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Politikerduell bei "maischberger": Sind die Lockerungen "gefährlich" oder "zu spät"?

Sandra Maischberger und ihre Gäste diskutierten am Mittwochabend über die Lockerungen, die die Kanzlerin zuvor angekündigt hatte. Vor allem SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und FDP-Chef Christian Lindner lieferten sich ein hitziges Duell.

Fast mehr noch als von den Corona-Toten war in den letzten Wochen von Zahlen die Rede. Infektionszahlen, Reproduktionszahlen, Quadratmeterzahlen - da war es wenig verwunderlich, dass von den vielen Dingen, die Angela Merkel am Mittwochnachmittag nach ihren Beratungen mit den Ministerpräsidenten verkündete, vor allem wieder eine Zahl im Kopf hängen blieb - diesmal die 50. Sollten Landkreise oder kreisfreie Städte innerhalb sieben Tagen 50 oder mehr Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner melden, dann müssten die so eben beschlossenen Lockerungen lokal wieder zurückgenommen werden, so die Kanzlerin.

Und gelockert wurde in der Tat einiges, wenn auch lange noch nicht alles. So dürfen sich nun Angehörige von zwei Haushalten treffen, Sport - auch die Fußball-Bundesliga - kann unter gewissen Bedingungen wieder stattfinden, ebenso sind Besuche in Pflegeheimen und anderen Einrichtungen wieder möglich, Geschäfte dürfen unabhängig von Größe wieder öffnen. "Wir haben die erste Phase der Pandemie hinter uns", so Merkel. Der Weg, den Deutschland gehe, sei "offen und mutig".

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Anders sieht das ganz offenbar der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. Er diskutierte gegen Ende einer auf den frühen Abend vorgezogenen Ausgabe von "maischberger. die woche" mit FDP-Chef Christian Lindner über die beschlossenen Öffnungen. Der Mittwoch sei ein schlechter Tag für Deutschland, zumindest aus Sicht eines Epidemiologen, so Lauterbach. Die Pandemie könne man so kaum mehr steuern - "wir brauchen jetzt Glück". Was beschlossen wurde, sei ein "Experiment" und "gefährlich". Die Pandemie sei mitnichten unter Kontrolle, 98 Prozent der Deutschen noch nicht immun gegen das Coronavirus.

Lindner hingegen bezeichnete die Öffnungen als "richtig und verantwortbar", auch wenn sie zu spät kämen. Der Lockdown zu Beginn der Pandemie sei zwar richtig gewesen, jetzt aber brauche es dringend weitere Schritte. Denn die Einschränkungen der Freiheit der Bürger sei nicht mehr verhältnismäßig. Seine Forderung: Deutschland müsse auf die Eigenverantwortlichkeit der Menschen setzen, so wie das auch Schweden tue. In dem skandinavischen Land gibt es nur Empfehlungen, aber so gut wie keine verordneten Einschränkungen - so haben etwa Kitas und Restaurants seit der ganzen Dauer der Pandemie geöffnet.

"Gezielter Schutz, zum Beispiel für meine Omas"

Für Lauterbach hingegen ist Schweden alles andere als ein Positivbeispiel. Der SPD-Mann wählte drastische Worte: "Die Schweden handeln unverantwortlich", die Ergebnisse der schwedischen Politik seien "erbärmlich". Schweden habe, auf die Bevölkerungszahl gesehen, viel mehr Tote als Deutschland, und das trotz geringer Bevölkerungsdichte. Die dortige Regierung habe "ältere Menschen geopfert", damit die jüngeren in Restaurants gehen können, so Lauterbach. Eigenverantwortung funktioniere vor allem dann nicht, wenn die Gefahren des Virus verharmlost würden.

Für Lindner, den FDP-Mann, ist Eigenverantwortung hingegen freilich der Begriff der Stunde. Man habe die Kapazitäten im Gesundheitswesen ausgebaut, die Menschen wüssten, wie Hygiene funktioniert - für ihn Voraussetzungen für weitere Lockerungen. Was man noch bräuchte - und da war er sich ausnahmsweise mit Lauterbach einig -, seien bessere Masken und die Corona-App, über die schon so lange diskutiert wird. Lauterbach aber fand es gefährlich, dass etwa Schulen keine bundesweit einheitlichen Konzepte entwickelt worden seien; außerdem sie völlig offen, was passiere, wenn die "Notbremse" - also jene magische 50-Personen-Grenze - nicht nur an wenigen Orten in Deutschland gezogen werden müsse.

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Lindner blieb dennoch bei seinen Forderungen. "Statt drakonischer Maßnahmen für alle: gezielter Schutz, zum Beispiel für meine Omas", gab er sein Motto vor. Dass es ihm nicht nur um die Wirtschaft gehe, sondern mehr noch um die Gesundheit der Menschen - das betonte Lindner deutlich. Dennoch sorge er sich auch um die Betriebe im Lande. Bei der Frage "Wie bringen wir wieder Leben in die Wirtschaft?" dürfe Deutschland nicht erneut zu spät sein, so der Politiker. Seine Ideen: eine Steuerreform, massive Investitionen in Digitalisierung und Forschung, außerdem müssten die Steuerjahre 2020 und 2021 zusammengelegt werden.

Und dann warf er einen neuen Begriff in den Ring: In Zukunft, so Lindner, werde nicht mehr über Infektionsketten diskutiert, sondern über Interventionsketten - "Lieferketten und so weiter". Bevor er aber ausführen konnte, was er meinte, war die Sendezeit vorbei. Was SPD-Mann Lauterbach von dieser Diskussion hielt - man konnte es dennoch in seinem Gesicht ablesen.

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