Leisten Unschätzbares für die Fachwelt - Die unterschätzten Amateure: „Laienforscher sind oft bessere Artenkenner als wir“
Sie sammeln Daten, melden Beobachtungen, entdecken neue Arten und leisten so Unschätzbares für die Fachwelt. Ohne sogenannte Laien- oder Bürgerwissenschaftler wäre Forschung oft aufgeschmissen.
Streng genommen ist sie Amateurin, zumindest was Brutvögel betrifft. Die studierte Mathematikerin Inge Bücker steigt auf eine Leiter, schaut vorsichtig in einen an einem Baum befestigten Nistkasten.
Könnte ja sein, dass der noch belegt ist oder einen Siebenschläfer beherbergt. Alles schon passiert, wie sie sagt. Dann schaut sie nach Eierschalen und Federstaub und allem, was darauf hindeutet, dass hier ein Vogel erfolgreich gebrütet hat.
Die Daten kommen mit Foto in eine App und stehen so zur Auswertung für den Naturschutzbund (Nabu) bereit. Wichtige Rückschlüsse können so gezogen werden auf das Brutverhalten der Tiere oder wie es um die Population bestellt ist.
Sogenannten Laien- oder Bürgerwissenschaftler wie Bücker tragen landauf landab in vielen Disziplinen dazu bei, dass die Forschung wichtige Erkenntnisse gewinnen kann.
Wissenschaft öffnet sich der Gesellschaft
Martin Husemann, Direktor des Naturkundemuseums in Karlsruhe, findet den Begriff „Laienwissenschaftler“ fast zu abwertend. „Das sind oft bessere Artenkenner als wir“, sagt er.
Für die Arbeit seines Museums seien sie absolut unverzichtbar und ihre Beobachtungen von unschätzbarem Wert. So habe sein Haus gemeinsam mit Mitstreitern unter dem Motto „Aliens unter uns“ dazu aufgerufen, gebietsfremde Arten in einer App zu melden. Seit Beginn der Challenge am 1. Juli habe es bereits über 45.000 Sichtungen gegeben.
In Deutschland gibt es inzwischen zahlreiche Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und engagierten Bürgern, genannt Citizen Science.
Damit öffne sich die Wissenschaft der Gesellschaft „und erlaubt Forschungsprojekte außerhalb des berühmten „Elfenbeinturms“ und mit gesellschaftlichem Bezug“, sagt die Geoökologin Judith Bremer, die sich am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) schon seit vielen Jahren mit solchen Phänomenen beschäftigt.
Idealerweise arbeiteten dabei Experten und Laien auf Augenhöhe zusammen. „Citizen Science trägt damit auch zu einer gewissen Demokratisierung der Wissenschaft bei“, sagt sie.
Bürger sammeln große Datenmengen für die Wissenschaft
Bürgerwissenschaftler tragen große Mengen an Daten zusammen, werten sie aus, sind ein Bindeglied zwischen Wissenschaftlern und fachfremden Menschen. Klassischerweise tummeln sie sich nach Worten Bremers vor allem in den verschiedenen Umweltwissenschaften, dem Naturschutz oder der Astronomie.
Aber auch in der Geschichtsforschung gebe es mittlerweile Citizen-Science-Projekte, die das lokale Wissen von Bürgern nutzten. Ehrenamtliche Heimatforscher haben erheblich dazu beigetragen, Zeitgeschichte aufzuarbeiten oder Licht in bestimmte Epochen zu bringen.
Auf der Plattform „mit:forschen“ finden sich rund 290 bürgerwissenschaftliche Citizen-Science-Projekte. Zum Teil sind sie schon abgeschlossen, zum Teil laufen sie noch. Und auch jenseits davon wird in Wissenschaft und Forschung eifrig gemeinsam mit Laien gearbeitet.
Naturschutzverbände wie der Nabu profitieren vom ehrenamtlichen Einsatz interessierter Bürger: etwa bei der Stunde der Garten- oder Wintervögel, bei denen Bürger ihre Sichtungen melden, bei der Rebhuhn-Kartierung in Baden-Württemberg oder eben der Erfassung von Nistkästen.
Manche Laienwissenschaftler arbeiten hochprofessionell
Die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) feierte kürzlich zehn Jahre Kartierung Amphibien und Reptilien im Südwesten. Daran hatten sich rund 580 Ehrenamtliche beteiligt und rund 100.000 Datensätze zu den Tieren erhoben.
Der Kartierer Klemens Fritz hat dabei die meisten geprüften Datensätze geliefert und über 10.000 Beobachtungen geliefert. „Ich war selber überrascht über die Menge.“ Smartphone und Künstliche Intelligenz haben der Laienwissenschaft noch mal einen Extrapush gegeben.
Manche Laienwissenschaftler sichten „nur“, manche arbeiten nach Worten Husemanns hochprofessionell mit eigenen teuren Geräten. Sie präparieren fachkundig Tiere, schreiben auch mal ein Buch oder arbeiten daran mit, wie der baden-württembergische Pilz-Experte Karl-Heinz Johe.
Oder sie werden zu einem in der Fachwelt renommierten Forscher wie etwa Danilo Matzke aus Leipzig, der sich seit Jahrzehnten mit Insekten - vor allem Ohrwürmern - beschäftigt und nach Worten Husemanns als einer von zwei Ohrwurm-Experten bundesweit gilt.
Insgesamt großes Potenzial
Die Bedeutung von Laienwissenschaftlern wachse, neben konkreten Citizen-Sience-Projekten gebe es auch weitere vielversprechende Möglichkeiten, sich als Bürger an Wissenschaft zu beteiligen, erläutert KIT-Expertin Bremer. Reallabore etwa entwickelten gemeinsam mit Bürgern Lösungen etwa für den Umgang mit dem Klimawandel in einem Stadtteil.
Das Potenzial sei insgesamt groß. „Über Citizen Science können auch Wissen sowie Erkenntnis- und Interessenimpulse aus der Gesellschaft in die Wissenschaft eingehen“, sagt das Stuttgarter Wissenschaftsministerium.
Bestimmte Kriterien sollten aber erfüllt sein, damit die Beiträge von Bürgern zu wissenschaftlichen Erkenntnissen verwendbar sind. „Natürlich müssen auch bei Citizen Science wissenschaftliche Standards beachtet werden“, erläutert eine Sprecherin von „mit:forschen“.
Teilnehmende Bürgerinnen und Bürger würden in Methoden geschult, folgten bei der Datenerhebung genauen Anleitungen und dokumentierten ihre Untersuchungen gründlich, damit sie überprüft werden können.
Zahllose Datensätze habe er im Laufe der Jahre in den Computer gehämmert, sagt Amphibien-Kartierer Fritz. Vogel-Freundin Bücker hat schon viele Nistkästen erfasst, Pilz-Experte Johe ist auch im Ruhestand auf der Suche nach neuen Arten. Ohne Bürgerwissenschaftler gäbe es viele Erkenntnisse nicht. Sie alle eint die Neugier. Genau wie „echte“ Wissenschaftler.