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"Man muss den Zugang zu Waffen unbedingt unterbinden"

Kurz vor der Corona-Krise sprach Schauspielerin Veronica Ferres folgende, fast schon prophetische Worte: "Das Innehalten kommt zu kurz. Früher kümmerten wir uns vor allem um unser Umfeld. Mittlerweile denken wir nur noch global und in 'real time." Ein Interview übers notwendige Umdenken, das uns alle betrifft.

"Wir brauchen sehr dringend Auszeiten, um den Fokus auf das Wichtige nicht zu verlieren", sagte Schauspielerin Veronica Ferres, bevor die Corona-Krise unsere Welt erfasste und den Menschen eine bis dahin geradezu unvorstellbare Auszeit bescherte. Was hat dies mit der aktuellen Krise zu tun? Um Entschleunigung und "Wellness" geht es definitiv nicht. In "Meister des Todes 2" (Mittwoch, 1. April, 20.15 Uhr, ARD), der Fortsetzung des vielfach preisgekrönten TV-Dramas von Investigativjournalist Daniel Harrich, spielt Ferres eine daueralkoholisierte Frau mit schlechtem Gewissen, deren Mann deutsche Waffen in Krisengebiete exportiert. Leider keine reine "Fiction", sondern bitterer Ernst und ein gesellschaftlicher Skandal, dem die ARD den Themenabend "Deutsche Waffenexporte" widmet. Im Interview spricht die 54-jährige Hauptdarstellerin über traumatische Angsterfahrungen und jene kognitive Dissonanz, die sensible Menschen schon vor Corona zunehmend aushalten mussten: Wie kann ich es mir gut gehen lassen, ohne andere Menschen und den Planeten damit zu zerstören? Nun ist alles anders. Doch die Probleme mit der alten "Lebensweise", die irgendwann zurückzukehren könnte - sie bleiben.

teleschau: Sie hatten im ersten Teil des Films eine kleine Rolle, die nun zu einer Hauptrolle wurde. Wie kam das?

Veronica Ferres: Es war Daniel Harrichs Idee. Ich schätze ihn sehr als einen der mutigsten Filmemacher, die wir in Deutschland haben. Er macht aus journalistisch top recherchierten Geschichten großartige Fiktion. Er kümmert sich um Themen, die ich unterstützen möchte.

teleschau: Wie ist Daniel Harrich bei einem Film über Waffenhändler auf Sie gekommen?

Veronica Ferres: Er hatte ein Interview in der "Süddeutschen Zeitung" gelesen, in dem ich gefragt wurde, was mein größter Traum sei. Ich sagte, mein größter Traum wäre, dass es keine Waffenindustrie mehr auf der Welt gäbe. Daraufhin hatte er mich kontaktiert. Daniel ist über die Jahre zu einem Freund geworden. Oft denke ich, dass ich ihn ein bisschen beschützen will, weil er so kompromisslos für die gute Sache kämpft und dabei wenig Rücksicht auf sich selbst nimmt.

"So etwas sollten die Politiker, die über Waffengesetze bestimmen, selber mal erleben"

teleschau: Wissen Sie, weshalb Sie diesen Traum von einer waffenfreien Welt haben?

Veronica Ferres: Ich hatte ein traumatisches Erlebnis, vor einigen Jahren in Los Angeles. Mein GPS hatte mich falsch geleitet - weshalb ich Freitagnacht alleine mit meinem Auto in South Central L.A. gelandet bin, ein berüchtigtes Viertel. Es hätte durchaus übel enden können.

teleschau: Was genau ist passiert?

