„Macht Kinderschutz unglaubwürdig“ - Influencerin schürt mit falschen Missbrauchsvorwürfen Angst und Hass auf Kitas
Eine Influencerin verbreitet in den sozialen Medien Gerüchte über angebliche Missbrauchsfälle in Freiburg. Doch die Polizei dementiert. Die Frau ist offenbar keine Unbekannte und selbst schon mit dem Gesetzt in Konflikt geraten.
Wenn Eltern von möglichen Missbrauchsfällen in Kitas ihrer Stadt hören, schrillen bei ihnen die Alarmglocken. In Freiburg ging in den vergangenen Wochen bei besonders vielen Müttern und Vätern die Angst um. In den sozialen Medien verbreiteten sich Videos einer Frau, die sich als Kinderschützerin ausgibt.
Sie berichtet zum Beispiel davon, dass in einem Kindergarten die Leitung der Einrichtung einem Mann mehrere Kinder übergeben haben soll, um sie missbrauchen zu können. Die Clips machten unter den verstörten Eltern schnell die Runde. Doch offenbar ist an den Geschichten der Frau nichts dran.
Polizei in Freiburg spricht von „haltlosen Anschuldigungen“
Am Donnerstag äußerte sich erstmals die Polizei in Freiburg. Es seien „Fake News“ im Umlauf und „haltlose Anschuldigungen und Vorwürfe gegen Leitung und Mitarbeitende einer städtischen Kita“. Der Verdacht des Kindesmissbrauchs ließe sich nach dem derzeitigen Ermittlungsstand nicht bestätigen.
Wie die „Bild“ berichtet und FOCUS online bestätigen kann, handelt es sich bei der angeblichen Kinderschützerin, von der die Videos stammen, um die Influencerin Michaela T. Bei Instagram gibt sie sich ein seriöses Gesicht. Sie gibt zum Beispiel an, Kinderschutz-Dozentin zu sein, im Bereich der Psychotherapie zu arbeiten und Verfahrensbeistand bei Missbrauchsfällen zu sein.
Influencerin wurde in Freiburg bereits verurteilt
Um die Glaubwürdigkeit der Frau und ihrer Videos zu prüfen, haben sich zahlreiche Eltern an Carsten Stahl gewandt, wie dieser erzählt. Er ist Experte für Gewaltprävention und hat schon zahlreiche Fälle von Mobbing und Missbrauch aufgearbeitet . Auch für Stahl ist die angebliche Kinderschützerin keine Unbekannte: Sie hatte in ihren Videos auch schon über ihn hergezogen, es folgte ein Rechtsstreit. Vom Landgericht Freiburg wurde T. im April schließlich wegen Verleumdung verurteilt. Das Urteil liegt FOCUS online vor.
Stahl warnt auch deshalb vor der Frau: „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht mehr“, sagt er FOCUS online. Die von ihr angeblich enthüllten Missbrauchsfälle seien auch deshalb unglaubwürdig, weil sich nie Eltern von Opfern öffentlich geäußert hätten, auch nicht anonym. Das widerspreche seiner eigenen Erfahrung, so Stahl. Viele Eltern, mit denen er zusammenarbeite, seien bereit, über die Fälle auch in den Medien zu sprechen.
Carsten Stahl: „Das ist Missbrauch mit dem Missbrauch“
„Diese Frau behauptet, die Identität der Familien schützen zu wollen. Dabei will sie nur verschleiern, dass sie – wenn überhaupt – nur einen Bruchteil der Wahrheit vermittelt in ihren Videos“, so der Experte. „Sie geht fahrlässig mit dem Thema um und macht den Kinderschutz unglaubwürdig. Das ist Missbrauch mit dem Missbrauch.“
Stahl wirft T. vor, eine „Brandstifterin“ zu sein, die einen Mob anstifte. Eine der Kitas, in der es angeblich zu Kindesmissbrauch gekommen sein soll, kämpft im Moment mit den Folgen der Anschuldigungen. Im Internet wurde eine Morddrohung gegen den Leiter der kommunalen Kindertagesstätte veröffentlicht. Die Kita musste daraufhin einen Sicherheitsdienst zum Schutz des Teams und der Kinder engagieren. Außerdem hat die Stadt Freiburg nach eigenen Angaben Polizei und Staatsanwaltschaft eingeschaltet.
„Ihr wisst jetzt, dass ihr eine verlogene Polizei habt“
T. selbst hat sich mittlerweile zu dem Dementi der Polizei, dass es keine derartigen Missbrauchsfälle gebe, geäußert. „Ihr wisst jetzt, dass ihr eine verlogene Polizei habt, eine verlogene Stadt“, sagt sie in einem Video. T. verweist außerdem auf einen anderen Social-Media-Account, dem angeblich Beweise für die Fälle vorliegen würden. In den dort gezeigten Ausschnitten von Dokumenten sind echte Beweise aber nicht zu finden. Angeblich gebe es eine Anzeige – doch das allein bestätigt noch keinen Missbrauch.
Stahl will nicht grundsätzlich ausschließen, dass es auch in Freiburg tatsächlich einzelne Missbrauchsfälle gibt. „Aber diese Frau stellt Kitas unter Generalverdacht, um Reichweite für ihre Kanäle zu generieren und damit eigene Ziele zu verfolgen.“ Wenn sich herausstellen sollte, dass T. tatsächlich die Unwahrheit sagt, könne das auch auf seriöse Kinderschutz-Organisationen zurückfallen – was dem Kinderschutz massiv schade.
Den Eltern rät Stahl: „Bitte prüft die Quellen, wenn Missbrauchsvorwürfe im Raum stehen. Googelt den Urheber und findet heraus, ob er kompetent auf dem Gebiet ist. Teilt solche Gerüchte nicht einfach.“
Freiburger Oberbürgermeister verspricht Aufklärung bei Missbrauchsfällen
In Freiburg hat sich mittlerweile auch der Oberbürgermeister in den Fall eingeschaltet. Der parteilose Martin Horn fragt in einem Video bei Instagram sichtlich empört: „Was geht eigentlich ab in dieser Welt? Was passiert eigentlich gerade in Freiburg?“ In den Videos werde mit „ekligen Details“ gearbeitet, die aber nicht der Wahrheit entsprächen. Das spalte die Gesellschaft und stärke das Misstrauen in die Institutionen.
Horn verspricht „als Oberbürgermeister und Familienvater“: „Wir werden jeder Spur von Kindesmissbrauch immer bis ins letzte Detail nachgehen.“