„Es wird sich lohnen“ - Die Gemeinde, die ihre Häuser mit einem 20-Zentimeter-Loch heizt

Kleines Loch mit großer Wirkung: Geothermie-Anlage am Grünwalder Forst nahe München<span class="copyright">Drees & Sommer</span>
Kleines Loch mit großer Wirkung: Geothermie-Anlage am Grünwalder Forst nahe MünchenDrees & Sommer

Der Münchner Vorort Grünwald ist bekannt für seine hohen Grundstückspreise. Was die Gemeinde aber noch besonders macht: Zwei von drei Haushalten heizen mit Tiefengeothermie. 22.000 Tonnen CO2 sparte die Gemeinde letztes Jahr damit. Prestigeprojekt oder der Vorreiter für klimaneutrale Wärme?

In einem kleinen Industriepark, angrenzend an den Grünwalder Forst nahe München, stecken zwei lange Metallrohre, die so eng sind, dass höchstens ein Kind hindurchpassen würde. Diese teilen sich ab und an in kleinere Rohre. Dazwischen immer mal wieder Kästen, Ventile, Manometer. Oberirdisch sieht das Konstrukt eher unscheinbar aus, doch unter der Erde wird es umso spannender: Die Anlage geht 4000 Meter in die Tiefe.

Je tiefer die Rohre in den Boden führen, desto enger werden sie. Ganz unten haben sie weniger als 20 Zentimeter Durchmesser pro Rohr. Durch eine der beiden 20-Zentimeter-Öffnungen fließt jedoch ein wahrer Schatz: Wärme für mehr als 3500 Menschen und Unternehmen im Münchner Nobel-Vorort Grünwald. Erdwärme ist das Stichwort: klimafreundlich und jederzeit verfügbar. Klingt simpel. Aber warum nutzt Deutschland dann nicht mehr davon?

Heiße Steine unter der Erde

Um die Wärme unter unseren Füßen in Energie umzuwandeln, braucht es Geothermie. Ein kurzes Einmaleins: Tief in der Erde befinden sich heiße Gesteine, die Wärme abgeben. Je tiefer man bohrt, desto heißer die Temperaturen. Kommt Wasser in die Nähe dieser Gesteine, heizt es sich auf. Findet man einen Ort, an dem viele geothermische Ressourcen vorhanden sind, wird gebohrt.

Mit einer Bohranlage wird im Süden von München eine Geothermiebohrung durchgeführt.<span class="copyright">picture alliance / dpa/Archiv</span>
Mit einer Bohranlage wird im Süden von München eine Geothermiebohrung durchgeführt.picture alliance / dpa/Archiv

Das heiße Wasser wird durch das Rohr der Förderbohrung in die Anlage geleitet und dort in Energie umgewandelt. Von da aus wird es über Leitungen an Schulen, Kindergärten, Familienhäuser oder Gewerbegebäude verteilt – an alle, die einen Geothermie-Anschluss im Keller haben. Das Wasser kühlt ab und wird durch das Rohr der Injektionsbohrung zurück in die Erde gepumpt. Dort heizt es sich wieder auf. So auch hier nahe Grünwald. Sie ist eine von 43 Anlagen dieser Art in Deutschland. Um flächendeckend klimafreundlich zu heizen, bräuchte es allerdings deutlich mehr.

Sorgenkind Gebäude

Während Deutschlands Treibhausgasemissionen auf dem tiefsten Stand seit 70 Jahren liegen, verfehlt der Gebäudesektor regelmäßig seine Klimaziele. Die Emissionen stagnieren. Das liegt besonders an der Art und Weise, wie geheizt wird. Der Wärmesektor macht laut Umweltbundesamt etwa 56 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs aus. Letztes Jahr gingen für jede klimaneutrale Heizung mehr als doppelt so viele fossile Heizungen über die Ladentheke.

Lösen ließe sich das Problem mit Wärmepumpen, die mit erneuerbaren Energien betrieben werden - und mit grüner Fernwärme, zu der auch die Geothermie zählt. Darüber hinaus zeigt die russische Invasion der Ukraine, dass es vielleicht auch ökonomisch sinnvoller ist, unter den eigenen Füßen zu graben, als sich vom Gas fremder Mächte abhängig zu machen.

