"Wir müssen aufpassen": Wolfgang Kubicki warnt bei "Markus Lanz" vor US-Verhältnissen in Deutschland

Ob Corona-Politik oder US-Polizeigewalt: FDP-Politiker Wolfgang Kubicki äußerte sich am Mittwochabend bei Markus Lanz gleich doppelt. Der wiederum versuchte den "sympathischen Hobbyepidemiologen" mehrfach aus der Reserve zu locken.

Kaum schien nach Monaten medialer Eintönigkeit die größte Corona-Aufregung gebannt, kam mit den Protesten gegen die rassistische Polizeigewalt in den USA bereits die nächste große Debatte auf. Virus oder Rassismus? Lockerungen oder Proteste? Die schwierige Frage nach der Themenwahl löste Markus Lanz am Mittwochabend ganz simpel mit einer Zweiteilung des ZDF-Talks. Und glücklicherweise hatte man als einen der vier Gäste einen Mann in der Runde sitzen, der sich augenscheinlich mit beidem auskannte: Wolfgang Kubicki. Der FDP-Politiker, der mit Gastgeber Lanz schon so manch hitzige Debatte führte, war dann auch der Einzige, der sich sowohl zu den Geschehnissen in den USA, als auch zum Stand der Pandemie-Bekämpfung hierzulande äußerte.

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Und Kubicki legte gleich mit einem gewagten Vergleich los: Das würde man eher in Lateinamerika vermuten, kommentierte er die Bilder der von Trump nach Washington beorderten Nationalgarde - woraufhin die geladene US-Journalistin Melinda Crane aufatmete: "Danke, dass Sie das sagen, ich dachte es wäre politisch inkorrekt!" Der US-Präsident gefährde mit seiner Reaktion die Wiederwahl, lautete die weitere Einschätzung Kubickis, und: "Trump hat seine Möglichkeiten überschätzt." Irgendwann, so der Politiker, würde es auch seinen Anhängern reichen.

Das sah Melinda Crane ein wenig anders: Trump würde auch jetzt noch, etwa mit seinem Auftritt inmitten der Riots mit der Bibel in der Hand, die evangelikalen Wähler erreichen, die weiterhin zu ihm stünden: "Das ist die große Tragik", so die Deutsche-Welle-Korrespondentin. Viele andere Amerikaner allerdings hätten so etwas "Bigottes und Verlogenes" seit Jahren nicht erlebt. Die Proteste seien "ein historischer Einschnitt", insbesondere, weil sie heterogener seien als in der Vergangenheit - und auch, weil die Ungleichheit zwischen Schwarzen und Weißen durch die Corona-Krise "mehr denn je aufgezeigt" würde. Die Polarisierung der Gesellschaft "saugt alles auf wie ein schwarzes Loch", so Crane.

Wolfgang Kubicki pflichtete dieser Einschätzung bei und warnte, nachdem er sich erst zur These verstiegen hatte, dass derlei Ausschreitungen hierzulande nicht möglich seien, dann doch zumindest vor ähnlich polarisierten Verhältnissen in Deutschland: "Wir müssen aufpassen, dass wir nicht die Diskursfähigkeit verlieren". In diese Richtung habe sich die Debatte nämlich bereits in der Flüchtlingskrise und nun in der Gesundheitskrise durch Corona bewegt. Apropos Virus: Zu seinem Lieblingsthema sollte Kubicki als "sympathischer Hobby-Epidemiologe" (Lanz) ja auch noch Stellung beziehen.

"Massenrudelbildung ist kontraproduktiv"

Hinsichtlich Corona, RKI und R-Wert hatte sich der Bundestagsvizepräsident schließlich schon einmal mit Lanz angelegt - und der wollte Kubicki wieder aus der Reserve locken. Doch der ließ sich auch durch Sätze wie "Sie diskreditieren die Politik und die Wissenschaft" nicht so leicht provozieren: "Ich sage nicht, dass die Präsentation der Zahlen politisch motiviert ist", stellte er mit Blick auf seine einstige Kritik am Robert Koch-Institut klar. Aber: "Es gibt politisch Interessierte, die diese Zahlen nutzen", so Kubicki. Die Vorstellung von Menschen in weißen Kitteln, die sich überlegen "Welche Zahlen hätte Frau Merkel denn gerne", hielt wiederum der geladenen RKI-Mathematiker Prof. Dirk Brockmann für "abwegig": "Das ist so weit weg von der Realität, dass es mich amüsiert."