Veronica Ferres: Zuerst hörte ich Schüsse, dann kamen zwei Autos mit getönten Scheiben, überholten mich, blieben stehen und blockierten den Weg als die Ampel grün wurde. Als Männer ausstiegen, legte ich den Rückwärtsgang ein, fuhr ein Stück zurück und raste dann an den Autos vorbei nach vorne über drei rote Ampeln. Erst als ich am Highway war, hörten sie auf, mich zu verfolgen. So etwas sollten die Politiker, die über Waffengesetze bestimmen, selber mal erleben. Ich denke, dann wäre manches anders.

teleschau: Im Film "Meister des Todes II" spielen Sie die Frau eines Waffenhändler. Im ersten Teil war das eine ganz kleine Rolle, die nun zu einer Hauptrolle ausgebaut wurde. Wie kam das?

Veronica Ferres: Es gab viel Feedback zur Frau des deutschen Waffenexporteurs, die ihren Alltag nur aushalten kann, weil sie sich ein Leben lang betäubt hat. Diese Ambivalenz macht sie zu einer sehr interessanten Figur - weil sie genau zwischen Gut und Böse steht.

"Erst, wenn es uns persönlich oder unsere Familie trifft, ändern wir etwas"

teleschau: Im Film sind sie meistens daueralkoholisiert ...

Veronica Ferres: Daniel sagte mir gleich zu Beginn, dass ich in dem Film nicht gut aussehen werde. Dass ich nicht geschminkt sein würde bis auf die für starke Alkoholiker typischen, geplatzten Äderchen im Gesicht. Er sagte mir, dass ich auch seelisch die Hosen runterlassen muss. Doch genau das war es, wonach ich suchte. Ich sagte Daniel, dass ich mich wahnsinnig auf die Arbeit freue. In diesem Film geht es um Zerstörung und Selbstzerstörung.

teleschau: Warum hat sich Ihre Figur nicht früher gegen das Leben gewehrt, das sie zerstört?

Veronica Ferres: Weil sie immer in dieser kleinen Stadt gelebt hat und nie etwas anderes als "ihre" Waffenfamilie kannte. Eigentlich wusste sie immer, dass es falsch ist, was die Leute taten, um ihr Geld zu verdienen. Doch sie schaffte es nicht, ihr gutes, behütetes Leben gegen ein freies einzutauschen. Das einzige, was sie an Widerstand auf die Beine stellte, war, dass sie bewusst keine Kinder bekam. Das war ihr Stück Selbstbestimmtheit, ansonsten war sie verlogen und schuldig. Sie gehört zu den Bösen, weil sie auch vom Tod anderer Menschen lebt.

teleschau: Was schafft bei Ihr die Wende zu Guten?

Veronica Ferres: Einzig und allein die persönliche Betroffenheit. Ihr Mann stirbt und dann erst fängt sie an, Verantwortung zu übernehmen. So funktionieren wir Menschen. Erst, wenn es uns persönlich oder unsere Familie trifft, ändern wir etwas. So ist es auch mit dem Klimaschutz. Nur dann, wenn wir die Konsequenzen sehr deutlich persönlich spüren, wird die Mehrheit der Menschen das Umdenken lernen.

"Mittlerweile denken wir nur noch global und in 'real time'"

teleschau: Wir leben in einer Zeit, in der wir viel kognitive Dissonanz aushalten müssen. Wir wissen, dass unser Lebensstil die Welt zerstört, wollen aber keinen radikalen Verzicht üben. Wie kommen wir mit dieser Dissonanz klar?

Veronica Ferres: Viele betäuben sich mit der Schnelllebigkeit des Lebens. Ständige Kommunikation, Internet, soziale Medien. Viele Menschen müssen heute auch mehr und härter arbeiten mehr als früher. Wir haben kaum Zeit zum Nachdenken, das entfernt uns zusätzlich von uns selbst. Das Innehalten kommt zu kurz. Früher kümmerten wir uns vor allem um unser Umfeld. Mittlerweile denken wir nur noch global und in real time.

teleschau: Muss man sich konsequent Auszeiten nehmen, um von der Geschwindigkeit loszukommen?

