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Talk bei Illner: "Solange Dobrindt die Orbánisierung seiner Partei vorantreibt, kommt die Regierung nicht zur Ruhe"

Talk bei Illner: Alexander Dobrindt hat die AfD gerade zum bürgerlichen Lager gezählt, Grünen-Politiker Robert Habeck schlägt die Hände vor dem Gesicht zusammen. Foto: Screenshot / ZDF
Talk bei Illner: Alexander Dobrindt hat die AfD gerade zum bürgerlichen Lager gezählt, Grünen-Politiker Robert Habeck schlägt die Hände vor dem Gesicht zusammen. Foto: Screenshot / ZDF

Die Landtagswahlen in Bayern und Hessen nimmt Maybrit Illner zum Anlass, Bundeskanzlerin Merkels Macht zu hinterfragen. Und die Frage ist berechtigt, befanden sich doch CSU und SPD in der bayerischen Wählergunst im freien Fall. Das liest sich so: Das zweitschlechteste Ergebnis der CSU und das schlechteste Ergebnis der SPD in einer Landtagswahl überhaupt. Ja, Volksparteien in ganz Europa verlieren an Unterstützung. Das Stimmenspektrum wird breiter, mehr Menschen wählen mehr Diversität. Damit schwindet aber auch die Unterstützung Angela Merkels in der Bevölkerung. Laut Sonntagsfrage von infratest dimap befindet sich die Große Koalition bei 41 Prozent. „Groß“ ist das nicht mehr. Daher fragt Maybrit Illner ihre Gäste: Wie schnell verfällt Merkels Macht?

Nach der Wahl ist vor der Wahl, auf Bayern folgt Hessen im Wahlkalender. Bis dahin wollen Vertreter der Regierungsparteien ihre Füße stillhalten. Doch bereits vergangene Woche sprach die Generalsekretärin der CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer, von programmatischer Erneuerung, von Profilschärfung, sogar von Grundsatzprogramm. Was das bedeutet und ob das auch personelle Konsequenzen auf Führungsebene nach sich zieht, wird sich zeigen. Räumt Horst Seehofer seinen Posten als Innenminister oder gibt seinen CSU-Parteivorsitz auf, sitzt Andrea Nahles fest im Sattel oder beendet sogar Angela Merkel ihre Kanzlerschaft – das wäre möglich zur Halbzeit der Legislaturperiode?

Dabei ist es erst ein gutes Jahr her, dass Angela Merkel auf einer Wahlkampfrede in einem Bierzelt sagte, Deutschland müsse sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Angesichts besorgniserregender Entwicklungen, die internationale Partner seit damals durchlaufen: Donald Trumps autokratische Züge in den USA, der Brexit, Italiens Rechtsruck, die offene Aushöhlung der Demokratie in Ungarn und Polen. Doch all das, so machte sie zumindest den Eindruck, wollte Merkel anpacken. Dann folgte die monatelange Koalitionsbildung, die CSU tanzte ihr auf der Nase herum, Horst Seehofer ließ die GroKo zweimal fast platzen, die überraschende Entscheidung der CDU-Basis gegen Merkel-Kandidat Kauder als Fraktionschef, die Affäre um Hans-Georg Maaßen, dessen Entlassungs-Beförderung Merkel mittrug und danach als Fehler einsah. Ja, Angela Merkels politische Intuition für die Stimmung im Land, selbst für ihre eigene Partei, scheint getrübt. Dabei wurde sie einst als Führerin der EU, der freien Welt und als mächtigste Frau bezeichnet.

Doch zuerst wirft die Runde einen Blick zurück auf die Bayernwahl, in der die Protagonisten eines politischen Schmierentheaters auch im Nachhinein wenig versöhnliche Töne anschlagen. Denn wieder hat die CSU bundespolitisch provoziert, um im Land Boden gut zu machen. Auf Kosten der Stabilität im ganzen Bund. „Das war kein Schauspiel in den vergangenen Wochen, sondern eine intensive Debatte. Es ging stark um Migration, es wurden zu wenig politische Debatten um das Thema geführt“, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Parteivorsitzender der Grünen, Robert Habeck, dazu: „Wäre der Dobrindtsche Streit uns widerfahren, wäre die Koalition zu Ende. Das hätte meine Partei nicht ausgehalten. Es wurde populistisch agiert. Seehofer ist zurückgetreten und vom Rücktritt zurückgetreten. Das war keine Sacharbeit, sondern ein offener Machtkampf.“

Vokabelcheck mit der CSU

Personelle Konsequenzen ziehen will die CSU bisweilen nicht. Denn laut Dobrindt habe man jetzt die Verantwortung für eine Regierungsbildung, seine stabile selbstverständlich, denn laut bayerischer Verfassung bleibe dafür nur vier Wochen Zeit, danach könne man sich über andere Fragen unterhalten. Aufgepasst, ein kleiner Vokabelcheck der CSU-Kommunikation: „Stabilität“, „Verantwortung“, „Regierungsauftrag“, “bayerische Verfassung“, gebetsmühlenartig sprechen die Christsozialen diese Worte momentan in jedes verfügbare Mikrofon. Scheint parteiinterne Strategie, diese Trigger im Wählerohr verankern zu wollen. Aber halt. So leicht geht das nicht. Die CSU kann nicht einen Streit nach dem anderen auf Bundesebene vom Zaun brechen, die Regierung an den Rand des Absturzes bringen und dann zur Normalität zurückkehren. Die CSU steht nicht für Verantwortung und Stabilität, sondern für Provokation und Chaos. Taten entscheiden, nicht leere Worthülsen.

