Leise Töne auf Sat1: Umstrittener TV-Moderator besucht 13-köpfige Hartz-IV-Familie

Claus Strunz besuchte diese 13-köpfige Hartz-IV-Familie (Bild: Screenshot SAT.1)
Claus Strunz besuchte diese 13-köpfige Hartz-IV-Familie (Bild: Screenshot SAT.1)

Vernichtende Kritik musste der Sat1-Moderator Claus Strunz in den vergangenen Wochen einstecken. Er sei ein Populist, hieß es, ein Spalter, ein Brandbeschleuniger. Manche unterstellten ihm eine Nähe zur AfD. Richtig ist, dass Strunz zuletzt nicht immer eine gute Figur gemacht hat. So erkundigte er sich bei der Grünen-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckhardt, ob sie ihren Kontrahenten von der FDP, Christian Lindner, „scharf“ fände.

Andererseits fragt Strunz nach, während seine Kollegen Politiker-Phrasen klaglos hinunterschlucken. Unter den meist farblosen Talkmastern, die sich an ihre Moderationskärtchen klammern, ist Strunz zweifellos eine Ausnahme. Man kann den Mann gut oder schlecht finden – er bringt jedenfalls Abwechslung in politische Diskussionsrunden.

Am späten Dienstagabend war Strunz in einer ungewohnten Rolle zu sehen. „Hartzen, schuften, hinterziehen – Wie gerecht ist Deutschland?“, fragte er in seiner Reportage. Der einstündige Film war – anders als der knallige Titel vermuten ließ – eine ausgewogene Beschreibung der Lage im Land, teilweise zwar mit Extrembeispielen garniert, aber ohne die üblichen Klischees aufzuwärmen.

Zunächst die Fakten: 4,4 Millionen Menschen in Deutschland leben von „Hartz-IV“. Mehr als sieben Millionen Menschen verdienen weniger als zehn Euro pro Stunde. Gleichzeitig sind 760.000 Jobs unbesetzt. Strunz besuchte Millionäre und Geringverdiener, eine linke Kapitalismuskritikerin, den konservativen Finanzminister – und Familie Bürger.

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Großfamilie lebt von Sozialhilfe

Enrico Bürger ist seit elf Jahren arbeitslos, seine Frau seit siebzehn Jahren. Zusammen haben sie elf Kinder, sieben Jungs und vier Mädchen. Die Großfamilie lebt auf einem riesigen Grundstück mit schönem Haus in Brandenburg und kommt mit „Hartz-IV“, Kindergeld und Minijob auf 3701 Euro monatlich. Für manche sicher ein Skandal. Strunz tappte nicht in die Empörungsfalle. Er erklärte, dass es für den Staat wahrscheinlich noch teurer würde, wenn die Familie das geerbte Haus verlassen müsste. Mutter Bürger sagte: „Vielleicht hätte man früher an Arbeit denken sollen. Aber darüber haben wir nicht nachgedacht.“ Der Vater fragte: „Wo willste Arbeit herkriegen für die Familie?“ Der älteste Sohn betonte, dass er niemals wie seine Eltern von Sozialhilfe leben wolle. „Ich möchte Polizist werden“, sagt er.

Strunz erklärte nach seinem Besuch, er habe gemischte Gefühle. Er fragte: „Ist es denn so verwerflich, vom Staat zu leben, wenn man weiß, dass man auch mit Arbeit nicht mehr Geld bekommt?“ Andererseits könne er arbeitende Menschen verstehen, die Familie Bürger kritisieren, weil sie trotz Job auch nicht mehr Geld haben.

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Leute, wie jenes Ehepaar, das zusammen 1500 Euro im Monat verdient. Beide arbeiten als Paketzusteller für 12 Euro Stundenlohn. Sie hätten Angst, im Alter arm zu sein, sagte das Paar. Strunz traf einen jungen Mann, der seit sechs Jahren schwarz arbeitet, den Millionär Erich Knopp, der auf Mallorca lebt, und – wie in diesen Kreisen üblich – über die hohe Steuerlast in Deutschland klagt. Knopp, der nach eigener Aussage 110 Millionen Euro besitzt, erklärte: „Hier, in dieser Gegend, ist soziale Gerechtigkeit nur eine theoretische Erwägung.“ Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht geißelte das, als ein „rücksichtsloses Bestreben, aus Geld immer mehr Geld zu machen, obwohl man schon genug Geld hat.“

Handwerker wollten schwarz für Schäuble arbeiten

Interessantes zu berichten hatte Wolfgang Schäuble. Der CDU-Politiker erzählte, dass ihm Handwerker angeboten hätten, ohne Rechnung zu arbeiten. Es sein nicht ganz einfach, Leute zu finden, die die Regeln einhalten, sagte Schäuble. Strunz kommentierte: „Der Umstand, dass Handwerker versuchen beim Bundesfinanzminister schwarz zu arbeiten, sagt auch etwas über unser Land.“ In der Tat.

Am Ende resümierte Claus Strunz: „Wir müssen über Chancengleichheit reden, darüber, dass in einem reichen Land manche Schulen aussehen wie Ruinen und über Menschen, die als Paketzusteller arbeiten und denen im Alter Armut droht.“ Ungewohnt leise Töne von Strunz. Doch genau darin lag die Kraft dieser Reportage. Strunz ließ seine Protagonisten reden, kommentierte selbst sparsam und überließ das Urteil den Zuschauern. Keine schlechte Idee, wenige Tage vor der Bundestagswahl.

Autor: Frank Brunner

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