Letzte Hoffnung oder riskantes Experiment? - „Naiv, gefährlich, arrogant“: Der radikale Plan zur Rettung der Korallen

Große Teile sind schon gebleicht: Die australische Meeresbiologin Anne Hoggett taucht Anfang April durch einen Teil des australischen Great Barrier Reef nahe der Insel Lizard Island<span class="copyright">AFP via Getty Images</span>
Große Teile sind schon gebleicht: Die australische Meeresbiologin Anne Hoggett taucht Anfang April durch einen Teil des australischen Great Barrier Reef nahe der Insel Lizard IslandAFP via Getty Images

Die Schreckensmeldungen reißen nicht ab: Durch die Erderwärmung sterben weltweit gewaltige Mengen Korallen ab. In einem neuen Aufsatz schlagen jetzt zwei US-Forscher eine radikale Lösung vor. Lassen sich die gefährdeten Korallen durch eine andere Spezies ersetzen? Forscher-Kollegen reagieren skeptisch bis entsetzt.

Auch bei einem der spektakulärsten und schönsten Naturphänomene der Erde kennt der Klimawandel keine Gnade. Am sogenannten Great Barrier Reef vor der australischen Küste sind die Wassertemperaturen durch die globale Erwärmung so hoch wie seit 400 Jahren nicht mehr. Ein Massensterben ist bereits im Gange, die Existenz des gesamten Riffs ist bedroht. Schnelle Lösungsansätze braucht es also - doch nicht alle stoßen auf uneingeschränkten Zuspruch.

Aus bunt wird gebleicht

Erst letzte Woche publizierte ein australisches Forscherteam unter der Leitung von Benjamin Henley in der Fachzeitschrift „Nature“ ihren alarmierenden Befund zum Great Barrier Reef. Mithilfe von Korallenskeletten rekonstruierten die Forschenden die Temperaturen der Meeresoberfläche im Zeitraum 1618 bis 1995. Im Anschluss wurden die Ergebnisse mit Aufzeichnungen zwischen 1900 und 2024 abgeglichen. Während die Wassertemperaturen bis 1900 relativ stabil waren, verzeichnete die Studie ab 1960 bis 2024 einen steten Anstieg von 0,12 Grad pro Jahrzehnt.

Der Anstieg der Temperaturen geht mit sogenannten Massenkorallenbleichen einher, die sich innerhalb der letzten Jahrzehnte häufen: Allein in den letzten acht Jahren, war das Great Barrier Reef von fünf Massenbleichen betroffen. Dabei stoßen die Korallen ihre symbiotischen Algen (Zooxanthellen) aus, die ihnen ihre Farbe und einen Großteil ihrer Energie liefern. Ohne die Algen erscheinen die Korallen nahezu weiß, also „gebleicht“, und sind stark geschwächt. Im schlimmsten Fall kommt es zum Korallensterben.

„Erstaunlich arrogant“

Doch wie lässt sich das Massensterben der Korallen verhindern? Ideen gibt es. Forscherinnen und Forscher züchten zum Beispiel widerstandsfähige Korallenarten in Laboren und betten sie in beschädigte Riffgebiete ein. Andere bauen künstliche Riffstrukturen, um die natürliche Regeneration der Korallen zu unterstützen.

Doch ein kürzlich veröffentlichter Meinungsbeitrag der US-Forscher Michael Webster und Daniel Schindler sorgte für Aufsehen: In dem Aufsatz für „Nature“ diskutieren die Autoren die Vor- und Nachteile des sogenannten „Ecological Replacement“ (ER). Dabei handelt es sich um die gezielte Umsiedlung hitzetoleranter Korallenarten in stark gefährdete oder bereits ausgestorbene Riffe. Im Persischen Golf zum Beispiel existieren Korallenarten, die mit der Hitze besser umgehen können - was ist, wenn man diese Arten zum Great Barrier umpflanzt?

Eine notwendige und möglicherweise effektive Antwort auf die rapide Verschlechterung der Riffe sei der ER-Plan, argumentieren Webster und Schindler in ihrem Aufsatz. Doch der Ansatz ist nicht ohne Risiken. Gerade bei Forschungsteams, die sich der Rettung gefährdeter Korallenriffe verschrieben haben, stößt der Plan auf Unverständnis. „Der beschönende Ausdruck 'Ecological Replacement' ist naiv, gefährlich, und erstaunlich arrogant“, sagte der renommierte australische Meeresbiologe Terry Hughes der Wissenschaftszeitschrift „New Scientist“.

Ernstzunehmende Risiken

Auch die Riffökologin Dr. Sonia Bejarano äußert Bedenken. „Das größte Risiko besteht darin, dass durch die Umsiedlung der Korallen unbeabsichtigt unerwünschte Mikroorganismen eingeschleppt werden könnten“, sagt Bejarano, Leiterin der Arbeitsgruppe Riffsysteme am Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung in Bremen, zu FOCUS online Earth.

Ähnlich wie wir Menschen sind Korallen auf ein natürliches Mikrobiom angewiesen, um gesund und funktionsfähig zu bleiben. Selbst „nützliche“ Mikroben können unter Stress – wie eben einer Umsiedlung – schädlich werden und damit nicht nur die Gesundheit der umgesiedelten Korallen, sondern des gesamten Riffs gefährden. Ein weiteres Problem: Lokale Bedingungen wie Stürme oder zerstörerische Fischereipraktiken könnten die beabsichtigte Funktion der umgesiedelten Korallen erschweren.

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Immer noch besser als die Wasserpumpe

Trotzdem sieht Bejarano in der Translokation, wie ER im Deutschen genannt wird, zumindest eine praktikable Option im Vergleich zu anderen, oft komplexeren Maßnahmen: „Die Umsiedlung von Korallen ist in logistischer Hinsicht relativ einfach und auch die Bepflanzung erfordert günstigere Technologien als beispielsweise Umwelteingriffe wie Beschattung oder Kühlwasserpumpen.“ Doch die Umsetzung hängt stark von der Gesetzgebung der betroffenen Länder ab, was den Prozess wieder verkomplizieren könnte.

Am Ende bleibt also die Skepsis. Die Zeit jedenfalls drängt, mahnt Bejarano. „Weder die mit der Umsiedlung von Korallen verbundenen Risiken noch die potenziellen Herausforderungen sind ein Grund für Untätigkeit in diese Richtung"; sagt die Forscherin. "Die Gefahr, dass der größte Teil der Korallenriffe verloren geht, sollte Grund genug sein, Schutzbemühungen zu verstärken, bewusst und sorgfältig eine Reihe verschiedener Möglichkeiten für ein aktives Eingreifen zu prüfen und sich entschiedener für Maßnahmen zur Eindämmung von Treibhausgasemissionen einzusetzen.“