Habeck fordert daher auch Konsequenzen: „Ich halte Seehofer für eine Fehlbesetzung als Innenminister, er hätte längst zurücktreten müssen. Aber er trägt nicht allein Schuld, auch Herr Dobrindt hat seinen gehörigen Anteil. Solange er diese Orbánisierung der CSU vorantreibt, wird die große Koalition nicht zur Ruhe kommen.“

Dobrindt will klarstellen, dass er mit seiner Politik die Mehrheit erreicht, immerhin war die Wahl in Bayern „ganz klar eine bürgerliche“ und keine „linke“: „Wenn man sich Wähleranalysen anschaut, gibt es keinen Ruck nach links. SPD und Grüne haben heute weniger Zustimmung, als vor fünf Jahren. Das bürgerlich demokratische Mitte-rechts Lager hat nach wie vor 65 Prozent in Bayern.“

Habeck schlägt die Hände vor’s Gesicht: „Haben Sie gerade wirklich die AfD zu Ihrem Lager gezählt? Es ist ein Skandal, dass Sie keinen Unterschied mehr machen zwischen CSU, FDP und der AfD. Sie sagen seit einem dreiviertel Jahr, ‘Viktor Orbán ist unser Freund, Sebastian Kurz, der mit der FPÖ koaliert, ist unser Vorbild‘ und jetzt zählen Sie die AfD zu Ihrem bürgerlichen Lager. Das ist die nächste Stufe der Gemeinmachung mit der AfD. Die AfD ist keine bürgerliche Partei.“

Dobrindt sieht sich falsch verstanden, es ginge ihm nur um Wählerstruktur, die sei in großen Teilen bürgerlich, nicht das Abbild im Parteienspektrum. „Die AfD ist keine bürgerliche Partei“, ergänzt er.

Ist das Modell Volkspartei überholt?

Dann dreht sich die Runde weiter, nicht zum eigentlichen Thema, das war Angela Merkels Machtverlust, für alle, die es bis hierhin schon vergessen haben, sondern zu einer grundlegenden gesellschaftlichen Entwicklung. Auf das rechts-links-Schema der Volksparteien angesprochen, sagt Robert Habeck: „Die Beschreibung ist nur taktisch zu verstehen. Wer die Gesellschaft und die Politik in Lager unterteilt, verfolgt eine Agenda. Damit wird eine gesellschaftliche Konfrontation simuliert, die es nicht mehr gibt. Das sehen wir überall in Europa, eine fehlende Bindekraft der ehemaligen Volksparteien. Menschen wollen sich nicht mehr in Lager einteilen, es gibt so viele Familienideen, Freizeitgestaltungen, Lebensentwürfe. Die Homogenität der Volksparteien wird der Komplexität der Wirklichkeit nicht mehr gerecht.“ Und dann gibt Habeck noch eine Prognose, wohl aber auch eine Selbstbeschreibung seiner Partei ab: „Die Parteien werden gewinnen, die der Radikalität der Veränderung entsprechende radikale Konzepte an die Seite stellen. Wir können nicht den Klimawandel als große Generationenaufgabe benennen und dann nicht reagieren.“

Mit in der Runde saßen übrigens auch noch: Olaf Scholz („Wir leiden noch alle unter dem Ergebnis in Bayern. Ich fand es nicht gut, wie die Machkämpfe ausgetragen wurden in der Union”), Armin Laschet („In Hessen ist schwarz-grün kein Lager, sondern eine pragmatische Koalition. Das funktioniert besser, als in Berlin“), Politikchefin der Welt Claudia Kade („Es ist gespenstisch, die Reaktionen nach der Bayernwahl sind total stumpf, man hat das Gefühl, die Parteien kommunizieren nur nach innen und nicht zum Wähler. Dabei rumort es an allen Ecken und Enden. Viele glauben, die SPD kann sich den Verbleib in der GroKo nicht mehr erlauben“) und Politikwissenschaftlerin Ursula Münch (“Wenn alle um sich selbst kreisen, dann hat man als Wähler das Gefühl, dass die wahren Probleme zu wenig angegangen werden. Alle verstricken sich nur in Gemetzel“).

Jetzt aber nochmal zum Thema? Herr Habeck, bitte: „Dass Frau Merkel fertig ist, höre ich seit 2013.“