Kleiderfrage: Wieviel Individualität halten Eltern aus?

Berlin (dpa) - Zerrissene Jeans, bauchfrei, knallige Farben - viele Eltern haben ein Problem damit, wie ihre Schulkinder morgens das Haus verlassen. Eckt mein Kind an, wird es ausgelacht, ruiniert es sich womöglich gar seinen Ruf?

Der Bundeselternrat hat diese Sorgen aufgegriffen und empfiehlt Schulen, einen Konsens über eine Kleiderordnung zu schließen. Dieser solle dann in die Hausordnung aufgenommen werden, sagte die Vorsitzende der Organisation, Christiane Gotte, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Der Deutsche Lehrerverband sieht den Vorschlag kritisch.

Frankreich will Schuluniformen testen

Im Nachbarland Frankreich sollen sogar vom Herbst an testweise Schuluniformen eingeführt werden. Viele Menschen im Land fänden Schuluniformen eine gute Sache, andere nicht, hatte Frankreichs Bildungsminister Gabriel Attal zum Schuljahresstart dem Sender RTL gesagt. Der beste Weg sei, Uniformen an Schulen einmal auszuprobieren. Davon ist Deutschland zwar weit entfernt, aber Streit um angemessene Kleidung im Unterricht gibt es immer wieder.

«Wir sagen nicht: Jede Schule muss eine Kleiderordnung haben», so Gotte vom Bundeselternrat zur Deutschen Presse-Agentur. «Aber jede Schule sollte intern darüber diskutieren – und wenn sie dann zu dem Schluss kommt, keine Kleiderordnung zu brauchen, ist das für uns völlig in Ordnung. Auch in dem Fall wären die Eltern viel entspannter, weil sie wüssten, dass die Kleidung ihrer Kinder keinen Anstoß erregt.» Es gebe natürlich auch Eltern, die sehr offen seien und die Individualität ihres Kindes unterstützten.

Entscheide sich eine Schule für eine Kleiderordnung, sollten Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Eltern sie gemeinsam demokratisch erarbeiten, heißt es vom Bundeselternrat. Der Vorteil wäre aus dessen Sicht, dass es eine Verbindlichkeit gäbe und die Lehrer eine Handhabe hätten, um ein Kind zum Umziehen auch mal wieder nach Hause schicken zu können. «Die haben sie derzeit an vielen Schulen nicht.» Meist gehe es dabei um «unangemessene, lottrige, zerrissene oder freizügige Kleidung», sagte Gotte den Funke-Zeitungen.

Lehrerverband: «Schule ist kein Strand»

Der Deutsche Lehrerverband vertritt bei dem Thema eine andere Ansicht. «Eine Formulierung zu finden, die festlegt, wie lang ein T-Shirt sein darf, ist kaum möglich», sagte Verbandspräsident Stefan Düll den Funke-Zeitungen. Es sei ein gesamtgesellschaftlicher Trend, dass Kleidung legerer werde. Klar sei aber auch: «Schule ist kein Strand und kein Club.»

Die Kinder und Jugendlichen probierten sich aus, manchmal sei das eine Anti-Haltung gegen die Eltern, manchmal zögen sie einfach an, was sie zu Hause sähen, sagte Düll der dpa. «Wenn man eine Kleiderordnung macht, dann müssten aber auch alle mitmachen, die ganze Schulfamilie einschließlich der Eltern.»

Auch die Vorsitzende des Bundesverbands für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie (bkj) fragt sich, wie eine solche Kleiderordnung aussehen sollte. «Das ist ja unformulierbar», so Inés Brock-Harder. «Eine völlig zerrissene Jeans kann aus Sicht eines Jugendlichen ein hochwertiges Kleidungsstück sein. Das aus Erwachsenensicht zu reglementieren, halte ich für übergriffig und einen unnötigen Eingriff in das jugendliche Modebewusstsein.» Kleidung sei ein sehr individuelles Thema, auch bei Erwachsenen.

Abgrenzung wichtig

Sie verstehe, dass Eltern mit Blick auf die Kleidung ihrer Kinder gewisse Sorgen hätten, sagt Brock-Harder. «Es ist aber völlig normal und eine wichtige Entwicklungsaufgabe, dass Jugendliche sich gerade in der Pubertät von ihren Eltern abgrenzen, und das geschieht auch über Kleidung. Eine Kleiderordnung würde eher zu noch mehr Konflikten führen als zu weniger Streit. Denn es führt wieder dazu: Die da oben legen irgendwas fest und wir Jugendlichen sind die Leidtragenden.»

Der Bundeselternrat sieht in festgelegten Klamotten-Regeln durchaus Vorteile. «Eine Kleiderordnung würde in den Familien morgens, wenn es sowieso schon stressig ist, vieles erleichtern und viel Konfliktstoff herausnehmen», sagte die Vorsitzende Gotte der dpa. Für sie persönlich sei zum Beispiel eine Jogginghose kein Kleidungsstück, um damit in die Schule zu gehen.

Lehrerverbandspräsident Düll betonte: «Es ist die Aufgabe von Eltern, sich mit ihren Kindern auseinanderzusetzen, es muss eine Reibung geben. Und manchmal erleidet man eben auch Schiffbruch.»