Ein Kraftwerk als Selbstläufer

In Grünwald verfolgt man den Fernwärme-Plan schon seit vielen Jahren - seit 2009, um genau zu sein. Zwei Drittel der Haushalte in dem Münchner Nobel-Vorort werden mit Erdwärme versorgt. Sechs technische Mitarbeiter arbeiten bei dem zuständigen Unternehmen Erdwärme Grünwald GmbH. Eigentlich sei das Wärmekraftwerk ein Selbstläufer, so Franz Barenth, der die technische Leitung innehat. „Wir sind ein Betrieb mit 24/7-Überwachung, Personal arbeitet regulär vor Ort und ist über Bereitschaftsdienste jederzeit verfügbar.“ Mitarbeiter kontrollieren regelmäßig in der Zentrale im Gebäude nebenan. 9,9 Megawatt zeigen die Bildschirme. So viel verbraucht Grünwald zu diesem Zeitpunkt.

In dem Stadtteil ist Geothermie vergleichbar günstig. Für den Anschluss an das Fernwärmenetz zahlt man einmalig 3570 Euro – das umfasst den Hausanschluss, die Anlage sowie die Installation im Keller. Für einen typischen Haushalt mit einem durchschnittlichen Verbrauch von 15 Megawattstunden (Mwh) belaufen sich die jährlichen Heizkosten auf 1864,49 Euro, Leistungs- und Messpreis inklusive. Im Vergleich: Bei einem Gaspreis von 12 Cent pro Kilowattstunde inklusive Wartungskosten liegen die jährlichen Kosten bei 1950 bis 2100 Euro. Auch die Ölheizung ist nicht günstiger.

Das Preis-Problem

Was die Geothermie in Grünwald im Vergleich so preiswert macht: Es sind keine 20.000 bis 30.000 Euro teuren Bohrungen bei jedem einzelnen Haus notwendig, wie in anderen Gemeinden. Hier passiert alles in dem Gewerbegebiet am Grünwalder Forst, dem mit den beiden dünnen Rohren. Und in den Transportleitungen, durch die die Wärme in die Häuser fließt. Dafür gibt es ein insgesamt circa 120 Kilometer langes Fernwärmenetz, das von den berühmten Bavaria Filmstudios bis zur einfachen Doppelhaushälfte genutzt wird, erzählt Geschäftsführer Andreas Lederle. Der wohlhabende Münchner Vorort ist damit allerdings noch die Ausnahme.

Geothermie-Geschäftsführer Andreas Lederle: "Es wird sich lohnen"<span class="copyright">Drees & Sommer</span>
Geothermie-Geschäftsführer Andreas Lederle: "Es wird sich lohnen"Drees & Sommer

 

Denn vor der Versorgung mit Fernwärme steht erstmal der Bau der nötigen Infrastruktur - und der ist teuer. Zwar gibt es eine 40-Prozent-Förderung für Investitionskosten beim Netzausbau, aber die Gemeinden müssen diese Kosten mindestens ein Jahr vorfinanzieren. Kommunen seien bis heute weitestgehend auf sich allein gestellt, sagt Lederle. Es braucht Fachexperten, die sich kümmern. „Sie würden sich auch nicht von Ihrem Hausinstallateur das Gehirn operieren lassen“, so der Geschäftsführer.

Auch in Grünwald stoßen sie immer wieder auf Hindernisse. „Es fehlen Standardisierungs- und Digitalisierungsprozesse im Rahmen der Genehmigungsprozesse“, kritisiert Lederle. Was er damit meint: Jede Behörde entscheidet einzeln. Um einen Hemmstoff gegen Kalk genehmigt zu bekommen, dauert es ganze sechs Monate. Jeder mit einem Wasserkocher weiß, wie schnell sich Ablagerungen bilden. Dort reicht eine Entkalkungstablette. In 4000 Metern Tiefe nicht.

„Geld ist ein Problem der alten Welt“

Was auch nicht so einfach ist: den richtigen Ort zum Bohren zu finden. Was in Bayern gut funktioniert, ist in anderen Regionen schwieriger. Nicht überall gibt es genügend Thermalwasservorkommen, erklärt Geologe Ferdinand Hülß. Dafür messen Experten ganz genau nach. Auch, um Vorfälle wie 2006 in der Schweizer Großstadt Basel zu vermeiden. Dort hatte eine Bohrung ein kleines Erdbeben mit einer Stärke von 3,4 ausgelöst. Ein Gefühl, als würden ein paar große Lastwagen in der Nähe vorbeifahren.

