„Martin Schulz hat ein enormes Glaubwürdigkeitsdefizit“: Ein Stimmungsbild der SPD bei „Markus Lanz“

Zu Gast bei „Markus Lanz“ am Mittwoch waren Eva Szepesi, Bärbel Schäfer, Thorsten Schäfer-Gümbel, Achim Reichel und Daniel Friedrich Sturm. (Bild: Screenshot ZDF)
Zu Gast bei „Markus Lanz“ am Mittwoch waren Eva Szepesi, Bärbel Schäfer, Thorsten Schäfer-Gümbel, Achim Reichel und Daniel Friedrich Sturm. (Bild: Screenshot ZDF)

Ist die SPD innerlich zerrissen? Bei Markus Lanz diskutierte der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD Thorsten Schäfer-Gümbel darüber mit dem Journalisten Daniel Friedrich Sturm.

Das Ergebnis für eine Große Koalition war beim Bundesparteitag der SPD alles andere als einstimmig, die Stimmung gespalten. Nun steht fest: Trotz der ursprünglichen Ankündigung von Parteichef Martin Schulz, in Opposition gehen und die SPD runderneuern zu wollen, versucht es die SPD nun doch noch einmal mit einer Großen Koalition. Wie groß der Stein gewesen sei, der ihm nach der SPD-Abstimmung (56,4 Prozent stimmten pro GroKo) vom Herzen gefallen sei, fragte Moderator Lanz den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Thorsten Schäfer-Gümbel. „Der war schon groß“, antwortete er. „Die Entscheidung war spannend. Dass es knapp wurde, war vorher allen klar. Die Debatte war unfassbar intensiv. Insofern waren wir erleichtert, dass es am Ende eine Entscheidung gab.“ Dass es schiefgehen könnte, habe er nie geglaubt, sehr wohl aber, dass es „noch enger ausgehen könnte“ – einfach, weil es in der Debatte sehr emotional zuging.

„Haben Sie schon mal eine Partei erlebt, die sich dermaßen quält?“, wollte Moderator Lanz vom Journalisten Daniel Friedrich Sturm wissen. Der berichtete von der ambivalenten Stimmung am Parteitag der Sozialdemokraten vergangene Woche in Bonn: „Natürlich war das Gefühl des Zerreißens da, und das ist auch nachvollziehbar. Die SPD ist vor zwölf Jahren mit 34 Prozent im Rücken in ein Regieren mit Frau Merkel gegangen und steht jetzt vor der Frage, ob sie das mit 20 Prozent fortsetzt.“

Markus Lanz befragte Thorsten Schäfer-Gümbel zur Stimmung in der SPD. (Bild: Screenshot ZDF)
Markus Lanz befragte Thorsten Schäfer-Gümbel zur Stimmung in der SPD. (Bild: Screenshot ZDF)

Sein aktuelles Verhältnis zum Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert, der sich deutlich gegen eine GroKo aussprach, sei „tiefenentspannt“, so Schäfer-Gümbel. „Ich finde, dass Kevin ein pfiffiger Kerl ist, dass er einen klaren Standpunkt hat. Ich teile seine Position nicht. Ich kann nachvollziehen, warum er zu diesen Punkten kommt. Weil die Argumente, die am 24. September zu unserer Entscheidung geführt haben, dass wir in Opposition gehen, die sind jetzt natürlich ja nicht weg, nur weil Jamaika gescheitert ist. Und das macht die Spannung natürlich auch aus.“

Dass es keine gemeinschaftliche, ekstatische Freude über die Regierungsbeteiligung gibt, zeigte der SPD-Mann sehr deutlich: „Wir haben am 24. September aus wirklich nachvollziehbaren, überzeugenden und auch gewichtigen Gründen gesagt, es geht nicht. Wir haben die Wahl verloren, wir haben gesagt, dass wir nicht wollen, dass eine rechtsnationalistische, rechtspopulistische Partei Oppositionsführer wird. Dann kam Jamaika. Dann haben sie alle vom Balkon gewunken. Christian Lindner, der im Wahlkampf noch gesagt hat ‚Manchmal muss ein ganzes Volk vom Zehnmeterbrett springen’ hat dann an diesem berühmten Abend gerufen als Klein-Christian: ‚Bitte holt mich von diesem Startblock wieder ab.’“

