Ein Augenzwinkern genügt: Gelähmter Mann darf sterben

Seit zehn Jahren leidet ein 67-jähriger Brite unter der Motor-Neurone-Erkrankung, einem Befall der Nervenzellen. Jetzt möchte der gelähmte Mann friedlich sterben. Doch diese Bitte konnte er nicht mehr aussprechen oder schriftlich mitteilen. Dass er sein Leben beenden wollte, signalisierte er nur mittels eines Augenzwinkerns. In einem bahnbrechenden Urteil hat ein britisches Gericht nun entschieden: Seinem Wunsch darf Folge geleistet werden.Die Maschinen, die sein Leben verlängern, werden abgeschaltet.

Bereits 2010 hatte sich der Brite, in den Medien als „XP“ bekannt, zu den lebenserhaltenden Maßnahmen – dazu gehören künstliche Beatmung und Ernährung – geäußert, die er erhalten sollte. Dabei soll sich der Patient gegen derlei Maßnahmen entschieden haben. Im November vergangenen Jahres lud seine Ehefrau deshalb ein Patientenverfügungs-Formular aus dem Internet herunter. Patientenverfügungen ermöglichen es zu bestimmen, an welchem Punkt im Falle einer schweren Krankheit die lebenserhaltenden Maßnahmen abgebrochen werden sollen.

Doch als sich sein Zustand rapide verschlechterte, konnte „XP“, Ehemann und Vater zweier Kinder, der Welt nicht mehr mitteilen, dass er sterben wolle. Nicht mündlich und auch nicht per Unterschrift.  Also las ihm seine Frau die Verfügung vor. Auf die Frage, ob er seinem Leben ein Ende setzen wolle, reagierte der Gelähmte zur Bestätigung mit einem kaum wahrnehmbaren Signal - einem Augenzwinkern.

Das britische Patientenverfügungsgesetz, verabschiedet im Rahmen des sogenannten „Mental Capacity Acts“, besagt folgendes: Ist ein Patient körperlich nicht in der Lage, seinen Sterbewunsch schriftlich auszudrücken, darf er ihn in Anwesenheit von Zeugen auf andere Weise kommunizieren. Ein Befugter muss das Formular dann, ebenfalls vor Zeugen, unterschreiben. Im Falle von „XP“ waren ein Arzt, ein Sozialarbeiter und ein Pfleger mit im Raum, als er der Patientenverfügung per Augenzwinkern zustimmte. Ein anderer Pfleger jedoch hatte Bedenken dahingehend geäußert, ob der Mann tatsächlich seine Zustimmung gegeben habe.

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Für ein friedliches Lebensende
Die zuständige Richterin Justice Theis erklärte die Patientenverfügung des Mannes für gültig: Lebenserhaltende Maschinen dürfen entfernt werden. Die Anhörung fand am „Court of Protection“ statt – einer Abteilung des Britischen Obersten Gerichtshofes, die zuständig ist für finanzielle Angelegenheiten und das persönliche Wohlbefinden von Menschen, die mental nicht in der Lage sind, eigene Entscheidungen zu treffen. Das Leben des Mannes könne auf diese Weise „friedlich enden”, begründete der „Court of Protection“ seine Entscheidung, wie die „Daily Mail“ zitiert.

Rechtsanwalt Yogi Amin, der die Familie von „XP“ vertritt, erklärte nach der Anhörung: „XP war ein stolzer und intelligenter Mann aus dem Süden Englands, der unter der tödlichen Motor-Neurone-Krankheit litt und lange gegen sein Leiden gekämpft hat.“ Gerade die Geschichte dieses Mannes verdeutliche, wie wichtig es sei, eine Patientenverfügung früh genug vorzubereiten.
 
Kritiker und Befürworter
Kritiker des „Mental Capacity Act“ bezeichnen die Entscheidung als Vorschub zur vollständigen Legalisierung der Euthanasie. „Es ist ein weiterer Schritt dahin, Menschen loszuwerden“, so Elspeth Chowdharay-Best, Mitglied der Anti-Euthanasie-Gruppe „Alert“. Die Engländerin Debbie Purdy, die unter Multipler Sklerose leidet und seit Jahren dafür kämpft, in Begleitung ihres Mannes in ihrem Heimatland legal sterben zu dürfen, befürwortet die jüngste Entscheidung hingegen. Sie bezeichnete sie als „Sieg für die Menschheit, da sie anerkennt, dass wir ungeachtet unserer Behinderungen Rechte haben“, wie die „Daily Mail“ schreibt. „Es ist ein Urteil, dass XP das Recht gibt, die Kontrolle über sein eigenes Leben zu behalten.“

Der Fall des 18-jährigen Tony Bland

Im Jahr 1993 erteilte ein britisches Gericht den Eltern eines Wachkoma-Patienten die Erlaubnis, Sterbehilfe für ihren Sohn in Anspruch zu nehmen. Der mittlerweile 22-jährige Anthony „Tony“ David Bland wurde damit zum Präzedenzfall. Er war als 18-Jähriger ein Opfer der Katastrophe  im Fußballstadion Hillsborough. Ein Gericht entschied, dass die Schläuche, durch die er ernährt wurde, entfernt werden durften.

Sterbehilfe in Deutschland
Auch in Deutschland ist die rechtliche Lage zur Sterbehilfe kompliziert. Generell wird zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe sowie Beihilfe zur Selbsttötung unterschieden. Eine direkte aktive Tötung, etwa mit einer Giftspritze, ist auch auf Verlangen strafbar. Erlaubt ist allerdings eine indirekte aktive Sterbehilfe wie der Einsatz von Medikamenten, deren Nebenwirkungen die Lebensdauer herabsetzen können. Ebenfalls legal ist eine indirekte aktive Sterbehilfe – also die Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen. Voraussetzung sind auch hierzulande klar formulierte Patientenverfügungen.