Veronica Ferres: Wir brauchen sogar sehr dringend Auszeiten, um den Fokus auf das Wichtige nicht zu verlieren. Ich ziehe das mittlerweile ganz bewusst durch und bin dabei auch ziemlich radikal. Wenn mir jemand eine E-Mail schickt und ich nicht innerhalb von 24 Stunden antworte, ist so mancher schon beleidigt. Aber welchem Druck setzen wir uns damit aus? Wenn ich in Dreharbeiten bin, beantworte ich manchmal vier Wochen lang nur die wichtigsten Mails. Ich muss mich dann abschotten, sonst kann ich mich nicht auf meine Aufgabe konzentrieren. Trotzdem ist es immer schwierig, dieses Verhalten durchzusetzen. Viele Leute haben kein Verständnis dafür.

teleschau: Frau Ferres, wie versuchen Sie, ein guter Mensch zu sein?

Veronica Ferres: Ich versuche in erster Linie, eine gute Mutter zu sein. Es ist für mich das, was man für immer hinterlässt. Ich sehe mich ständig vor drei spannenden Herausforderungen - mit einem biologischen und zwei angenommenen Kindern. Außerdem versuche ich, jeden Tag mit Freude an das heranzugehen, was ich als Aufgabe habe. Dazu gehört für mich, jedem Menschen mit Offenheit zu begegnen und von jedem etwas Gutes zu erwarten. Dieser Weg ist oft schmerzhaft, aber ich möchte es nicht anders haben.

"Am schlimmsten war, dass mir das Schießen nach einer Stunde sogar Spaß gemacht hat"

teleschau: Gibt es konkrete Dinge, die Sie an Ihrem Lebensstil verändert haben?

Veronica Ferres: Ich esse mittlerweile vegetarisch. Einer meiner Söhne lebt vegan - und es ist nicht an mir vorbeigegangen, warum er das tut. Unsere Kinder reden uns heute ins Gewissen. Die Zusammenhänge zwischen Massentierhaltung und CO2-Produktion liegen auf der Hand. Wir beschädigen das Klima massiv, wenn wir viel Fleisch essen. Auch das ist eine Wahrheit, mit der wir klarkommen oder unser Leben ändern müssen. Ich fühle mich gut - es ist ein erster kleiner Schritt.

teleschau: Kommen weitere hinzu?

Veronica Ferres: Ich denke darüber nach. Ich weiß, dass ich zu viel fliege. Das lässt sich in meinem Job leider nicht anders machen. Dafür zahle ich am Ende eines jeden Jahres meine CO2-Schuld, indem ich Bäume pflanzen lasse.

teleschau: Haben Sie eigentlich selbst schon mal eine Waffe abgefeuert?

Veronica Ferres: Ja. Ich habe für die Henning Mankell-Verfilmung "Die Rückkehr des Tanzlehrers" das Schießen lernen müssen. Der Waffenmeister ging mit mir in den schwedischen Wald, um zu üben. Zuerst war es ganz schwierig für mich, eine Waffe abzufeuern und es hat mich große Überweindung gekostet. Auf einmal kamen diese ganzen Bilder in mir hoch, was Menschen mit Waffen getan haben, wie viel Unrecht damit passiert ist, welche Gewalt davon ausgeht. Es ist geradezu unfassbar, wie viel Macht ein Mensch besitzt, der eine Waffe in den Händen hält. Wenn man bedenkt, dass es Kindersoldaten gibt, wird einem ganz anders bei diesem Gedanken - da können einem die Tränen kommen.

teleschau: Konnten Sie sich durch das Training trotzdem an das Schießen gewöhnen?

Veronica Ferres: Nach einer Weile, ja. Am schlimmsten war, dass mir das Schießen nach einer Stunde sogar Spaß gemacht hat und ich dieses Machtgefühl nachvollziehen und selber spüren konnte. Das ist furchtbar. Man muss den Zugang zu Waffen unbedingt unterbinden - bevor sie in falsche Hände geraten.