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Massenvertreibungen durch Taliban: Hazara schlagen Alarm

Tausende Hazara harren derzeit in notdürftigen Lagern in der Wildnis aus (Bild: Ghulamhussain via Twitter)
Tausende Hazara harren derzeit in notdürftigen Lagern in der Wildnis aus (Bild: Ghulamhussain via Twitter)

Während der harte afghanische Winter immer näher rückt, weiten die Taliban offenbar die systematischen Vertreibungen in einigen Regionen immer weiter aus. Besonders betroffen ist die Volksgruppe der Hazara.

Hazara-Aktivist:innen und -Verbände aus der Diaspora schlagen deshalb nun online Alarm. Eine Twitter-Kampagne unter dem Hashtag #StopHazaraForcedDisplacement soll auf das Ausmaß und die Hintergründe der Vertreibungen aufmerksam machen.

Nach Angaben von Hazara-Gruppen in Australien wurden geschätzt bereits über 1000 Familien in den Provinzen Daikondi und Helmand aus ihren Häusern vertrieben. 3000 Haushalten wurde demnach in Daikondi ein Ultimatum zur Räumung gestellt, etwa 2000 weiteren in Masar-e-Scharif. Auch aus einigen anderen Regionen und dem Kabuler Stadtteil Dascht-e-Bartschi wurden bereits Vertreibungen gemeldet. Insgesamt sind damit Zehntausende Menschen betroffen. Die bereits vertriebenen Familien leben oftmals unter elenden Bedingungen in improvisierten Zelten oder Höhlen in den Bergen, sie durften in der Regel keine Vorräte mitnehmen und sind nur schlecht auf den Winter vorbereitet.

Von Vertreibungen betroffen sind unter anderem auch Tadschiken im Pandschir-Tal und Angehörige ehemaliger Sicherheitskräfte in Kandahar, doch Hazara machen die bei weitem größte Zahl aus. Über das Vorgehen der Taliban haben in den vergangenen Wochen bereits mehrere internationale Medien berichtet, unter anderem der "Spiegel". Die Kämpfer berufen sich demnach auf "Urteile" von Taliban-Richtern, die die Grundstücke paschtunischen Landbesitzer zusprechen.

Den Hazara zufolge haben die Beschlüsse keine legale Grundlage, es gehe lediglich um Rache, da sie oftmals mit internationalen Truppen zusammengearbeitet hatten, sowie um die Belohnung loyaler Taliban-Anhänger. Bei Widerstand wird mit Gewalt gedroht, teils umgehend mit der Zerstörung von Häusern begonnen.

"Sie haben das Land seit Generationen kultiviert. Es ist ihre einzige Lebensgrundlage und sie haben jahrelang gearbeitet, um es fruchtbar zu machen", schreibt Aktivist Reza Nasiri. "Jetzt haben die Taliban ihre eigenen Soldaten dort angesiedelt".

Zwar sollen in einigen Fällen die Urteile durch höhere Instanzen in Kabul ausgesetzt worden sein, bisher seien aber noch keine Hazara-Familien zurückgekehrt, da ihre Häuser bereits durch Taliban besetzt seien, die keine Anstalten machen, diese wieder zu verlassen.

Noch am Dienstag kündigte das von dem berüchtigten Terroristen Siradschuddin Haqqani geführte Innenministerium der Taliban an, an die Familien von Taliban-Selbstmordattentätern Land zu verteilen. Hazara waren und sind dabei besonders häufig Ziel von Selbstmordattentaten.

Viele Aktivst:innen erinnern unter anderem in Videobeiträgen auch an die leidvolle Geschichte der mehrheitlich schiitischen Hazara, die seit Jahrhunderten wegen ihres Glaubens und aus rassistischen Gründen diskriminiert und Verfolgt werden. Immer wieder kam es dabei auch schon zu Vertreibungen durch Paschtunen. Grausamer Höhepunkt war ein Genozid unter dem von den Briten gestützten Emir Abdur Rahman Khan in den 1890ern, bei dem nach Schätzungen etwa 60 Prozent der damaligen Hazara-Bevölkerung getötet, versklavt oder in Nachbarländer vertrieben worden sind.

Auch die Taliban töteten während ihrer ersten Herrschaft Tausende Hazara. Nach ihrem Sturz blieben die Hazara vielfach benachteiligt und wurden oftmals Ziel von Anschlägen und gezielten Tötungen durch unterschiedliche militante Gruppen, vor denen sie sich durch die frühere afghanische Regierung nur unzureichend geschützt sahen.

Zu den Forderungen der Hazara, die etwa in offene Briefen an die Regierungen Großbritanniens und Australiens (in beiden Ländern leben große Hazara-Communities) ausformuliert sind, zählen schnelle humanitäre Hilfe und stärkerer internationaler Druck auf die Taliban, die nach der Machtübernahme versichert hatten, marginalisierte Gruppen zu schützen. Zudem müssten Hazara die Flucht aus Afghanistan erleichtert und ihnen ein besonderer Schutzstatus zugesprochen werden. Dazu zirkuliert ein Spendenaufruf des britischen Hazara-Komitees, das die vertriebenen Familien unterstützen will.

Gerade in Hinblick auf die jüngsten IS-Anschläge auf schiitische Moscheen, denen ebenfalls vorwiegend Hazara zum Opfer gefallen sind, warnen viele Hazara davor, die Taliban etwa als kleineres Übel oder sogar möglichen Partner im Kampf gegen den IS zu akzeptieren. Die Hazara hätten nicht den Luxus, zwischen den beiden Gruppen zu unterscheiden, schreibt Aktivist Hojjat Yakobi: "ISIS ist der Metzer, der uns die Kehle aufschneidet, während die Taliban uns niederdrücken, damit wir nicht entkommen."

Video: Imam fordert von den Taliban mehr Schutz vor dem IS