Überein kam der Forscher - ebenso wie Lanz am Ende auch noch - mit Kubicki aber hinsichtlich der angeblich übertriebenen Bedeutung des R-Wertes, der angibt, wie viele Menschen ein Infizierter durchschnittlich ansteckt. Kubicki betonte nicht nur mehrfach, dass er den R-Wert einmal selbst nachgerechnet und nach unten korrigiert habe, sondern hielt auch daran fest, dass dieser Wert allein "niemals Grundlage freiheitseinschränkender Maßnahmen" sein dürfe. Konfrontiert mit den Bildern feierwütiger Raver in Berlin-Kreuzberg am Pfingstwochenende, konnte aber selbst der FDP-Mann nur mit dem Kopf schütteln: "Das erschreckt mich auch." Das Verbot von Massenveranstaltungen wie dem Karneval und die Schließung von Clubs, seien richtige Maßnahmen gewesen, denn: "Massenrudelbildung ist kontraproduktiv", so Kubicki.

Gegen Ende sagte Kubicki noch ein paar seichtere Kubicki-Sätze wie "Sie können mit abstrakter Gefahr keine Grundrechtseinschränkungen rechtfertigen" oder "Die staatliche Aufgabe ist nicht Infektionsschutz" und wies darauf hin, dass ihm Virologen gesagt hätten, dass es eine zweite Welle "eher nicht" geben werde. Auch hätten wir "heute deutlich weniger Eingriffe in unser persönliches und wirtschaftliches Leben", wenn man auf eine frühere Studie des RKI zur Pandemiebekämpfung gehört hätte. Insgesamt jedoch gab sich der FDP-Politiker vergleichsweise zahm, überhaupt schien man sich ausnahmsweise mehr oder minder einig.

"Mit der AfD hat sich die Stimmung deutlich verändert"

Das lag vielleicht auch daran, dass der Lanz-Talk diesmal eben nicht nur von Corona dominiert war, sondern sich auch dem dieser Tage irgendwie dringlicher scheinenden Thema Rassismus widmete. Zuvor nämlich hatte die Vierte im Bunde, Filmemacherin Mo Asumang, von ihren Erfahrungen als schwarze Frau in Deutschland berichtet. Und die hatten es in sich. "Früher sind mir gewisse Dinge passiert", sagte Asumang, und meinte damit rassistische Angriffe: So schlug ein Fahrgastes die einstige Taxifahrerin mit dem Kopf aufs Autodach, so bedrohte ein Mann sie mit einer 9mm-Pistole, so würgte sie ein anderer "von einer Straßenbahnhaltestelle zur nächsten".

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"Diese Form von Rassismus macht dich als Mensch klein", berichtete Asumang, die dennoch immer wieder mit Rassisten, etwa dem Ku-Klux-Klan, ins Gespräch kommen möchte. "Ich glaube nicht, dass ein Rassist einen Schritt auf mich zu macht", begründete sie - daher sei sie selbst gefragt. Aber: "Mit der AfD hat sich die Stimmung deutlich verändert", warnte die 56-Jährige bei Lanz (der sich im Übrigen immer wieder "freue, dass auch in Björn Höcke zwei Prozent afrikanische Gene stecken").

Auch sie persönlich sei schon von der Polizei in Berlin am 1. Mai "zusammengetreten" worden, in einer Nebenstraße, in der sonst nichts passierte, sagte Asumang. "Warum?", fragte Lanz. "Black?", fragte die Filmemacherin zurück. Er solle mal erleben, wie es sei als Schwarzer etwa in Brandenburg, verwies Asumang auch auf den Rassismus hierzulande. So wurde im spätabendlichen ZDF-Talk zumindest eines klar: Schwarze Menschen werden wohl auch in Deutschland noch dann von derlei Zuständen berichten, wenn R-Wert, Masken und Co. längst in Vergessenheit geraten sind.

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