Der Mann, der den Deutschen die Corona-Epidemie erklärt

Die Bundesregierung sucht bei ihrer Krisenkommunikation Hilfe beim Präsidenten des Robert Koch-Instituts. Der dämpft die Angst der Menschen vor dem Virus mit klaren Worten.

Wissenschaftlicher Beistand für die Kanzlerin. Foto: dpa
Wissenschaftlicher Beistand für die Kanzlerin. Foto: dpa

Es sah aus wie das Lob eines Mannschaftskapitäns an den entscheidenden Torschützen: Als der Gesundheitsminister an diesem Mittwoch die Bühne der Bundespressekonferenz verließ, klopfte er Lothar Wieler anerkennend auf die Schulter. Erstmals hatte sich die Bundeskanzlerin an diesem Morgen vor der Hauptstadtpresse ausführlich zu Corona geäußert – flankiert von Jens Spahn und dem Präsidenten des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler.

Merkel: “Wir halten uns an den Rat der Experten”

Der 59-Jährige hatte dabei das wenigste gesagt – und doch eine zentrale Rolle: Merkel und Spahn war die Erleichterung über die Rückendeckung durch den RKI-Präsidenten immer wieder deutlich anzumerken. “Wir halten uns an den Rat der Experten”, sagte Merkel und blickte dankbar zu Wieler hinüber.

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Der besonnene und in seiner Ausdrucksweise klare Rheinländer Wieler verleiht der Bundesregierung in der Stunde der größten gesundheitspolitischen Herausforderung der Nachkriegszeit Autorität. Sie profitiert von seinem Nimbus der unabhängigen Objektivität – denn einem Wissenschaftler vertraut das Volk weit mehr als der Politik, die mitunter dazu neigt, Krisen entweder schönzureden oder zu Profilierungszwecken in Aktionismus zu verfallen.

Wieler kommt mit Fakten und dämpft die Angst

Da reicht es schon, dass der gelernte Veterinärmediziner auch an diesem Mittwochmorgen das wiederholt, was er seit Tagen immer wieder sagt. Erstens: “Wir sind am Anfang einer Epidemie.” Zweitens: “Es werden sich vermutlich 60 bis 70 Prozent der Bürger anstecken.” Drittens: “Jeder weiß, je länger das dauert, umso besser.” Und er scheut sich nicht, die logische Konsequenz auszusprechen: “Natürlich werden bei uns noch mehr Menschen sterben.”

Zugleich vermittelt der Rheinländer das Gefühl, dass die Deutschen noch “in einer glücklichen Lage” sind: Eben weil das Robert Koch-Institut das Virus schon seit Anfang Januar erforscht und landauf, landab “glücklicherweise sehr früh sehr viele Tests durchgeführt werden konnten.”.

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Und wenn er sagt, dass die Dunkelziffer hierzulande vermutlich nicht sehr hoch sei, weil “wir früher genau hinschauen, das ist der Unterschied zu dem ein oder anderen Land”, dann klingt das bei ihm weder triumphierend noch stolz, sondern wissenschaftlich neutral.

Wieler hat sich vermutlich nicht träumen lassen, eine solche Jahrhundert-Herausforderung meistern zu müssen, als er vor fünf Jahren die Leitung des RKI übernahm. Die Erfahrung mit “kleineren” Problemen kommt ihm jetzt zugute. Dabei hat er bewiesen, dass er stets unabhängig und bei Bedarf auch unbequem sein kann.

So wie in der Frage einer obligatorischen Masernimpfung, die Spahn mittlerweile zur Pflicht gemacht hat. Wieler hingegen hatte als Chef der obersten Seuchenbehörde sehr früh klargemacht, dass er die Idee der Impfpflicht für “kontraproduktiv” hält und stattdessen eher auf Überzeugung der Bürger setzt.

RKI erschreckt Ende 2019 mit Nachricht zu Krankenhauskeimen

Ende 2019 erschreckte sein Haus das Land mit der Nachricht, dass jährlich bis zu 20.000 Menschen sterben, weil sie sich in einer deutschen Klinik mit einem Krankenhauskeim infizieren. Wieler riet dringend dazu, die in Deutschland überdurchschnittlich hohe Zahl der Klinikaufenthalte zu reduzieren.

Zum Höhepunkt der Flüchtlingswelle erklärte Wieler den Deutschen, dass von Asylsuchenden keine erhöhte Gefahr für Infektionen ausgehe. “Alle anderen Aussagen sind Meinungsmache”, fügte er hinzu.

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Auch jetzt beantwortet er souverän alle Fragen und räumt offen ein, was die Forschung noch nicht weiß. In welchen Regionen die Epidemie besonders stark wüten wird zum Beispiel, oder ob das Virus wirklich deutlich geschwächt wird, wenn die Temperaturen steigen.

Nur in einer Frage weicht Wieler genauso aus wie der Gesundheitsminister: Einerseits lobt er die Chinesen, die mit der Abriegelung der Krisenregionen die Ansteckungszahlen zuletzt deutlich senken konnten. Und er sagt, an anderer Stelle, dass das Entscheidende ist, die Epidemie zeitlich zu strecken. Die logische Konsequenz wäre, genau dies durch eine Begrenzung der Mobilität an den Grenzen zu versuchen. Doch dazu äußert sich der RKI-Chef nicht.

Wieler lässt sich den Druck nicht anmerken

Der Druck, unter dem er angesichts der momentanen Situation steht, ist Wieler nicht anzumerken. Nur manchmal unterstreicht er seine ruhigen, stets in einfachen Worten formulierten Aussagen mit ausgestrecktem Zeigefinger – und der Faust, mit der er rhythmisch auf den Tisch trommelt.

Normalerweise entspannt sich Deutschlands oberster Gesundheitswächter gern beim Fußballspielen. Dazu dürfte ihm derzeit jedoch die Zeit fehlen. Das Derby seines Lieblingsvereins 1. FC Köln gegen Borussia Mönchengladbach am gestrigen Mittwochabend hätte er ohnehin nicht besuchen können – es fand wegen des Coronavirus ohne Zuschauer statt.

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