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Markus Lanz: Warum verlor ein deutscher Vater seine Söhne an den IS?

Erst hat es den Anschein, als drehe sich in dieser Talkrunde alles um den nächsten US-Präsidenten. Doch das Duell Clinton gegen Trump, besser bekannt als Pest gegen Cholera, rückt ganz schnell in den Hintergrund, als Joachim Gerhard seine Geschichte erzählt. Tränen glitzern in seinen Augen, als Markus Lanz ihn vorstellt und seine Geschichte zusammenfasst. Das Schicksal seiner Familie muss für viele Zuschauer schlicht unbegreiflich sein.

„Jeder Bruder hier im Islamischen Staat, jeder Muslim ist mir lieber als du selbst, obwohl du mein eigener Vater bist. Warum? Weil du gegen den Islamischen Staat arbeitest“, sagt Sohn Ben ernst in die Kamera, daneben sitzt dessen Bruder Fabian. Eine Videobotschaft aus Syrien an Joachim Gerhard. „Wir bezeugen, dass es nur einen anbetungswürdigen Gott gibt, und zwischen uns wird so lange Feindschaft herrschen, bis du das auch bezeugst“, sagen seine Kinder, die er bis dahin gut zu kennen glaubte.

Erschütternde Aussagen bei Lanz: So unbehelligt reisen Terroristen durch Europa

Wie werden zwei evangelische, gebildeten junge Männer aus Kassel, die als Fotograf und Schauspieler arbeiten wollen, zu Kämpfern für den Islamischen Staat? Das ist die Frage, die bei Lanz am Dienstagabend am meisten aufrüttelt.

Er hat ein Buch geschrieben, viele Medien haben in den vergangenen Tagen über ihn berichtet. Mit seinen Erfahrungen will Gerhard für mehr Bewusstsein sorgen, erklärt er in der Talkshow. Bis zuletzt ist es für Joachim Gerhard ein Rätsel, wie seine freiheitsliebenden und weitgereisten Söhne in die Fänge des IS geraten können, vom Leben im Paradies fabulieren, statt ihr Leben zu leben. Damit abfinden kann und will Gerhard sich nicht, das macht er bei Lanz deutlich.

Der letzte Strohhalm: Der Weg in die Öffentlichkeit

Monatelang hörte Gerhard nichts von seinen Kindern. Im März 2015 dann kam die letzte Nachricht vom Handy seines ältesten Sohnes. Die Brüder Hassan und Arif seien gestorben im Kampf für Allah, für den IS. In der Nachricht wurde Gerhard dazu aufgerufen, nicht mehr an die Presse zu gehen und nicht weiter nach seinen Söhnen zu suchen. Doch gerade diesen Gefallen will Gerhard den Extremisten nicht machen. Bei Lanz zeigt er sich kämpferisch. Seine Medienoffensive erweckt den Anschein eines letzten Strohhalms, an den er sich noch klammern kann. Noch hofft er, dass sein Albtraum irgendwann ein Ende hat und die Brüder zurückkehren.

Mit ruhiger Stimme, immer wieder um Fassung ringend, erzählt Gerhard, wie er gut 20 Mal ins syrische Grenzgebiet gereist ist, um seine verlorenen Söhne zu suchen. Vergeblich. Es macht fassungslos: Die beiden sind freiwillig ausgereist, behaupteten, nur einen Ausflug nach Wien zu machen – und fuhren stattdessen nach Syrien, wo sie sich dem IS anschlossen. Und mit ihnen hunderte, ja tausende Jugendliche aus aller Welt, die mit dem Islam vermeintlich nichts am Hut haben.

Ein seltenes Schauspiel - Lanz wird von seinen Gästen an die Wand geredet

„Es geht darum, dass das Gespräch nicht verloren geht zwischen den Menschen“, das sagt der ehemalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering später in der Runde. Ein Satz, der in diesem Zusammenhang nachdenklich macht. Wenn es nach Gerhard geht, hat er den Draht zu seinen Söhnen nicht verloren. Immer wieder begleitete er sie nach ihrer Konvertierung vom Christentum zum Islam sogar in die Moschee, sprach mit ihnen auch über den IS und radikale Salafisten. Geholfen hat es nichts. „Da wird eine Religion missbraucht“, gibt Müntefering zu bedenken. Um Glauben gehe es dabei wohl als letztes. Die Strategien des IS sind „brutal und zynisch. Sie suchen die Macht und Gewalt.“ Doch wie sie es schaffen, ausgerechnet damit erfolgreich zu sein und offenbar auch immer wieder gebildete deutsche Jugendliche erreichen, darauf hat auch er keine Antwort.

Wie kann man einem Vater Trost spenden, der alles verloren hat? Lanz wirkt seltsam hilflos, wägt genau ab, wie er kommentiert und hält sich mit seinen sonst oft bohrenden Fragen zurück. Etwas ungelenk bedankt ser sich nach dem bewegenden Auftritt, ermuntert Gerhard dazu, weiterzumachen und aufzuklären. Und er lädt ihn ein, bald wieder ins Studio zu kommen. Vorausgesetzt, Gerhard selbst ist dann noch am Leben. Denn er will seine Söhne weitersuchen, koste es was es wolle.

Foto: Screenshot/ZDF