Männergesundheit - Vorzeitiger Samenerguss: Sexualtherapeutin erklärt Ursachen – und was hilft

Es gibt auch bei vorzeitigem Samenerguss einige medizinische Unterstützung.<span class="copyright">Getty Images</span>
Es gibt auch bei vorzeitigem Samenerguss einige medizinische Unterstützung.Getty Images

Für viele Männer ist „zu früh kommen“ mit großem Stress und Leidensdruck verbunden. Die Ejakulation nicht kontrollieren zu können, betrifft Männer aller Altersstufen. Es kann soweit gehen, dass intime Begegnungen vermieden werden. Sexualtherapeutin Beatrix Roidinger weiß Rat.

Was sind die häufigsten Ursachen für vorzeitige Ejakulation?

Die vorzeitige Ejakulation kann verschiedene Ursachen haben, die sowohl physischer als auch psychischer Natur sind. Meistens bildet sich das Problem auf beiden Ebenen ab. Auf der mentalen Ebene sind es hinderliche Glaubenssätze und falsche Mythen, die Männer über ihre eigene sexuelle Identität und Sex mit der Partnerin haben. Viele Männer denken, dass Sex eine Performance ist, wo es nur eine Möglichkeit gibt, was richtig ist und wie es abzulaufen hat.

Sex wird dann nach einem vorgefertigten Skript gemacht. Das erzeugt Leistungsdruck, den sie vom ersten Moment einer sexuellen Begegnung in sich spüren. Wenn Männer in die sexuelle Begegnung gehen und dabei von vornherein Angst haben, dass es wieder passiert, dann steht ihr ganzer Körper unter Anspannung. Angespannte Muskulatur, besonders im Becken, fördert eine frühzeitige Ejakulation.

Auf der körperlichen Ebene beeinflusst vor allem ein falsch antrainierter Erregungsmodus den vorzeitigen Samenerguss. Die meisten Männer haben sich in jungen Jahren mit intensivem Pornokonsum ein schnelles, zielgerichtetes Masturbieren angewöhnt. Die Konzentration liegt dabei auf dem erigierten Penis, der mit schnellem, intensiven Druck mit der Hand stimuliert wurde. Das Becken bleibt dabei angespannt und unbeweglich. Die Atmung ist flach im Brustbereich und erhöht damit die Signale für Stress im ganzen Körper. Unser Gehirn assoziiert flaches Atmen nämlich mit Gefahr und Stress, weil der Körper nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt wird. Die meisten Männer haben sich so einen völlig verspannten Körper herangezüchtet. Sie spüren wenig und müssen die Dosis der Stimulation am Penis immer mehr steigern.

So wie sie ihren Erregungsverlauf beim Masturbieren eingelernt haben, so praktizieren sie ihn dann auch beim Sex mit der Partnerin. Hart, schnell, mit flachem Atem und mit viel Druck. Falsches Masturbationsverhalten führt also zu einem falschen Verhalten beim Sex, weil der Körper der Männer nichts anderes kennt.

Wenn sich die schlechten Erfahrungen häufen, dann ziehen sich die Männer zurück. In mein Coaching kommen oft Männer, die jahrelang Sex vermeiden und sich in einer völlig isolierten Situation befinden. Der erste Schritt, aus dieser Situation herauszukommen, ist, sich Hilfe zu holen. Kein Mann muss sich in dieser Situation allein gelassen fühlen.

Welche professionellen medizinischen Behandlungen gibt es gegen vorzeitigen Orgasmus?

Es gibt auch bei vorzeitigem Samenerguss einige medizinische Unterstützung. Meine Erfahrung zeigt, dass medizinische Unterstützung dann wirkt, wenn sie mit einem sexologischen Coaching kombiniert ist. Denn medizinische Maßnahmen zielen immer nur auf die Symptome und nie auf die Ursachen.

Die gängigsten Behandlungsmethoden sind:

Lokalanästhetika: Cremes oder Sprays mit lokaler Betäubung können auf den Penis aufgetragen werden, um die Empfindlichkeit zu reduzieren und den Zeitpunkt der Ejakulation zu verzögern. Nachdem es aus sexologischer Sicht darum geht, die Empfindsamkeit differenzierter zu machen, kann diese Methode nur kurzfristig helfen. Sie hat oft den Effekt, dass der vorzeitige Samenerguss zwar ausbleibt, aber ebenso die Erektion. Das ist auch verständlich, denn ein betäubter Penis spürt nicht mehr viel.

Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI): Bestimmte Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI, wie z.B. Paroxetin, können die Ejakulation verzögern. Sie erhöhen den Serotoninspiegel im Gehirn und beeinflussen so die Ejakulationskontrolle. Diese Medikamente sollten nur unter ärztlicher Aufsicht eingenommen und nur für eine beschränkte Zeit angewendet werden. Auch hier besteht die Gefahr, dass es zwar keinen vorzeitigen Samenerguss mehr gibt, stattdessen aber eine unzulässige Erektion oder/und die Schwierigkeit überhaupt einen Orgasmus zu bekommen.

Phosphodiesterase-5-Hemmer (PDE-5-Hemmer): Medikamente wie Sildenafil, Tadalafil oder Vardenafil, die ursprünglich zur Behandlung von erektiler Dysfunktion entwickelt wurden, können auch dazu beitragen, die Zeit bis zur Ejakulation zu verzögern. Empfehlenswert ist diese Behandlungsmethode insofern nicht, als dass PDE-5 Hemmer Medikamente sind, die wie alle Medikamente auch Nebenwirkungen haben, ebenso wie einen Gewöhnungseffekt.

Welche mentalen Techniken können helfen, das Kommen zu kontrollieren?

Die Kontrolle über den vorzeitigen Samenerguss kann durch verschiedene mentale Techniken erzielt werden. Es geht dabei um die innere Einstellung, um Wahrnehmung und Reaktion des Körpers auf sexuelle Reize und um das Selbstbewusstsein im Bett zu stärken.

Achtsamkeit: Durch Achtsamkeitsübungen lernen Männer, den Moment bewusst zu erleben, ohne sich von ängstlichen Gedanken über den Orgasmus und das eigene Versagen ablenken zu lassen. Atemübungen und Konzentration auf die Empfindungen im Körper können die Ejakulationskontrolle verbessern.

 

Erweiterung der Aufmerksamkeit: Indem man sich während des Geschlechtsverkehrs auf andere sinnliche Erfahrungen ebenso wie auf die Bedürfnisse der Partnerin konzentriert, kann man die eigene Erregung besser kontrollieren und den Fokus von einer übermäßigen Stimulation ablenken.

Selbstvertrauen stärken: Die Vertiefung einer positiven Einstellung zum eigenen Körper und den sexuellen Fähigkeiten kann Ängste reduzieren. Sex ist soviel mehr als Penetration. Wenn Männer erkennen und erfahren, welche vielfältigen Möglichkeiten es gibt, Erregung, Lust und Begehren zu spüren, dann kommen sie von ihrem Penis als einzige Quelle der Lust weg. Mehr Optionen zu haben macht sexuell selbstsicherer und beugt unproduktivem Leistungsstress vor.

 

Hinderliche Glaubenssätze durch Affirmationen ersetzen: Der erste Schritt in Richtung Lösung ist, sich bewusst zu werden, wie viele negative Gedanken und Einstellungen die eigene sexuelle Erlebnisfähigkeit sabotieren. In einem zweiten Schritt gilt es darum, diese durch positive zu ersetzen. Also anstatt dass der Mann unentwegt denkt, “es wird wieder nicht funktionieren”, soll er diesen Gedanken bewusst wahrnehmen, dann tief durchatmen und sich dabei vorstellen, wie es ist, wenn er seinen Orgasmus hinauszögern kann. Das erfordert einige Übung, ist aber in Kombination mit anderen Maßnahmen wirksam.

Welche Techniken zur Selbsthilfe können Männer zu Hause ausprobieren, um vorzeitigen Samenerguss zu verhindern?

Zwei Techniken, die Männer selbstständig zu Hause üben können, möchte ich im Folgenden vorstellen. Im Grunde sind dies Basisübungen, von denen jeder Mann profitieren kann, nicht nur Männern mit vorzeitigem Samenerguss. Sie steigern die sexuelle Empfindungsfähigkeit und erweitern den sexuellen Handlungsspielraum.