„Der Mensch hat nicht die Kraft, ein gefährliches Erdbeben auszulösen“, so Geologe Hülß. Trotzdem brauche es geschultes Fachpersonal und mehr Fördermittel. Finanzielle Mittel müssen ohnehin in Richtung Klima fließen, sagt Andreas Lederle. „Geld ist ein Problem der alten Welt“, sagt er. Die Klimakrise sei die größte Aufgabe, die wir seit dem Wiederaufbau haben. „Betrachten wir doch die erneuerbaren Fernwärmenetze als Daseinsvorsorge der Kommunen. Welcher Wasserversorger oder Kanalnetzbetreiber wurde schon einmal nach Rendite gefragt?“

Die Ampel und der Turbo

Mit dem BEW-Fördergesetz (Bundesförderung für effiziente Wärmenetze) unter der Leitung von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wollte die Ampel-Regierung vor zwei Jahren den Fernwärme-Turbo zünden. Bis 2027 sollen 3,5 Milliarden Euro pro Jahr an Fördermitteln für die Wärmeversorgung mit erneuerbaren Energien fließen. „Das war ein guter erster Schritt“, so Lederle, sei jedoch bei weitem nicht genug. Es bräuchte eher das Vierfache, schätzt er. „Das alte Geld der Ölindustrie muss in die erneuerbaren Energien investiert werden", sagt der Geschäftsführer. "So sieht es der Green Deal der EU vor.“

Anfang September dieses Jahres wiederum hat das Kabinett einen neuen Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Genehmigungsverfahren für Geothermieanlagen, Wärmepumpen und Wärmespeicher beschlossen. Laut Bundeswirtschaftsministerium soll das Gesetz (GeoWG) die Grundlagen dafür schaffen, dass sich bis 2030 zehn Terawattstunden Energie aus Erdwärme gewinnen lassen. Das wären etwa zehnmal so viel wie derzeit. Das Bundeswirtschaftsministerium glaubt auch an Grünwalds Geothermie: Im Juni bewilligten sie 62,3 Millionen Euro Fördergeld.

Die große Perlenschnur um München

Nicht weit von Grünwald entfernt, in Oberhaching, soll das Geld in ein neues Vorzeige-Projekt fließen. Ein neues Standwerk, diesmal mit vier Bohrungen, also zwei intakte Geothermie-Kraftwerke. Südlich des bestehenden Standorts realisiert das Unternehmen mit Unterstützung des Beratungsunternehmens Drees & Sommer das Großprojekt „Laufzorn II“. Noch sieht man eine leere Kiesfläche mit vier Kratern. Mit der neuen Anlage können drei Vollbäder pro Sekunde mit Wasser gefüllt werden, so Projektleiter Max Müller.

Wie Perlen an einer Schnur reihen sich bislang schon acht Geothermieprojekte im Süden von München auf. Ziel ist es, künftig alle Anlagen in einem großen Fernwärmeverbund zu bündeln, um die bayerische Landeshauptstadt mit Wärme zu versorgen. „Perlenschnur“ heißt das Großprojekt in Kooperation mit den Stadtwerken München. Je mehr Anlagen, desto günstiger die Kosten und desto größer das Wärmenetz.

Wie groß ist das Potenzial der Geothermie? Ein Anteil von 45 Prozent oder mehr an der Wärmeversorgung sei schon möglich, glaubt Lederle. Kommunen bräuchten mehr Mut, die Politik müsse langfristiges Engagement zeigen. Energieversorgungsunternehmen müssen transparent sein. Die Daten der Erdwärme Grünwald GmbH fließen beispielsweise an die Münchner Ludwigs-Maximilian-Universität (LMU) sowie den Erdbebendienst. Die Grünwalder vertrauen dem Betrieb. Die Anfragen nach einem eigenen Anschluss steigen weiterhin.

Lederle jedenfalls bleibt optimistisch. „Der Markt wird sich entwickeln, es wird sich lohnen.“

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