Was macht die Angst vor dem Coronavirus mit uns?

Die Zahl der bestätigten Corona-Fälle steigt stetig, die Bundesregierung schaltet in den Krisenmodus. Viele Menschen sind verängstigt und horten Lebensmittelvorräte zuhause an. Doch ist die Panik wirklich gerechtfertigt? Welche Vorgehensweise ist gerade in Zeiten einer Krisensituation richtig? Psychologin Ulrike Scheuermann klärt im Interview mit der Nachrichtenagentur spot on news auf. Die Bestsellerautorin hat 20 Jahre Berufserfahrung als Diplom-Psychologin, zehn davon in der Krisenhilfe.

Psychologin Ulrike Scheuermann kann auf 20 Jahre Berufserfahrung zurückblicken. (Bild: Ulrike Scheuermann)
Psychologin Ulrike Scheuermann kann auf 20 Jahre Berufserfahrung zurückblicken. (Bild: Ulrike Scheuermann)

Warum verfallen so viele Menschen angesichts des Coronavirus in Panik?

Ulrike Scheuermann: Vor allem durch die Informationsflut zu dem Thema. Corona ist ja gerade auf allen Kanälen ständig präsent: Über jede einzelne Neuerkrankung wird berichtet, Veranstaltungen werden abgesagt, die Regale in den Supermärkten sind leer. Wir werden von morgens bis abends auf das Virus aufmerksam gemacht. In der Psychologie sprechen wir in solchen Fällen von einer Aufmerksamkeitsverzerrung, das heißt, unsere Aufmerksamkeit wird übermäßig auf etwas gerichtet, wenn Informationen wiederholt auftauchen. Daraus kann Panik entstehen. Was verständlich ist, denn alle Infos zu dem Thema sind ja mit Ansteckungsgefahr und Sterbefällen verbunden. Jetzt kommt noch die Sorge vor wirtschaftlichen Folgen dazu und dass die Grundversorgung vielleicht nicht mehr gewährleistet sein könnte.

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Halten Sie die Angst für berechtigt?

Ulrike Scheuermann: Wenn man sich die Angst auf dieser Basis ansieht, dann verstehe ich das vollkommen. Rational betrachtet sieht das anders aus.

Was macht die Angst vor dem Virus mit uns?

Scheuermann: Sie greift in unser Leben ein, auf drei Arten:

Erstens gibt es Menschen, die panisch werden und überreagieren, also unverhältnismäßig reagieren. Das kann sogar so weit führen, dass man sich zu Hause einschließt, Hamsterkäufe macht, seinen Umgang mit der Familie, Freunden und Kollegen ändert, indem man zum Beispiel niemanden mehr umarmt, sich distanziert.

Zweitens gibt es auch Menschen, die versuchen, ihre Angst mit absurden Maßnahmen zu beherrschen, indem sie Empfehlungen aus fragwürdigen Internetquellen folgen und sich mit Sesamöl oder Knoblauch einreiben, um nicht zu erkranken. Die Hoffnung dabei ist, die Situation kontrollieren zu können, obwohl man das nur begrenzt kann und so schon gar nicht.

Die dritte Variante ist die Verharmlosung. Dann werden selbst die nahe liegenden und vernünftigen Vorsichtsmaßnahmen nicht getroffen. Nach dem Motto "Das hat doch nichts mit mir zu tun."

Aber wir sollten uns eben oft die Hände waschen, da braucht es übrigens nicht unbedingt Desinfektionsmittel, welche es momentan nicht gibt. Sich oft und ausgiebig die Hände zu waschen, ist nachgewiesenermaßen der beste Schutz. Sich nicht anniesen oder -husten, bei Krankheitsverdacht nicht zum Arzt ins volle Wartezimmer setzen, sondern anrufen und zuhause testen lassen. Das halte ich für angemessen und sehr sinnvoll.

Coronavirus: Panik, Galgenhumor, Einsamkeit

Was kann man tun, um die Angst zu besiegen oder gar nicht erst in Panik zu verfallen?

Scheuermann: Zum einen relativieren: Sehen wir uns doch mal an, wie viele Menschen sonst an Grippe, also Influenza, sterben oder auch an Herz-Kreislauf-Krankheiten. Dabei würde gegen die Grippe zum Beispiel eine Impfung helfen, was nicht viele Menschen machen. Auch wenn man damit nicht alle Grippe-Viren eindämmen kann, so ist es dennoch eine wesentliche Schutzmaßnahme.

Ich will nicht weitere Schreckensszenarien verbreiten, aber einiges lohnt sich gerade jetzt, genauer anzusehen: Rund 2,3 Millionen Menschen stecken sich zum Beispiel weltweit jährlich mit dem HI-Virus neu an. Trotzdem muss die BZgA Werbung für Kondome schalten.

Oder: An Masern sind weltweit 9,8 Millionen Menschen erkrankt und 140.000 Menschen gestorben. Die Gefahr, an einer Infektion zu versterben, liegt bei zehn Prozent und knapp 30 Prozent der Erkrankten tragen Langzeitschäden davon. Trotzdem gehen Eltern gegen die Impfpflicht auf die Straße.

Wissen Sie, was ich meine? Ich finde es wichtig, den Fokus nicht ausschließlich auf das Coronavirus zu richten, ohne dass ich dies verharmlose. Hier ist ein wichtiges Stichwort: Selfcare! Kümmern wir uns um unsere Selbstfürsorge, stärken wir unser Immunsystem, pflegen wir unsere Beziehungen. Schalten Sie doch mal um, wenn Sie an sich beobachten, dass Sie seit 24 Stunden Nachrichten zum Thema "Corona" gecheckt haben.

Was wir aus psychologischer Sicht in solchen Situationen auch immer beobachten ist, dass Zeit eine Rolle spielt. Es gibt im weiteren Zeitverlauf einen Gewöhnungseffekt, dann ist schon alles nicht mehr so furchteinflößend wie zu Beginn. Auch die Aktienkurse, die ein Spiegel für emotionale Reaktionen sind, sind nach den starken Kursverlusten Mitte Februar erfreulicherweise schon wieder auf dem aufsteigenden Ast.

In Supermärkten sind manche Regale leergekauft. Was halten Sie von Hamsterkäufen?

Scheuermann: Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe empfiehlt schon seit Jahren, dass man sich für Notfälle für ungefähr zehn Tage Grundversorgen sollte. Da reden wir sicherlich nicht von 20 Tüten Mehl oder 15 Packungen Toilettenpapier.

Solche übertriebenen Hamsterkäufe können sogar unsolidarisch sein: Wer die Regale leer kauft, sorgt dafür, dass andere weniger haben. Auch in schwierigen Situationen sollten wir immer mit an andere denken, nicht nur an uns selbst.

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