Beweglichkeit im Becken: Die Beckenschaukel

Die meisten Männer, die keine Kontrolle über ihre Ejakulation haben, können ihr Becken nicht bewusst einsetzen, weil sie dort verspannt und steif sind. Ein trainierter Beckenboden ist gut und wichtig - das wissen inzwischen die meisten. Nur leider wird oft vergessen, dass es nicht nur um Anspannung, sondern auch um Entspannung geht. Eine gewisse Muskelspannung ist beim Sex ja notwendig, um eine sexuelle Erregung aufrechtzuerhalten. Zu hohe Muskelanspannung führt aber in vielen Fällen zu vorzeitigem Samenerguss. Die Lösung heißt Bewegung. Balance zwischen angespannter und entspannter Beckenbodenmuskulatur erreicht man mit der sogenannten Beckenschaukel. Sie sorgt dafür, dass eine ausreichende Durchblutung der Beckenbodenmuskulatur stattfindet. Moderate Bewegung ist außerdem für den Körper ein entstressendes Signal und beruhigt.

Zuerst muss der Mann die Beckenschaukel in verschiedenen Stellungen, also im Sitzen, im Stehen oder im Liegen (am Bauch oder am Rücken) üben. Bei der Beckenschaukel bewegt sich nur das Becken vor und zurück. Der übrige Körper bleibt in Ruhe. Bei der Bewegung nach hinten heißt es einatmen und entspannen und bei der Bewegung nach vorne ausatmen und anspannen. Wenn  der Mann diese Übung eine Weile macht - am besten jeden Tag für fünf bis acht Minuten - dann werden die Bewegungen mit der Zeit weicher und runder. Dadurch kommt es zu einer stärkeren Durchblutung, sodass sich die Erregung im gesamten Beckenraum ausbreitet. So gelingt es dem Mann seine Erregung differenzierter zu spüren - ein erster und wichtiger Schritt, um vorzeitigen Samenerguss vorzubeugen.

Anders masturbieren:

Parallel zur Beckenschaukel empfehle ich, dass der Mann seine Erregungskurve kennen und zu variieren lernt. Das macht er am Besten zuerst alleine beim Masturbieren. Was einfach klingt, ist am Anfang - wie bei allem Neuen, was man lernt - eine Herausforderung. Aber es lohnt sich. Der Körper hat ein bestimmtes Erregungsmuster über Jahre aufgebaut und verfestigt. Mit der bewussten Entscheidung, eine Verhaltensänderung beim Masturbieren herbeizuführen, steht und fällt der Erfolg. Dazu muss der Mann sich ganzkörperlicher und variantenreicher berühren. So kann er neben dem Penis andere erogene Zonen erwecken.

Der Gamechanger ist, die Beckenschaukel einzusetzen und anstatt dass sich seine Hand in der gewohnten Weise auf und abbewegt, bewegt sich sein Penis in die Hand hinein. Wenn er eine hohe Erregung erreicht hat, stoppt er die Bewegung und die Berührung und atmet bewusst tief ein und aus. Tiefes und langsames Atmen signalisiert dem Gehirn, dass alles in Ordnung ist. So fällt es auch leichter, sich wieder auf das Hier und jetzt zu konzentrieren und den Körper zu spüren.

Wenn die Erregung abgeklungen ist, kann er die Stimulation wieder aufnehmen. Jeder Mann kann so lernen, seine Erregungskurve voranzutreiben oder eben zu drosseln. Sinn dieser Übung ist, dass der Mann seine Erregung differenzierter wahrzunehmen lernt. Denn entgegen der landläufigen Meinung, dass der Mann, der zu früh kommt, zu viel spürt, ist das Gegenteil der Fall. Die Erregung schießt unkontrolliert in die Höhe und über das Ziel hinaus. Im Prinzip spürt er die Erregung und den Orgasmus nur punktuell. Er muss also den Weg von 0 (keine Erregung) bis hin zu 100 (Orgasmus) aktiv gestalten lernen. So kann er seine Ejakulation in Zukunft kontrollieren.

Gibt es hilfreiche Stoßtechniken, um vorzeitigen Samenerguss zu verhindern?

Die meisten praktizieren penetrativen Sex mit schnellen Rein- und Rausbewegungen des Penis in der Vagina. Der Rhythmus ist dabei meist gleichbleibend, ebenso Tiefe und Intensität. So sieht man es im Porno und so entspricht es auch der Bewegung beim Masturbieren. Schnelles Eindringen und heftige Bewegungen erzeugen aber viel Reibung und fördern somit hohe Erregung. Alternativ dazu sollte der Mann langsam eindringen und dann nach wenigen Zentimetern verweilen und kleine Bewegungen machen.

