Mitarbeiter berichtet - Eines der letzten Sexkinos in München: „Schön, dass es so etwas noch gibt“

Die Gründe, warum Kunden ins Sexkino in München-Pasing kommen, sind unterschiedlich. Einige wollen einfach nicht einsam sein, sagt Mitarbeiter Rudi. (Symbolbild)<span class="copyright">Getty Images</span>
Die Gründe, warum Kunden ins Sexkino in München-Pasing kommen, sind unterschiedlich. Einige wollen einfach nicht einsam sein, sagt Mitarbeiter Rudi. (Symbolbild)Getty Images

Sexkinos sind eine aussterbende Spezies. In München-Pasing gibt es noch eins. Die Erotik-Videothek ist dabei mehr als nur ein Harem der 1000 Sexfilme und des gemeinschaftlichen Onanierens. Es ist ein sozialer Treffpunkt, an dem auch Freundschaften entstehen. Ein Besuch.

München-Pasing, Donnerstagvormittag, 11 Uhr. Ein Mann, Mitte 40, gepflegt, sein Hemd spannt etwas über seinen trainierten Körper, kommt herein.

„Ich geh' einmal ins Kino.“

„Servus, 13 Euro bitte“, sagt Rudi.

„Ich nehme noch ein Wasser.“

Der Mann zahlt und geht dann die Wendeltreppe zum Kinosaal runter. Dort schaut er den Film „Jung, mit dicken Titten und voll versaut“.

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In der Erotik-Videothek DvD XXXL Discount riecht es muffig. Bis auf das mit Plakaten und Bannern tapezierte Schaufenster gibt es keine weiteren Fenster. Die Wände sind gelb gestrichen und teilweise mit silberner Folie beklebt. Im Hintergrund läuft Schlagermusik.

Säuberlich und nach Genre aufgereiht stehen rund tausend Sexfilme in langen Regalen. Direkt beim Eingang sind die Gaypornos, gegenüber die Bondagefilme. Einige Artikel sind leicht verstaubt; den ledernen Penisgurt auf dem Tisch in der Mitte hatte lange niemand mehr in der Hand, oder um. Von den Decken hängen Angebotsschilder. Auf einem steht in roten Lettern auf einer Bayernflagge: „Gay DVDs zum ½ Preis, wir nehmen Ihre Sammlung zurück“.

Sexkino in München-Pasing – eines der letzten seiner Art

Allein in Deutschland macht die Online-Pornobranche jedes Jahr 4,5 Milliarden Euro Umsatz. Jede vierte Suchanfrage im Netz dreht sich um das Thema Pornografie. Die häufigste gesuchte Kategorie auf der beliebten einschlägigen Seite Pornhub ist „Hentai“. 115 Millionen Besuche verzeichnet das Portal pro Tag. Auch im Bereich Künstliche Intelligenz entfaltet sich das Pornopotenzial zunehmend . Entsprechend der eigenen Präferenzen können Nutzer individuelle Sexfilme generieren lassen – Fantasie, Fetischen und Härtegrad sind keine Grenzen gesetzt.

Die Erotik-Videothek in München-Pasing gibt es bereits seit den 1980er-Jahren.<span class="copyright">privat</span>
Die Erotik-Videothek in München-Pasing gibt es bereits seit den 1980er-Jahren.privat

Auf dem Verkaufstresen in der Erotik-Videothek steht ein stationärer PC. Rudi, ein eher kleiner Mann Ende 50 mit Glatze, arbeitet seit 21 Jahren in diesem Geschäft, das es seit den 1980er-Jahren gibt. Wenn er spricht, kneift er seine Augen zusammen, er spricht etwas zögerlich, überlegt viel. Eigentlich ist er gelernter Metzger, erzählt er in tiefstem Bayerisch. Mit 26 Jahren habe er seinen Meister gemacht, zwei Jahre später sei sein Körper bereits völlig kaputt gewesen. Trotzdem habe er weitergemacht. „Ich habe ja vier Kinder“, sagt Rudi.

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Mit 38 sei dann endgültig Schluss gewesen. Seitdem verkauft er Pornos, Sexspielzeug und kassiert Eintritt für das Sexkino.

Mit den Vibratoren, Penisringen und Schmuddelfilmen will seine Partnerin nichts zu tun haben, sagt Rudi. Für sie sei dieses Geschäft nichts. Auch seine kleinste Tochter habe Hemmungen. „Sie hat zwar die größte Fresse von allen, aber die war noch nie hier. Das ist ihr peinlich, weil sie in der Nähe arbeitet. Und durch den Hintereingang will sie nicht rein“, sagt Rudi. Seine ältesten Töchter hingegen seien aufgeschlossen und hätten ihn auch schon mal in der Videothek besucht.

„Hier sind auch schon Männerfreundschaften entstanden“

Das Kino laufe mit Abstand am besten. Außer dem trainierten Hemd-Mann sitzt gerade noch ein anderer Kunde im Kino, ein Mann mit Brille, Mitte 50, leise Stimme. Auf zwei Leinwänden werden jeden Tag von 10 bis 20 Uhr Filme gezeigt, die Kunden können sich die Pornos entweder auf den Sofas davor oder in fünf separaten Kabinen angucken.

Die meisten Kunden seien Männer. Selten komme auch mal eine Frau ins Kino. „Wenn da zehn Männer sitzen, liegt der Fokus dann natürlich auf der Frau“, sagt Rudi. „Einigen Frauen gefällt das.“ Manche seien neugierig, wollen den anderen zusehen. Manche wollen einfach nur in Gesellschaft sein.

