„Der Mafiaboss, Präsident Erdogan und ich“ - ARD-Doku offenbart Erdogans Mafia-Connection - und macht gefährlichen Fehler

Ist Erdogans Staat ein Land, in dem organisierte Kriminalität und Politik Hand in Hand arbeiten? „Der Mafiaboss, Präsident Erdogan und ich“ heißt eine ARD-Reportage, die dafür zahlreiche Belege sammelt. Die Story macht allerdings einen gefährlichen Fehler.

Es fängt mit Urlaubsstimmung an. Sonne. Blauer Himmel. Strände. Doch die Idylle zerstört das Erste schon in der allerersten Minute. Da gibt es einen Mafiaboss, der behauptet, dass die Untergrundorganisation mit der Regierung um den Präsidenten Erdogan zusammenarbeitet. Und einen Journalisten, der dieser Geschichte auch aus persönlicher Betroffenheit nachgeht.

Der Pate, so der TV-Reporter, wollte seinen Tod. Präsident Erdogan soll ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt haben. So schnörkellos hat die ARD ihre Reportage auch übertitelt: „Der Mafiaboss, Präsident Erdogan und ich“.

Can Dündar heißt der Mann. Knapp 44 Minuten im Ersten dauert seine Abrechnung. Dass die sehr ernsthaft für türkische Erdogan-Wähler in Deutschland produziert ist, belegt eine Besonderheit: Die Reportage ist auch auf Türkisch in der Mediathek zu finden.

ARD-Doku über Erdogan: Der „wohltätigste Geschäftsmann“ ist Mafia-Boss

Der ARD-Beitrag hat einen schwierigen Helden. Er heißt Sedat Peker. Der Mann trägt gerne sehr gut geschnittene Dreiteiler als Anzug – auch als er nach zehn Jahren Haft freikommt. 2017 wählt ihn eine der großen Zeitungen der Türkei zum „wohltätigsten Geschäftsmann des Jahres“. Tatsächlich gilt der Wohltäter als Übeltäter.

Die tatsächliche Berufsbezeichnung ist wohl sehr viel eher: Mafia-Boss. Irgendwann fällt er in Ungnade. Sein Haus wird von der Polizei durchsucht. Er flüchtet nach Dubai. Und erschüttert von dort aus die Türkei mit YouTube-Videos. Selten hat man einen Kronzeugen so öffentlich auftreten sehen. Das ist bemerkenswert.

Abrechnung des Mafia-Paten mit der türkischen Regierung

2021 kündigt der Pate an, jeden Sonntag ein neues Video über die Verbindung von Mafia und Regierung zu senden. Schon sein erstes YouTube-Video aus dem Exil sehen eine Million Menschen. Es geht um Drogenhandel und Korruption.

Ein Ex-Innenminister wird Manager eines Milliarden-Euro-teuren Yachthafens, der Bedeutung als Drogen-Umschlagplatz haben soll. „Wie kannst du dir das leisten?“, fragt der Mafia-Mann. 2021, nach Veröffentlichung des Videos, muss der Innenministermanager zurücktreten. Die Abrechnung des Mafiamannes nimmt Fahrt auf.

Der Staat stellt dem Kriminellen eine Schutzpolizei

Sein nächstes Ziel: Der Innenminister und angebliche Kronprinz Erdogans. „Herr Innenminister“, fragt Peker und lacht in die Kamera, „hast du mir nicht eine eigene Schutzpolizei gestellt und das dann sogar noch um ein Jahr verlängert?“ Es tauchen Fotos mit Kriminellen auf, aufgenommen im Innenministerium, die diese Behauptung zu belegen scheinen. 2023 verliert der Innenminister seinen Posten.

Noch ein Video, noch ein Donnerschlag. Der Sturm auf die Zeitung Hürriyet? „Die habe ich stürmen lassen“, versichert der Mafia-Boss. Erdogans Mann für Deutschland habe ihm den Auftrag gegeben. Die Zeitung wechselt den Besitzer und kommt auf Regierungskurs.

Irgendwann kündigt der Pate Sedat Peker sein zehntes YouTube-Video an. Das will er ganz persönlich seinem „lieben Bruder Tayyip Erdogan“ widmen. Doch dieses Video Nr. 10 wird nie veröffentlicht. Erdogan hat die diplomatischen Beziehungen zu Dubai verbessert. Gut möglich, dass da ein Mafia-Mann mit Belegen für Verstrickungen des türkischen Präsidenten in die organisierte Kriminalität nicht mehr ins politische Bild passt.

Das hat Deutschland mit der Türkei und der Mafia zu tun

Es ist hochspannend, wie der ARD-Beitrag sich bemüht, die Beziehungen von türkischer Regierung und Mafia sichtbar zu machen. Die Folgen übrigens sind auch hierzulande spürbar. Im Jahr 2023 haben mehr als 61.000 Menschen aus der Türkei Asyl in Deutschland beantragt – „Platz drei nach Afghanistan und Syrien“, rechnet die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen vor, inzwischen Bündnis Sahra Wagenknecht.

Noch eine Zahl aus der Statistik: Im „Weltindex der organisierten Kriminalität“ besetzt die Türkei Platz 1 in Europa, auch weltweit kommt sie noch auf Rang 14. All das herauszuarbeiten, ist verdienstvoll für die ARD.

Allerdings macht sich die Reportage in einem Punkt angreifbar. Macher des öffentlich-rechtlichen Beitrags ist der türkische Journalist Can Dündar. Dem hat Präsident Erdogan nach einem Bericht über illegale Waffenlieferungen der türkischen Regierung einst gedroht: „Der Mann, der diesen Bericht verfasst hat, den lasse ich teuer bezahlen.“

Und Mafia-Pate Sedat Peker hat ihm den Tod angedroht. Tatsächlich wird auf den Journalisten geschossen, inzwischen lebt er unter Polizeischutz in Deutschland. Dass der Journalist trotzdem weiterrecherchiert und weiter berichtet, belegt seinen Mut.

Eine Frage allerdings bleibt trotzdem: Kann ein Mann mit diesem persönlichen Schicksal objektiv für die ARD objektiv über seine Todfeinde berichten?