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Lieber Jan Böhmermann, das ist der Beweis! Die Deutschen sind dumme Kartoffeln und haben überhaupt kein Gefühl für Satire!

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Ein offener Brief von Jan Rübel

Lieber Jan Böhmermann,

ich bin Ihnen wirklich dankbar für den Tweet, den Sie vor einigen Stunden losließen: „Es tut mir so leid, dass alle immer irgendwelche Artikel über mich schreiben. Wirklich. Wenn ich wüsste wie, würde ich damit aufhören.“ Denn während wir Kommentatoren über die „Staatsaffäre Böhmermann“ öffentlich die Stirn runzelten und räsonierten, fiel so manches vom Tisch der Wahrnehmung: Wer las in den vergangenen Wochen schon etwas über den in saudische Waffennarren verknallten Frank Walter Steinmeier oder über die noch durchgeknallteren Österreicher, die ihre Grenzen zumauern – oder über die Musikschule im fränkischen Arzberg, wo nur noch ein Kind die legendäre deutsche Blockflöte erlernt.

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Es war also gut, mal weniger über das Schmähgedicht und seine Folgen zu schreiben. Und, ehrlich, ich wollte zuerst nicht wieder loslegen, nachdem ich Ihr Interview mit der „Zeit“ las. Aber so sind wir Lohnschreiber, heute Morgen ist mir nichts Besseres eingefallen. Hab ja selbst ein Poster mit der AK-47 überm Schreibtisch. Schließe mich öfters zum Radetzky-Marsch ein und habe nie Blockflöte gelernt. Also Sie, mal wieder.

Ein echter Schlussstrich durch das Interview hätte mir gefallen. Ein „Schwamm drüber, reden wir endlich über das Aus für Zirkustiere in der Manege“ oder so. Denn mich beschleicht der Argwohn, Sie sehen in dieser ganzen Debatte über die „Schmähkritik“ etwas, das mir entgeht. „Viele überfällige Diskussionen“ habe Ihr „humoristisches Proseminar“ ausgelöst. Nun ja, welche denn? Sind wir Deutschen nun aufgeklärter über die Satire an und für sich, über ihren Wert und ihre Bedeutung? Dass wir mit einem Mal zu Freiheitsliebenden mutiert sind, ist mir noch gar nicht aufgefallen – vielmehr ergriffen nicht wenige für „Sie“ oder das Recht auf ein „Proseminar“ Partei, die es nichts kostete oder die sich etwas davon für sich versprachen. Und Sie schreiben ja, Sie hätten sich sehr über die Solidarität gefreut. „Wer hätte gedacht, dass Didi Hallervorden und Mathias Döpfner mal Hand in Hand für die Kunstfreiheit kämpfen?“ Tja, bei dieser Vorstellung überkommt mich eher akuter Darmverschluss.

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Völlig meines Erfassungsvermögens entzieht sich auch, was Sie mit Angela Merkel haben. Das klingt ja wie eine enttäuschte Lovestory. Zuerst umgarnen Sie sie („Chefin des Landes der Dichter und Denker“), dann kritisieren Sie sie („mit ihrem öffentlichen Urteil blamiert“), ja „nicht einen Moment nachgedacht“ habe die Kanzlerin. Auch mit Tipps geizen Sie nicht („das apfelgrüne Kostümoberteil sowie das lilafarbene Sacko“ – geht gar nicht), schwenken um in Frust („Doch stattdessen hat sie mich filetiert, einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert und einen deutschen Ai Weiwei aus mir gemacht“). Okay, das mit einem Status wie Ai Weiwei hat noch nicht geklappt, aber Sie stehen ja noch am Anfang Ihrer künstlerischen Karriere. Am Ende des Interviews landen Sie jedenfalls bei Ihrer emotionalen Achterbahnfahrt mit Angie wieder beim Flirt („entscheidet immer noch die Bundeskanzlerin persönlich“).

Also, was denn nun? Was hat nur die arme böse Mami mit Ihnen gemacht? Räumen Sie nun aus Protest nicht mehr Ihr Zimmer auf? Ziehen Sie aus?

Schließlich handelt es sich ja nur um einen, wie Sie schreiben, kleinen Pupswitz. Dummerweise haben einige Ihr Proseminar nicht verstanden. Daher hier noch einmal ein Deutungsversuch. Ihr „Schmähgedicht“ sollte nicht aus dem Zusammenhang gerissen und einzeln betrachtet werden – meinen Sie. Wie soll das gehen? Germanistikprofessoren werden mit dieser Art von Proseminar ihre Probleme kriegen. Es bleibt eben dabei: Wort bleibt Wort. Und wen interessiert’s, wenn Sie meinen, „ich habe mir den Text ja gerade nicht zu eigen gemacht“?

Lesen Sie hier, weshalb der Satiriker seinen Auftritt in einer US-Talkshow verschoben hat.

Worte haben eine Bedeutung. Sie transportieren Botschaften. Aus einem X ist schlecht ein U zu machen. Ihr Trick funktioniert einfach nicht: Sie zuckten mit der Augenbraue, kündigten an, was man nicht machen solle, und machten es dann doch: Nicht der “nervenkranke” Recep Tayyip Erdogan geriet zum Adressaten Ihres Gedichts, sondern alle Menschen des südöstlichen Mittelmeerraums, so einfach ist das; Sie versammelten nämlich alle Klischees und Hassvorurteile, die man so hegt gegen den Orientalen an und für sich; bevorzugt sexueller Natur.

Dass Sie das womöglich noch immer nicht gecheckt haben, legt dieser Satz im Interview nahe: „Die für mich schmerzhafteste Vorstellung ist wirklich, dass mich jemand wegen dieser Nummer ernsthaft für einen Rassisten oder Türkenfeind halten könnte.“ Verdammt. „Ich“, „mich“ – geht es noch größer? Die schmerzhafteste Vorstellung sollte doch wirklich sein, ob Sie in dieser Nummer rassistisch oder türkenfeindlich gewirkt haben. Und diese Frage lässt sich leider nur mit einem Ja beantworten.

Sollte “Majestätsbeleidigung” in Deutschland strafrechtlich überhaupt relevant sein?

Wenn Sie verlangen, Ihre Nummer solle nicht „dekontextualisiert“ werden, klingt das furchtbar schlau. Macht es aber auch nicht stimmiger. Eine Zirkusnummer, in welcher der Messerwerfer seinen Assistenten verfehlt und ihm mit der Klinge das Herz durchbohrt, wird auch nicht besser durch echt lustige Elefanten vorher und dreifache Salti vom Trapez nachher – oder durch Vorträge über die Gefährlichkeit geschliffener Dolche.

Wer in den kommenden Jahren das Wort „Ziegenficker“ liest, wird unmittelbar an Ihr Schmähgedicht denken. Egal, in welchem Kontext es auftauchen wird. Das, lieber Jan Böhmermann, lernt man auch in Proseminaren, die nennen das dort Intertextualität.

Aber genug mit dem Gedöns. Freue mich wirklich auf die nächste Sau, die wir gemeinsam durchs Dorf treiben werden. Morgen schreibe ich darüber, dass die spanische Polizei klammheimlich die Bierpolonaise am Ballermann verbietet. Versprochen.

Mit freundlichen Grüßen

Jan Rübel

Bilder: dpa und twitter.com/janboehm

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