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Frankreich sucht nach Macrons Ankündigungen das nötige Geld

Demonstranten in gelben Westen protestieren in der Nähe des Arc des Triumph. Foto: Chen Yichen/XinHua
Demonstranten in gelben Westen protestieren in der Nähe des Arc des Triumph. Foto: Chen Yichen/XinHua

Prämien, keine Steuern und Abgaben auf Überstunden: Präsident Macron hat den Franzosen unter dem Druck der «Gelbwesten» zahlreiche Geldgeschenke gemacht. Völlig offen ist: Wie will Frankreich das eigentlich finanzieren?

Paris (dpa) - Nach den Zugeständnissen des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in der «Gelbwesten»-Krise muss das Land einen riesigen Milliarden-Betrag auftreiben. Nach Einschätzung von Budgetminister Gérald Darmanin schlagen die Ankündigungen mit insgesamt etwa zehn Milliarden Euro zu Buche.

Möglich ist, dass Frankreich die Maastrichter Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung überschreiten wird. In der Europäischen Union schaut man nun genau hin.

Macron hatte am Montag mehrere Sofort-Maßnahmen in der Sozialpolitik angekündigt, um die von den «Gelbwesten»-Protesten ausgelöste Krise in den Griff zu bekommen. So soll etwa der Lohn für Beschäftigte auf Mindestlohn-Niveau um 100 Euro pro Monat steigen. Beschäftigte sollen auch eine Jahresendprämie erhalten, wenn Arbeitgeber dazu in der Lage sind: «Wir wollen ein Frankreich, in dem man würdig von seiner Arbeit leben kann», erklärte der 40-Jährige.

Auch auf Überstunden soll es weder Steuern noch Sozialabgaben geben, so der Präsident. Am Dienstagabend kündigte er zusätzlich an, dass die Bankgebühren 2019 nicht ansteigen sollen. In der vergangenen Woche hatte er bereits die Steuererhöhungen für Benzin und Diesel für 2019 auf Eis gelegt.

EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici erklärte, dass die Europäische Kommission die Auswirkungen der Ankündigungen auf das französische Defizit genau beobachten werde. «Wir stehen in ständigem Kontakt mit den französischen Behörden», sagte Moscovici der französischen Nachrichtenagentur AFP. Eigentlich hatten die Franzosen Europa versprochen, die Staatsfinanzen zu sanieren und die Maastrichter Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung dauerhaft einzuhalten.

Die Drei-Prozent-Schwelle könnte Frankreich nun möglicherweise erneut nicht schaffen. Nach Angaben des Budgetministers erhöhe sich aufgrund der Zugeständnisse das Defizit um 0,5 Prozentpunkte. Damit dürfte laut Analysten das Haushaltsdefizit im kommenden Jahr weit über der Maastrichter Defizitgrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung liegen. Darmanin äußerte sich nicht explizit zu dem nun erwarteten Wert für das kommende Jahr. Bei den Zahlen handelt sich um vorläufige Zahlen.

Bisher sah die Planung für 2019 ein Haushaltsdefizit von 2,8 Prozent der Wirtschaftsleistung vor. Erstmals seit 2007 lag Frankreich im Jahr 2017 unter der Schwelle.

Der Präsident der französischen Nationalversammlung, Richard Ferrand, erklärte in einem Interview mit dem französischen Fernsehsender RTL: «Wir werden wahrscheinlich das Defizit ausgleichen müssen, um diese Verpflichtungen einzuhalten.» Dauerhaft werde man einen Rhythmus unter drei Prozent finden.

Macron stand unter großem Handlungsdruck. Denn am vergangenen Samstag waren wieder weit mehr als 100 000 Menschen auf die Straße gegangen, davon mindestens 10 000 in Paris. Es war das vierte Wochenende in Folge, an dem die Bewegung der «Gelben Westen» in großem Stil zu Protesten aufgerufen hatte.

Die Ankündigungen zielten auf die Notwendigkeit ab, Arbeit besser zu vergüten, erklärte Premierminister Édouard Philippe die Maßnahmen am Dienstagnachmittag den Abgeordneten der Nationalversammlung. Die Zugeständnisse hätten gezeigt, dass der Präsident auf die Wut gehört habe.

Die Franzosen reagierten gespalten auf die Ankündigungen ihres Präsidenten. Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Odoxa fanden 59 Prozent der befragten Franzosen die Rede von Macron eher nicht überzeugend. Etwas mehr als die Hälfte (54 Prozent) sind der Ansicht, die «Gelbwesten» müssen auch nach der Ansprache des Präsidenten weiter demonstrieren

Eine Umfrage des Instituts Opinionway kommt zu dem Ergebnis, dass nach Macrons Rede 66 Prozent der Befragten die Bewegung der «Gelbwesten» befürworten - damit bleibt der Rückenwind für die Protestbewegung dem Umfrageinstitut nach gleichbleibend hoch. Allerdings fand die Rede des Präsidenten hier etwas mehr Zuspruch - 49 Prozent der befragten Franzosen fanden Macron überzeugend, 50 Prozent nicht.

Einer der Sprecher einer Untergruppe der «Gelbwesten», die sich selbst als «Sprachrohr der konstruktiven Wut» sieht, befand Macrons Rede als «gut, obwohl man es besser machen kann». Es hätten immer noch bedeutende Gesten gefehlt, sagte Benjamin Cauchy dem Fernsehsender BFMTV. Gut sei gewesen, dass Macron auf den demokratischen Dialog gehört habe.

In der vergangenen Woche war spekuliert worden, ob die weitgehende Abschaffung einer umstrittenen Vermögenssteuer nicht wieder gekippt werden könnte - ebenfalls eine Forderung der «Gelbwesten». Macron erklärte in seiner Rede am Montag, dass diese Steuer für diejenigen abgeschafft wurde, die in die Wirtschaft investieren und so zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen.

Aus Deutschland gab es Kritik an Macrons Zugeständnissen. Die Entscheidungen, angesichts der zum Teil gewalttätigen Proteste der «Gelbwesten» Weihnachtsgeld und Überstunden steuerfrei zu stellen, scheinen das Gegenteil der von Macron zugesagten Reformen zu bewirken, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Weniger Einnahmen zu verkünden, ohne zu sagen, welche Rückwirkungen das auf den Haushalt habe und den Reformkurs in Frankreich, sei wenig verständlich. Damit werde auch die in Europa angestrebte Steuerharmonisierung infrage gestellt, machte er deutlich. Geldgeschenke scheinen nicht der richtige Weg, sagte Dobrindt.

Der frühere Außenminister Sigmar Gabriel sagte bei einer Veranstaltung der Wochenzeitung «Die Zeit», die Idee der sozialen Marktwirtschaft sei in Deutschland viel stärker verankert. In Deutschland sei die Vermittlung zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften, Zivilgesellschaft, Sozialverbänden und Politik sicher nicht perfekt, reagiere aber deutlich sensibler auf solche Situationen, sagte der SPD-Politiker.