„Die Stimmung an der Basis ist dramatisch“ – SPD-Chefin Nahles steckt in ihrer ersten Krise

In der SPD herrscht nach der Entscheidung in der Maaßen-Affäre Fassungslosigkeit. Am Montag muss sich Nahles in einer Sondersitzung der Fraktion verteidigen.

Am Wochenende vor der folgenschweren Entscheidung kursierte unter SPD-Mitarbeitern ein Witz. Hans-Georg Maaßen werde bestimmt nach seiner Ablösung als Verfassungsschutzchef Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Haha, der sei gut, meint ein Genosse zum anderen.

Am Dienstag wurde aus dem Witz Realität, die Koalitionsspitzen einigten sich auf exakt dieses Vorgehen. Und damit Maaßen Staatssekretär werden konnte, musste auch noch ein SPD-Staatssekretär Platz machen. Obwohl Innenminister Horst Seehofer die Entscheidung traf, hat deshalb vor allem eine Politikerin ein Problem: Andrea Nahles.

Immer lauter hatte die SPD-Chefin den Rücktritt Maaßens gefordert, der nach den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz durch leichtfertige Äußerungen in die Kritik geraten war. Nun trug Nahles dessen Beförderung mit, versuchte zunächst sogar, die Lösung als Erfolg zu verkaufen – und stellte damit eine SPD-Kernkompetenz unter Beweis: Aus einer Krise der Union hat die Partei wieder mal eine eigene gemacht.

Fassungslosigkeit an der Basis

In der SPD herrschte nach der Entscheidung Fassungslosigkeit. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Florian Post schrieb: „Was haben denn die bei ihrer Krisensitzung gesoffen?“ Für Juso-Chef Kevin Kühnert war die „Schmerzgrenze“ zur Fortsetzung der Koalition erreicht. Und die bayerische Spitzenkandidatin Natascha Kohnen forderte, die SPD-Minister dürften der Ernennung Maaßens nicht zustimmen.

Am Donnerstag steht in Nahles’ Terminkalender ausgerechnet ein Wahlkampftermin mit Kohnen. Als die SPD-Chefin in München aus dem Dienstwagen steigt, setzt sie demonstrativ ein breites Lächeln auf und versucht, die Kritik herunter zu spielen. Es gebe „einzelne Stimmen, die sich laut zu Wort gemeldet haben“. Die seien aber ohnehin von Anfang an gegen die Koalition gewesen.

Aus Sicht ihrer Kritiker unterschätzt Nahles damit die Lage. „Die Stimmung an der Basis ist dramatisch“, sagt einer. Jede kleine Versammlung werde umfunktioniert, um einen Antrag zu schreiben, der die Lösung Maaßen noch verhindern soll. Ein Genosse sagt gar, er fühle an die Ära des späten Martin Schulz erinnert, Nahles’ glücklosen Vorgänger, der über eine Revolte der Parteibasis stürzte.

Die Theorie, dass Nahles gleich nach ihrem ersten Fehler ins Wackeln geraten könnte, ist zwar abstrus. Doch sie zeigt, dass die SPD in diesen Zeiten noch mehr zur Hypernervosität neigt als ohnehin schon. Und dass die Wunden, die die Auseinandersetzung um den Eintritt in die große Koalition geschlagen hat, nicht vollständig verheilt sind.

Nahles muss nun Überzeugungsarbeit leisten

Auch wenn Nahles der Regierung nicht angehört, ist sie für viele in der SPD das Gesicht der großen Koalition. Sie hatte damals auf dem SPD-Parteitag die Mehrheit für Koalitionsverhandlungen durch eine emotionale Rede gesichert und die Genossen mit den Versprechen geködert, die SPD werde trotz Regierungsbeteiligung ihr Profil schärfen und die Erneuerung der SPD vorantreiben.

Bis zur Maaßen-Affäre gelang Nahles dieser Spagat. Inhaltlich setzte die SPD einige Impulse. Und im Asylstreit gab sie den Forderungen der CSU nicht nach. Doch bei Maaßen war sie nicht so standhaft.

Dass auch Nahles den Streit mit Rücktrittsforderungen an Maaßen eskaliert hatte, war aus Sicht der Genossen ein Fehler. Die Beförderung ohne Rücksprache mit ihrer Partei mitzutragen ein zweiter. Die anschließende Kommunikation ein Dritter.

Am Montag wird sich Nahles in Parteivorstand und einer Sondersitzung der Fraktion verteidigen müssen. „Wenn der Unmut sich dort nicht Bahn brechen soll, sollte sie besser mit einem Vorschlag aufkreuzen“, sagt ein Vorstandsmitglied. „Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich am Montag eine gemeinsame Linie finden lässt“, sagt Nahles.

Bis dahin wartet noch viel Überzeugungsarbeit auf sie: Am Donnerstag sagte sie einen Abendtermin in Bayern wegen „dringender Terminverpflichtungen“ in Berlin kurzfristig ab.