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Leute vor der Wahl 2021: "Wir brauchen mehr Zumutungen"

In der Portraitreihe Leute vor der Wahl 2021 erzählen Wähler:innen im Vorfeld der Bundestagswahl am 26. September was ihnen wichtig ist und was sie von der neuen Regierung erwarten.

Fast jede Woche ist Constantin Estroff auf Klimademonstrationen wie die von Fridays for Future - nicht nur als Teilnehmer, sondern vor allem auch als Musiker mit seiner Brass-Punk-Band Brass Riot. "Wir spielen sehr viel auf Demonstrationen zum Thema Klima und soziale Gerechtigkeit und in Clubs. Ich spiele Saxophone und Synthesizer."

Der 22-Jährige studiert Sozialwissenschaften und Informatik und arbeitet nebenbei als Research Assistent. "Ich möchte in Zukunft dazu beitragen, dass neue Technologien und die damit verbundenen Unternehmen dem Menschen, der Gesellschaft und Umwelt dienen und sie nicht zerstören", sagt Constantin.

Im Studium würde sie die Schäden vermessen, die durch soziale Ungleichheit auf der Welt entstehen. "Da gibt es vieles im Verhältnis globaler Süden - globaler Norden, was es neu zu justieren und abzuklären gilt für die Zukunft. Um es groß zu sagen, ich beschäftige mich gerne mit den großen Themen der Zukunft", sagt Constantin lachend.

Als es um Corona ging, war das eine Zumutung für jeden und eine kollektive Anstrengung, die funktioniert hat. In den letzten 16 Jahren, in denen Merkel regiert hat, gab es aber Zumutungen, die möglichst von uns ferngehalten wurden.

Constantin Estroff, Student und Musiker

Constantin Estroff

Student der Sozialwissenschaften und Informatik und Musiker
22 Jahre alt, Berlin

Was ist für Sie das wichtigste Thema bei der Bundestagswahl?

"Nicht so wirklich überraschend für meine Generation - das ist das Klima. Ich glaube, es ist ein kollektives Gefühl meiner Generation, dass zu wenig gemacht wurde. Das Wissen um eine drohende Klimakatastrophe war bei vielen schon lange da, es ist verfügbares Wissen gewesen, es war nicht neu, als es 2018/2019 so groß geworden ist. Das ist für mich das emotionalste und bewegendste Thema.

Das zweite ist die soziale Ungleichheit innerhalb unserer Gesellschaft aber auch global. Wir haben eine Gesellschaft geerbt, in der es massive Ungleichheiten gibt. Das ist es auch, was wir im Studium machen, wir vermessen unter anderem die Schäden, die durch soziale Ungleichheit entstehen."

Was hat sich für Sie durch die Coronakrise geändert?

"Vor der Coronakrise war ich sehr motiviert, ich hatte geplant, ein Praktikum zu machen im Auswärtigen Amt, ich hatte Pläne für ein Auslandssemester, wollte nach China reisen, um mein Chinesisch aufzubessern. Auch in Zukunft muss ich meine Pläne wohl anders setzen, nach China zu reisen ist zum Beispiele immer noch komplett unmöglich.

Ich bin sehr sozial und brauche viele Menschen um mich herum, um zu denken und mich wohl zu fühlen. In Seminaren zu sitzen, in denen die anderen nur graue Kacheln sind, war super belastend."

Monate am Stück ohne Abwechslung am Computer zu sitzen und da zu vereinsamen, das war, glaube ich, schon fast kollektiv traumatisch.

Constantin Estroff, Student und Musiker

Was wünschen Sie sich für die neue Ära in Deutschland nach Angela Merkel?

"Ich würde mir wünschen, dass die Politik damit anfängt, der Bevölkerung etwas zuzumuten und nicht versucht zu schützen vor dem, was notwendig ist. Das habe ich mir auch beim 'Triell' im Fernsehen gedacht, dass sich die meisten Aussagen darauf bezogen haben, den Bürgerinnen und Bürgern so wenig wie möglich zuzumuten. Eine Klimapolitik zu fahren, die möglichst wenig merkbar ist und wo es nicht darum geht, dass wir eine kollektive Anstrengung brauchen. Es soll alles nur auf einer politischen Ebene passieren und die persönliche Verantwortung nicht berühren.

Als es um Corona ging, war das eine Zumutung für jeden und eine kollektive Anstrengung, die funktioniert hat. In den letzten 16 Jahren, in denen Merkel regiert hat, gab es aber Zumutungen, die möglichst von uns ferngehalten wurden."

Welche Eigenschaften sollte die nächste Kanzlerin oder der nächste Kanzler haben?

"Ich schätze es sehr, wenn Aussagen sehr konkret sind, wenn es eine Art Verlässlichkeit gibt, wenn es eine Art intellektuellen Anspruch gibt, wenn ich einer Kanzlerin oder einem Kanzler zuhöre und sehe, dass es nicht darum geht, eine Frage möglich belanglos und nicht angreifbar zu beantworten.

Und Politik sollte sich an der Wissenschaft orientieren. Angela Merkel als Physikerin hatte die Voraussetzung dafür, hat aber nicht immer konsequent danach gehandelt. Was ich mir wünschen würde von einer künftigen Kanzlerin oder einem künftigen Kanzler, ist auf jeden Fall, dass mehr nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gehandelt und regiert wird."

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