Lockdown-Affäre um Cummings bringt britische Regierung ins Schwitzen

Während ganz Großbritannien stillsteht, fährt der Chefberater des britischen Premierministers quer durchs Land. Nicht nur die Opposition, sondern auch konservative Abgeordnete fordern den Rücktritt von Dominic Cummings - doch Boris Johnson hält zu ihm.

London: Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, spricht bei einer Pressekonferenz in der 10 Downing Street zur Corona-Pandemie. Johnson hat seinen umstrittenen Chefberater Dominic Cummings in der Affäre um angebliche Lockdown-Verstöße verteidigt. Foto: Andrew Parsons / 10 Downing Street / AP / dpa
London: Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, spricht bei einer Pressekonferenz in der 10 Downing Street zur Corona-Pandemie. Johnson hat seinen umstrittenen Chefberater Dominic Cummings in der Affäre um angebliche Lockdown-Verstöße verteidigt. Foto: Andrew Parsons / 10 Downing Street / AP / dpa

Der britische Premierminister Boris Johnson hat am Sonntag versucht, einen Strich unter die Affäre wegen angeblicher Lockdown-Verstöße seines Chefberaters Dominic Cummings zu ziehen. Der Premier stellte sich demonstrativ hinter den umstrittenen Berater. Nach einem ausführlichen Gespräch sei er zu dem Schluss gekommen, dass Cummings «den Instinkten eines jedes Vaters gefolgt» sei, sagte Johnson bei einer Pressekonferenz. Cummings habe «in jeder Hinsicht verantwortlich, legal und mit Integrität» gehandelt, so der Regierungschef.

Zuvor war nicht nur von der Opposition, sondern auch aus den eigenen Reihen der Druck auf Cummings gestiegen, wegen der angeblichen Verstöße zurückzutreten. Dem Wahlkampfstrategen wird vorgeworfen, mit einer Reise von London zu Familienangehörigen ins rund 430 Kilometer entfernte Durham Ende März die Ausgangsbeschränkungen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie umgangen zu haben. Cummings gab an, er habe keine andere Möglichkeit gehabt, die Betreuung seines vier Jahre alten Sohns sicherzustellen. Berichten zufolge reiste er sogar mindestens zwei Mal dorthin. Das bestreitet die Regierung jedoch.

Unautorisierter Tweet der britischen Regierungsbeamten sorgt für Furore

Oppositionschef Keir Starmer von der Labour-Partei zeigte sich von Johnsons Umgang mit dem Vorgang enttäuscht. «Es ist eine Beleidigung gegenüber den Opfern, die das britische Volk gebracht hat, dass sich Boris Johnson entschlossen hat, nichts gegen Dominic Cummings zu unternehmen», twitterte er. Er forderte eine Untersuchung der Vorfälle.

Auf dem offiziellen Twitter-Account der britischen Regierungsbeamten hieß es kurz nach der Pressekonferenz: «Arrogant und beleidigend. Können Sie sich vorstellen, wie es ist, mit diesen Wahrheitsverdrehern zusammenzuarbeiten?» - Die Nachricht wurde jedoch umgehend wieder gelöscht. Wer sie geschrieben hatte, war zunächst unklar. Die Regierung kündigte umgehend per Twitter eine Untersuchung an. Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling antwortete darauf: «Wenn Sie rausgefunden haben, wer es war, lassen Sie es uns wissen, ich will denen ein Jahresgehalt geben.»

Die Debatte über Cummings hatte am Wochenende das Nachrichtengeschehen in dem Land dominiert. Der Berater bestand darauf, «vernünftig und legal» gehandelt zu haben. Seine Frau sei bereits an Covid-19 erkrankt gewesen und er selbst habe auch mit einer Ansteckung rechnen müssen. Seine Schwester habe angeboten, sich notfalls um seinen Sohn zu kümmern. Cummings erkrankte nach eigener Darstellung kurz nach seiner Ankunft in Durham. Gemäß den Richtlinien der Regierung waren zu diesem Zeitpunkt Reisen nur bei zwingenden Gründen erlaubt.

«Dominic Cummings muss gehen, bevor er Großbritannien, der Regierung, dem Premierminister, unseren Institutionen oder der Konservativen Partei noch mehr Schaden zufügt», schrieb der Tory-Abgeordnete und Erz-Brexiteer Steve Baker am Sonntag auf der Webseite «The Critic».

Hat Cummings das Vertrauen in die Regierung beschädigt?

«Es kann nicht sein, dass es eine Regel gibt für die, die sie machen und eine andere für das britische Volk», sagte ein Sprecher der Labour-Partei. Der ehemalige Polizeichef der Grafschaft Durham, Mike Barton, sagte der BBC in einem Interview: «Lasst uns nicht um den heißen Brei reden, er hat die Regeln gebrochen, das ist sehr klar.»

Großbritannien hat offiziellen Statistiken zufolge die höchste Zahl an Todesfällen durch die Coronavirus-Pandemie in Europa. Bis Samstag starben dort knapp 36.800 Menschen, nachdem sie positiv auf das Coronavirus getestet wurden. Inzwischen ist die Zahl der täglich neu gemeldeten Infektionen und Todesfälle zurückgegangen. Doch es wird befürchtet, dass die Epidemie wieder an Fahrt aufnehmen könnte, wenn die Regeln zur Kontaktbeschränkung nicht mehr eingehalten werden sollten. Cummings könnte das Vertrauen in die Regierung irreparabel beschädigt haben, meinen Kritiker.

Cummings gilt schon seit Langem als umstritten. Ihm werden der Erfolg der Brexit-Befürworter im Referendum über den EU-Austritt 2016 und der Sieg der Konservativen bei der vergangenen Parlamentswahl zugeschrieben. Doch auch irreführende Slogans wie das Versprechen, der EU-Austritt werde 350 Millionen Pfund (390 Millionen Euro) pro Woche freisetzen, die in das marode britische Gesundheitssystem investiert werden könnten, sollen auf ihn zurückgehen.

Cummings hat großen Einfluss auf das Land

Unter Johnson stieg Cummings zur grauen Eminenz in der Downing Street auf. Wie groß sein Einfluss in der Regierung inzwischen ist, wurde im Februar deutlich, als Finanzminister Sajid Javid nach einem Machtkampf mit dem Berater seinen Hut nehmen musste. Das Amt des Schatzkanzlers ist in Großbritannien traditionell der zweitwichtigste Posten nach dem Premierminister. Cummings gilt daher inzwischen als faktisch zweiter Mann im Vereinigten Königreich.

Eine erste Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov legt nahe, dass mehr als zwei Drittel der Briten (68 Prozent) die Reise Cummings für einen Bruch der Lockdown-Regeln halten. Eine knappe Mehrheit (52 Prozent) befürwortet seinen Rücktritt. Befragt wurden 3700 Erwachsene in Großbritannien am Samstag. Nach Ansicht britischer Kommentatoren dürfte das letzte Wort in der Angelegenheit noch nicht gesprochen sein. (dpa)