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„Einige gehen auch dorthin, um einfach ein Bier zu trinken und zu ratschen. Sie wollen nicht einsam sein“, sagt Rudi. „Dort sind auch schon Männerfreundschaften entstanden.“

Andere wiederum schalten im Sexkino ab. „Wir haben einen Kunden, der ist ein ganz lieber Kerl und steht beruflich unter großem Druck“, sagt Rudi. „Der schaut manchmal 20 Filme hintereinander. Für den ist das ein Ausgleich, er arbeitet in einem Krankenhaus.“

Behörden stellen keine Lizenzen für Sexkinos mehr aus – „das ist doch altbacken“

Über seine manchmal kuriose Kundschaft spricht Rudi respektvoll. Er zieht seine kurzen, schwarzen Augenbrauen nicht vielsagend hoch, kräuselt den Mund nicht. Es ist eine Mimik ohne doppelten Boden. Rudi strahlt Herzlichkeit aus, auch, wenn er über den Dauerpornogucker spricht. Er hat eine gewisse Unerschütterlichkeit an sich. Spermaflecken auf den Ledersofas im Sexkino wischt er ohne mit der Wimper zu zucken weg. Vulgär wird er kein einziges Mal, Worte wie „Ficken“, „Schwanz“ oder „Titten“ bleiben den Titeln der Sexfilme in der Videothek überlassen.

Dass es mittlerweile immer weniger Geschäfte dieser Art gibt, bedauert Rudi. Das Sexkino sei eines der letzten, das noch in München extisiere. Lizenzen würden die Behörden nicht mehr ausstellen. „Weil man noch in der Steinzeit ist. Das ist doch altbacken“, sagt er. „Ich finde es traurig, dass die Leute so verklemmt sind.“

Pornos im Internet: „Die Kinder verstehen das doch gar nicht – oder auf ihre Art“

Während die Behörden dieser Art von Kinos aktive Sterbehilfe leisteten, würde der Zugang zu Online-Pornos kaum reglementiert.

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Rudi, der zuvor noch zögerlich sprach und an seiner Armbanduhr spielte, spricht mittlerweile kraftvoll, er hat nun beide Arme breit auf den Tresen gestützt. Er ist in Kampfstellung. Sein Gegner ist kein geringerer als das Internet.

Selbst Kinder könnten mittlerweile Pornos auf ihren Handys gucken, schimpft Rudi. Die Hürde, die vor dem Besuchen der Pornoseite aufploppt und erfragt, ob der Nutzer über 18 Jahre alt ist, sei lächerlich und schnell gerissen. Eine tatsächliche Gatekeeper-Funktion wie die Erotik-Videothek, die nur Personen ab 18 Jahren betreten dürfen, gebe es nicht. „Wo ist da die Politik? Die Kinder verstehen das doch gar nicht. Oder sie verstehen es auf ihre Art“, sagt Rudi, energisch gestikulierend.

Druck und Erwartungshaltung beim Sex steigen

Das Gesehene sei für Kinder und Jugendliche oft eine psychische Belastung. Oftmals wüssten die Eltern auch gar nicht, dass ihre Kinder auf solchen Seiten unterwegs sind, heimlich im Kinderzimmer danach suchen oder sich auf dem Schulhof die Filme mit anderen aus Gruppenzwang ansehen. „Einige Kinder prahlen ja auch damit“, sagt Rudi. Je härter der Porno, desto cooler derjenige, der ihn aushält.

Er fordert deswegen, dass der Besuch von Pornoseiten zukünftig Geld kostet, zum Beispiel zehn Cent pro Aufruf. Damit die Eltern auf der Abrechnung sehen, wo ihre Kinder im Internet unterwegs waren.

Dass heutzutage allein das Internet die sexuelle Aufklärung übernehme, ohne schulische und elterliche Einordnung, sei folgenschwer. „Einige Kinder denken dann, dass das richtig ist, was sie in Pornos sehen. Das ist das Problem“, sagt er. Kinder und Jugendliche hätten dann unrealistische Vorstellungen von Sex. Der Druck und die Erwartungshaltung steige – nicht nur bei jungen Männern, immer zu können, sondern auch bei Mädchen, immer zu wollen.

„Hier kamen mal zwei ganz junge Frauen rein. Eine war 21 und hatte einen Freund. Sie wollte einen Aufklärungsporno haben“, sagt er. „Aber da habe ich ihr gesagt: ‚Das brauchst du nicht. Mach, was du magst und womit du dich wohlfühlst‘“. Dann legt er seine Hände wieder auf die gläserne Auslage neben seinem Tresen. Darin sind Peitschen und Fesseln zu sehen. Etwas ruhiger sagt Rudi jetzt: „Früher haben sich die Jugendlichen noch Zettel geschrieben oder angerufen, diese Erfahrung machen viele heute gar nicht mehr.“

Im Internet verabreden sich manche Gäste zum gemeinsamen Kinobesuch

An der Tür ertönt ein elektronisches Klopfgeräusch. Ein Getränkelieferant holt fünf Bierkästen mit 100 Augustiner-Flaschen ab, die Rudis Sexkinobesucher leergetrunken haben. Früher gab es hier noch ein Freigetränk, sagt Rudi. Heute nicht mehr.

Doch die Kunden kommen trotzdem, in eines der letzten Sexkinos in München. Sie schwärmen in ihren Bewertungen bei Google über das „echt coole Kino“, das noch eins „vom alten Schlag“ sei. „Schön, dass es sowas noch gibt“, schreibt ein Gast. Auf einschlägigen Portalen verabreden sich einige Leute zu gemeinsamen Treffen dort – um nicht einsam zu sein oder für sexuelle Abenteuer abseits der Leinwand.

Der Lieferant wuchtet derweil fünf volle Bierkästen von seiner Sackkarre und stellt sie neben die Gaypornos. Die Flaschen klirren, die Kasse klingelt. Fleischeslust macht durstig.