Kühen wirklich?

Dagmar Manzel: Ja. Sie bringen den Milchbauern viel Renommee, was einzelne Tiere betrifft. Mit ihren Preisträgern können sie dann in der Zucht oder bei einem Verkauf richtig Geld machen. Der Wettbewerb, mit dem der Film beginnt, ist zwar nachgestellt, aber da waren ganz viele Leute als Statisten dabei, die ständig bei solchen Wettbewerben teilnehmen. Eigentlich gab es in der Szene nur zwei Schauspieler. Wir wollten diese Menschen und ihre Tiere realistisch einfangen und uns nicht darüber lustig machen.

Prahl: Lustig ist die ganze Schönheitskonkurrenz unter Milchkühen auch so schon. Wenn man über diese Szene eine Komödie dreht, ist man besser beraten, den Ball flach zu halten. Wer die Komik darin überhöht, stellt sie aus - und das ist nicht gut. Ich finde, der sensible Umgang mit den Nöten, aber auch der objektiven Komik des bäuerlichen Alltags, ist unserem Regisseur wirklich gut gelungen.

teleschau: Wie schwierig sind Kühe als Spielpartner?

Dagmar Manzel: Kühe sind nicht leicht. Erst mal musste ich lernen, mein Tier zu führen und - noch schwieriger - es zu stoppen. Wenn sich diese 400 oder 500 Kilo erst mal in Bewegung setzen, hat man als Mensch keine Chance. Mir ging schon ein wenig die Muffe, als ich einen Tag vor Beginn der Dreharbeiten mein Kuh-Training erhielt. Einmal hat mich Lola, so heißt die Kuh in echt, umgeworfen, als ich zwischen ihr und ihrem Futterbeutel stand.

teleschau: Sind Sie denn später doch noch Freunde geworden?

Dagmar Manzel: Wir sind mit jeder Szene mehr zusammengewachsen. Ich habe früh gelernt: Immer, wenn die Kuh kaut, ist sie entspannt. Und sie hat in ganz vielen Szenen mit mir gekaut (lacht).

teleschau: Lassen sich Kühe überhaupt trainieren?

Dagmar Manzel: Nicht wirklich gut, sie haben ihren eigenen Dickkopf. Es ist nicht so schlimm wie bei Katzen, die sich eigentlich gar nicht trainieren lassen. Es fällt aber auch nicht so leicht wie bei Schweinen. Die sind hochintelligent, man kann ihnen vieles beibringen. Deshalb konnte man Schweine auch früher oft im Zirkus bewundern.

Prahl: Trotzdem habe ich mal eine Zirkusnummer mit Kuh gesehen. Dressur ist ja meistens nichts anderes als Konditionierung. Insofern geht es bei trainierten Tieren in der Regel darum, wie früh und intensiv sie auf entsprechende Handlungen und "Kunststücke" - meist mit der Belohnung Futter - konditioniert wurden.

Dagmar Manzel: Ich behaupte trotzdem, dass meine Kuh zudem einen schönen Charakter mitbringt. Sie ist ein - auch im echten Kuhleben - hochprämiertes Tier, das mich aus seinen traurigen Augen immer so intensiv anschaute. Lola muhte auch immer, wenn sie mich sah. Ich glaube schon, dass man auch zu Kühen eine echte Beziehung aufbauen kann.