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Das Leben ist keine logische Angelegenheit

Am 20. Januar wird David Lynch 75 Jahre alt. Einen Film hat das verquere Kinogenie schon länger nicht mehr gedreht. Macht nichts: Dem Filmemacher sieht man selbst dann noch gerne zu, wenn er einfach nur den Himmel über Los Angeles erklärt.

David Lynch, das ist optisches Kino. Ein surrealer Mahlstrom an Sinneseindrücken: Bildern, Tönen, Musik. Angefangene Geschichten, die fesseln, aber plötzlich abbrechen, sich in sich verkehren oder wieder am Anfang enden. Nichts für jene, die sich auf alles einen Reim machen müssen. Dennoch eine Herausforderung für den Kopf und Folter für chronische Logiker und Menschen mit Ingenieursmentalität. Dass aber selbst jene Reimemacher Lynch, der am 20. Januar 75 Jahre alt wird, nicht einfach als Unsinn abtun konnten, spricht für seine Qualitäten als großer Künstler.

David Lynch, das sind vor allem Momente und Szenen, die sich einprägen. Das Atmen von Dennis Hopper in "Blue Velvet" (1986), das rote Zimmer in "Twin Peaks" (1990), in dem FBI-Agent Dale Cooper die Lösung seines Falls offenbart wird. Die schleifenartige Sinnsuche in der Aussage "Dick Laurent ist tot" aus "Lost Highway" (1997) oder die schwarze Schachtel in "Mulholland Drive" (2001), welche die Handlung des Films in sich aufsaugt, um sie neu wieder auszuspucken. Irgendwann haben selbst die Kritiker aufgegeben, die Filme David Lynchs mit herkömmlichen Mitteln analysieren zu wollen - spätestens nach "Inland Empire" (2006), dem bislang letzten Kinofilm Lynchs, der in den USA gerade einmal 100.000 Besucher hatte.

Vom Maler zum Filmemacher

Wer Lynch verstehen will, muss seine Geschichte kennen. In den 70-ern begann der 1946 in Montana geborene Sohn eines viel reisenden Agrarwissenschaftlers mit Animation und Filmerei zu experimentieren, weil er ohnehin den Eindruck hatte, dass sich die dunklen Passagen in seiner Malerei zu bewegen begannen. Zum Studieren zog er schließlich nach Philadelphia. Eine furchtbare Stadt, erinnert sich Lynch einmal, voller Angst und Depression und Verrückten. Eine davon war eine Frau im Nachbarhaus, die auf allen Vieren durch den Garten kroch und gackerte und behauptete, sie wäre ein Huhn. Aus dem Kunststudenten und bildenden Künstler David Lynch wurde der verstörendste Regisseur, den das Kino der letzten Jahrzehnte gesehen hat.

Grandiose künstlerische, aber auch finanzielle Erfolge wechselten sich in der Karriere des vielleicht seltsamsten Regisseurs des anglo-amerikanischen Mainstreamkinos immer wieder ab. Nach seinen gefeierten beiden ersten Underground-Filmen, "Eraserhead" (1977) und "Der Elefantenmensch" (1980), gab Produzent Dino de Laurentiis dem hochbegabten Visionär 45 Millionen Dollar an die Hand, um den Science-Fiction Roman "Dune - Der Wüstenplanet" (1984) zu verfilmen. Ein gigantischer Flop und für David Lynch, der damals keine Kontrolle über den Schnitt besaß, bis heute der einzige seiner Filme, mit dem er unzufrieden ist.

"Twin Peaks", die Serie - vordergründig geht es um die Aufklärung des Mordes an einer jungen Schönen in einem US-Provinzkaff - war eigentlich nur eine schnöde Auftragsarbeit für Lynch. Stattdessen wurden die Serie und der nachfolgende gleichnamige Film (1992) zu einem seiner größten finanziellen Erfolge. "Twin Peaks" mit seiner fortlaufend und dennoch nonlinear erzählten Handlung gilt heute zu Recht als Meilenstein der TV-Geschichte und früher Vorläufer jener komplexen Serien, für die das US-Fernsehen heute so gefeiert wird. Die mit viel zeitlichem Abstand 2017 nachgeschobene dritte Staffel war noch verstörender als das Original, wurde aber gleichsam als Meisterwerk gefeiert.

Dreht Lynch für Netflix?

Der eigentliche Durchbruch seiner Kunst in den Mainstream erfolgte für Lynch bereits ein paar Jahre vor "Twin Peaks". "Blue Velvet", einer der ersten Filme, der die dunkle Seite des amerikanischen Kleinbürgertums zeigte, brachte ihm 1986 eine Oscar-Nominierung ein. Für sein mit exzessiver Gewalt spielendes Road-Movie "Wild At Heart" gewann er 1990 die Goldene Palme in Cannes. Es waren jene Jahre, in denen alle über David Lynch sprachen. In denen sein Kino den größten Suchtfaktor auf eine ganze Generation heranwachsender Bildersüchtiger ausübte, in denen sogar das Adjektiv "lynchesk" zur Beschreibung seiner einzigartigen Ästhetik erfunden wurde.

Ob der Jubilar überhaupt noch mal einen Film in die Kinos bringen wird, ist unklar. Zuletzt häuften sich die Gerüchte, Lynch arbeite an einer Serie für den Streamingdienst Netflix - bestätigt ist das allerdings nicht. In den letzten Jahren richtete der wieder als bildender Künstler und Fotograf arbeitende Lynch sein Augenmerk aber ohnehin verstärkt auf andere Ausdrucksformen und Medien, organisierte Ausstellungen, nahm mehrere experimentelle Alben auf und reiste um die Welt, um für die von ihm seit vielen Jahren praktizierte "Transzendentale Meditation" nach Maharishi Yogi zu werben.

Vor allem aber hat er YouTube als große, freie Spielwiese entdeckt. Auf seinem Kanal "David Lynch Theater" zieht Lynch, vor einem hässlichen Kleiderschrank stehend, jeden Tag Glückszahlen aus einer großen Keksdose oder verkündet vom Balkon seines Hauses in Los Angeles aus das aktuelle Wetter. Gut möglich, dass Lynch nie wieder einen Spielfilm dreht. Doch den Platz im Kino-Olymp kann ihm keiner nehmen. Ohne David Lynch hätte eine ganze Generation Kinokonsumenten auf die dumme Idee kommen können, dass das Leben eine logische Angelegenheit sei.