Rittal lieferte Teile für ein KI-Waffensystem nach Russland: Deutsche Milliardärs-Firma verstrickt sich in Widersprüche
Hat das Firmen-Imperium des zehntreichsten Deutschen gegen Russland-Sanktionen verstoßen? Recherchen von Business Insider legen diesen Verdacht nahe. Geheime Dokumente aus dem Innenleben eines russischen Militär-Dienstleisters zeigen eindrücklich, wie der Rittal-Konzern des Milliardärs Friedhelm Loh jahrelang Bauteile für die IT-Technik eines KI-gestützten Gefechtskontrollsystems der Russen geliefert hat.
Der weltgrößte Schaltschrank-Hersteller reagierte auf die Berichterstattung von Business Insider und erklärte gegenüber anderen Medien, dass das Unternehmen nach Kriegsbeginn keine eigenen Produkte geliefert habe, sondern lediglich als "Distributor" eines anderen deutschen Herstellers in Russland aufgetreten sei. Um welche Firma es sich handelt, sagte Rittal nicht.
Vertrauliche Rechnungsakten legen Widersprüche in der Darstellung von Rittal offen
Vertrauliche Rechnungen und Frachtbriefe, die uns vorliegen, zeigen, dass diese Darstellung des deutschen Elektrotechnik-Konzerns unwahr ist. Denn: Die Rittal-Tochter in Russland hat viele Wochen nach dem Einfall Russlands in die Ukraine zu Beginn des Jahres 2022 sehr wohl noch eigene Produkte an den russischen Militär-Dienstleister NPO in Moskau geliefert. Unter anderem geht es um ein Belüftungsgerät für Serverschränke, welches laut Produktdatenbank der Friedhelm-Loh-Gruppe aktuell von Rittal hergestellt wird. Dieses lieferte Rittal im April 2022 an NPO. Im Februar 2022 hatte die deutsche Konzernzentrale entsprechende Bauteile an das Moskauer Lager der Rittal LLC geliefert.
Neben den Lüftungssystemen lieferte Rittal damals auch noch zahlreiche Schrauben, Seitenwände und Teile zur Befestigung der Industrie-Lüfter. Diese stammen tatsächlich nicht aus Rittal-Produktion, sondern werden von der Berliner Firma Heitec hergestellt. Schon seit vielen Jahren kooperieren beide Unternehmen. So ist Rittal unter anderem für den Vertrieb zahlreicher Heitec-Produkte im Ausland verantwortlich. Heitec reagierte nicht auf eine Anfrage. Ob der Berliner Firma bekannt war, dass Rittal die Produkte für ein russisches Militärprojekt weitergeleitet hat, bleibt daher unbeantwortet.
Lieferungen für Raketen-Projekt in Russland bringt Rittal in Erklärungsnot
Weitere Unterlagen, die Business Insider vorliegen, rücken den gesamten Vorgang weiter ins Zwielicht. Aus den Akten geht nämlich hervor, dass die von Rittal gelieferten Teile auch für das Raketenprogramm Nudol Verwendung fanden. Dahinter steht der größte russische Rüstungskonzern Almaz-Antey. Die Brisanz: Gegen die Firma gelten bereits seit 2014 harte EU-Sanktionen. Almaz-Antey soll nämlich die Rakete hergestellt haben, mit der die Russen damals das Passagierflugzeug MH17 über der Ukraine abgeschossen haben. Alle 298 Insassen starben.
Im Klartext: Seit 2014 dürfen europäische Firmen keine Geschäfte mit Almaz-Antey machen. Auch nicht indirekt. Die Bereitstellung der Produkte für das Militärprojekt von Almaz-Antey in Russland könnte also ein Verstoß gegen die Sanktionen gewesen sein. Auf Anfrage äußert sich Rittal dazu nicht.
Sanktionsexperte vermutet strafbares Handeln
Sanktionsexperte Viktor Winkler erklärt: "Der springende Punkt aus Sanktionsperspektive ist hier: Was hat die Muttergesellschaft in Deutschland gewusst, was musste sie wissen, und wogegen hat sie bewusst ihre Augen verschlossen?" Es sei überaus unwahrscheinlich, dass Rittal sich so radikal von der Tochtergesellschaft in Russland losgemacht hat, dass ihr die Handlungen der Tochtergesellschaft nicht zugerechnet werden könnten, sagt uns der Professor für Wirtschaftsrecht. "Eine solche chinesische Mauer zwischen russischen Töchtern und deutschen Müttern hochzuziehen, ist möglich, aber extrem selten und nur mit übermenschlichen Anstrengungen und Kosten verbunden", so der Jurist. "Zudem galten hier die Verbote immerhin bereits lange vor 2022. Insgesamt handelt es sich um eine erstaunlich gefährliche Geschäftskonstruktion, die es dem deutschen Unternehmen sehr, sehr schwer machen wird, der zuständigen Staatsanwaltschaft glaubhaft zu machen, dass man von Dingen nichts wusste, die der deutschen Muttergesellschaft klar verboten gewesen wären und auch weiterhin sind."