Aber auch Schäfer-Gümbels persönliche Meinung zur Großen Koalition war nicht immer ganz so eindeutig: Bei der Erstabstimmung stimmte er noch gegen eine Regierungsbeteiligung, änderte später aber seine Meinung.

Bleibt die Frage nach der Glaubwürdigkeit. Besonders SPD-Chef Schulz habe damit ein großes Problem, so Sturm: „Der Parteivorsitzende der SPD, Martin Schulz, hat natürlich ein enormes Glaubwürdigkeitsdefizit. Nicht nur, weil er am Wahlabend diesen kategorischen Ausschluss formuliert hat. Er hat […] auch noch nach dem Scheitern von Jamaika einen einstimmigen Beschluss exekutiert, der sagt: ‚Wir machen da nicht mit.’ Bis hin zu dem Satz ‚Wir scheuen Neuwahlen nicht.’ Jetzt war die Argumentation auf dem Parteitag: Wir scheuen Neuwahlen sehr wohl.“

Es sei am Parteitag deutlich zu spüren und in den Gesichtern der Delegierten zu sehen gewesen, dass ein großes Misstrauen herrsche – auch am fehlenden Applaus bei Schulz’ Rede habe sich das deutlich gezeigt, so der Journalist. Mittlerweile habe auch Schulz in der Parteibasis keinen großen Rückhalt mehr.

Der Frage, ob Martin Schulz an einem Kabinettstisch in einer Großen Koalition einen Platz haben sollte, wich Schäfer-Gümbel erwartungsgemäß aus – man habe noch keinerlei Personaldebatten geführt.

Thematisch konträr war das nächste Gespräch: Musiker Achim Reichel erzählte von einer bewegten Musikkarriere und seiner Bekanntschaft mit den Beatles. Der 73-Jährige wurde mit den Bands „The Rattles“ und „Wonderland“ bekannt und prägte das Genre Krautrock. Reichel plauderte aus dem Nähkästchen und erzählte von den 60er-Jahren. So verriet er, dass Paul McCartney ein „wohlerzogener junger Mann“ gewesen sei, der einen bemerkenswert gekonnten Umgang mit der Damenwelt hatte. Auch über John Lennon hatte er die ein oder andere Anekdote parat: Dieser sei oft bitterböse gewesen.

Am Schluss der Sendung berichtete die Holocaust-Überlebende Eva Szepesi von ihren schrecklichen Erlebnissen unter dem Nazi-Regime. Viele Jahrzehnte konnte sie laut eigenen Angaben nicht darüber sprechen, nun gibt es ihre Geschichte in Buchform – aufgeschrieben von Moderatorin Bärbel Schäfer, die ebenfalls zu Gast in der Sendung war. „Meine Nachmittage mit Eva – Über Leben nach Ausschwitz“ erzählt davon, wie Szepesi im Alter von zwölf Jahren von der Roten Armee aus Ausschwitz befreit wurde. „Ich habe mich geschämt. Alles, was passiert war, das war so unglaublich unmöglich“, erzählte Szepesi über den Grund, warum sie lange nicht darüber sprechen wollte. Es waren unfassbare Grausamkeiten, die Szepesi erleben musste, die nun von Schäfer aufgeschrieben wurde. Die Moderatorin erzählte auch von ihrem Interesse gegenüber der Geschichte ihrer eigenen Familie. So habe sie ihre Großmutter gefragt, als sie deren Mutterkreuz in einer Schublade gefunden hatte: „Wer wart ihr zu dieser Zeit? Wart ihr Nazis? Die Antwort war eine Ohrfeige und Schweigen.“