Das ist auch für die weibliche Erregung gut, denn am Vaginaleingang befinden sich viele Nervenzellen. Wenn er dann langsam tiefer bis zum Anschlag eindringt, sollte er nicht vergessen, immer wieder einen tiefen Atemzug zu machen.

Anstatt nun den Penis wieder zurück zu bewegen, kann er kleine Schaukel- oder Schraubbewegungen machen bzw. nur etwas nachdrücken. Dafür hilft ihm die oben beschriebene Technik der Beckenschaukel. Sein Penis, insbesondere seine Eichel werden so an anderen Stellen, als er es gewohnt ist, stimuliert. Mit der Zeit wird der Penis sensibler. Wenn er will, kann der Mann mit seinem Penis auch wieder herausgehen, aber Millimeter für Millimeter und nur soweit, dass er den Kontakt zur Vulva nicht verliert. Erneut macht er einen tiefen Atemzug.

Durch die Langsamkeit kann er seine Erregung besser spüren und kontrollieren. Außerdem erzeugt er so einen Unterdruck, der sich auch für die Frau sehr gut anfühlt. Alle beschriebenen Techniken mit den jeweiligen neuen Reizen können in der Umstellungsphase irritieren und weniger stimulierend wirken, als gewohnt. Mit der Zeit wird er aber an Sensibilität gewinnen.

Die Kompetenz seine Lust durch unterschiedliche Bewegungen, tiefe Atmung und der Erweiterung seiner erogenen Zonen im gesamten Körper auszubreiten, macht ihn sexuell selbstsicherer. Gemeinsam mit dem bewussten Anspannen und Entspannen seiner Beckenbodenmuskeln kann er seinen Orgasmus so kanalisieren, wie er es will. Im Idealfall kann er dann kommen, wann er will. Das ist besonders attraktiv, wenn er sich so auf die Erregung und den Orgasmus seiner Partnerin einstellen kann - eine Voraussetzung, um gemeinsam zu kommen. Ein Wunsch, den viele Paare haben, aber die wenigsten erleben.

Wie kann Kommunikation mit der Partnerin dabei helfen, das „Zu früh Kommen“ zu überwinden?

Vorzeitige Ejakulation ist ein weit verbreitetes Phänomen und kein Versagen von Männlichkeit. Jeder Mann kann daran arbeiten und eine Verbesserung herbeiführen. Dabei kann die Kommunikation mit der Partnerin unterstützend sein. Sich mitzuteilen, ist erleichternd, statt das Problem des vorzeitigen Samenergusses unter den Teppich zu kehren. Denn dann agiert er unter noch mehr Druck und Scham und das kann das Problem vergrößern.

Für eine Verbesserung beim Sex geht es ja vor allem darum, dass man etwas anders macht und ausprobiert. Dazu ist es unumgänglich, sich darüber zu verständigen. Wenn die Frau versteht, dass der Mann bei der Penetration langsam eindringen und langsame Bewegungen machen muss, damit er besser seinen Orgasmus kontrollieren kann, dann kann sie ihn dabei unterstützen. Viele Frauen spornen den Mann nämlich oft an, schnell einzudringen und heftige Bewegungen zu machen, weil sie nicht wissen, dass dann der Spaß zu Ende ist, bevor er richtig begonnen hat.

Auch während dem Sex ist es wichtig, dass der Mann kommuniziert, wie weit seine Erregung ist, damit die Partnerin ihn unterstützen kann, indem sie zum Beispiel die Stimulation oder die Bewegung minimiert oder kurz ganz einstellt.

Allgemein kann man sagen, dass offene Gespräche über Bedürfnisse und Vorstellungen, aber auch über Ängste und Sorgen die Intimität erhöhen. Sich gegenseitig akzeptieren und verstehen, dass vorzeitige Ejakulation ein gemeinsames Anliegen ist, fördert das Vertrauen und schafft eine Basis, sich gemeinsam sexuell zu entwickeln.

Aus Scham gehen viele Männer, wenn sie wieder einmal zu früh gekommen sind, aus dem Kontakt. D.h. sie brechen die sexuelle Situation ab, schlafen ein oder sprechen nicht mehr mit der Partnerin. Dieses Verhalten verschlimmert für beide die ohnehin angespannte Situation. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass der Mann lernt, einerseits seine Gefühle mitzuteilen und andererseits sexuell handlungsfähig zu bleiben. Für beides braucht man weder eine Erektion noch einen Orgasmus.