Medaillen-Enttäuschung - Mit diesen olympischen Tugenden steigen wir wieder zur Weltspitze auf

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Deutschland ist weit entfernt von der Medaillen-Flut, die es bei früheren olympischen Spielen mit nachhause brachte. Psychologe Florian Becker sieht den Trend als Spiegel einer Abstiegs-Gesellschaft - und erklärt, wie man wieder nach vorne kommen kann.

Auch wenn derzeit viele Menschen über Olympia jubeln und viele Kommentare den Misserfolg schönreden: Deutschland steht aktuell im Medaillenspiegel nicht mehr in den Top 10, könnte von Hongkong überholt werden – einer Stadt mit unter acht Mio. Einwohnern.

Seit über 30 Jahren geht es abwärts im Medaillenspiegel der olympischen Sommerspiele. Deutschland erreichte zuletzt nicht einmal mehr die Hälfte der Medaillen von vor 30 Jahren. Es ging immer weiter abwärts.

Deutschland ist vom Olymp gefallen

Im ewigen Medaillenspiegel ist Deutschland - noch - auf Platz 2. Davor sind nur noch die USA – mit etwa viermal so vielen Einwohnern. Das zeigt, welchen Anspruch, welche Standards, welche Leistungsfähigkeit wir früher hatten. Es ist nicht lange her, da war Deutschland absolute Weltspitze. Im Leistungssport. In der Bildung. Im Export. Im Wohlstand. Doch diese Zeiten scheinen endgültig vorbei.

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Praktiker vermissen das Leistungsdenken

Olympia-Goldmedaillengewinner Robert Harting sprach dazu neulich Klartext bei Sports Illustrated – Klartext, den keiner hören wollte. Einige Zitate:

  • „Denn es sind oft nicht die Talentiertesten, die die größten Erfolge haben, sondern die, die am härtesten dafür arbeiten.“

  • „Leistung ist bei uns schon fast zu etwas verkommen, für das man sich schämen muss, wenn man darüber auf der Straße spricht.“

Ähnlich klar äußerte sich kürzlich Spitzenfußballer Lukas Podolski im „Stern“ – und erntete einen Shitstorm. Zitate:

  • „Heutzutage will ja keiner mehr arbeiten und malochen. Alle wollen dauernd nur der nächste Influencer und YouTube-Star werden.“

  • „Ich glaube, dass man nur erfolgreich sein kann, wenn man auch hart daran arbeitet. Sei es, dass uns eine Idee nachts um zwei Uhr kommt und man dann brainstormt. Man muss arbeiten, dafür kämpfen und das, was man macht, mit Herzblut tun.“

Klaus-Peter Nowack, 25 Jahre Geschäftsführer eines großen Trainingszentrums für Spitzensportler berichtete vorab im FAZ-Interview mit Blick auf die Spiele in Paris von seinen Beobachtungen bei den Olympiateilnehmern. Auszüge:

  • „Ich sehe aber auch Sportler, die trainieren ein bisschen nach dem Motto: Komm' ich heut nicht, komm' ich morgen. Viele Athleten haben es nicht verdient, im Kader zu sein.“

  • „Vor einem halben Jahr war ich noch optimistisch. Das bin ich nicht mehr. Wenn ich die Leichtathleten sehe: Das wird dramatisch werden.“

  • „Bei vielen bemerke ich eine Mentalität: Ich muss ja nicht unbedingt gewinnen.“

Abstieg auf breiter Front

Jetzt sind die zunehmend enttäuschenden Ergebnisse der olympischen Sommerspiele für sich allein sicher kein Trend, der am abnehmenden Leistungsdenken liegen muss. Ich höre oft Einwände wie: „Die anderen Länder investieren einfach mehr in Leistungssport.“ Oder: „Andere fördern Kinder von klein auf, gehen an die und über die sportmedizinischen Grenzen. Das ist alles unethisch.“ Das mag alles sein. Doch ist nicht auch das ein Zeichen für mangelndes Leistungsdenken, wenn ich als Land in meine Besten nur so wenig investieren möchte? Geschlechter-Debatte um Imane Khelif - „Lasst diesen Schei**“: Halmich wütet wegen umstrittener Olympia-Boxerin

Was den Deutschen auf die Erfolgs-Psyche drückt

Wenn das Problem wirklich so tief in der Psyche liegt, die sich in Deutschland herausentwickelt hat, dann sollte es einen Abstieg auf breiter Front geben. Und tatsächlich: Für mich fällt der Absturz vom Olymp in einen traurigen Trend, der die Leistungsfähigkeit und das Leistungsdenken in Deutschland in vielfältigen Bereichen betrifft. Ein paar Beispiele:

  • Wir sind lange nicht mehr Exportweltmeister – waren das früher jedes Jahr.

  • Unsere Bildungsleistung stürzt seit über 10 Jahren ab, wie uns immer wieder PISA und andere Studien belegen. 25% der Kinder können nach der vierten Klasse weder Lesen noch Schreiben.

  • Im Vermögensranking der EZB liegt Deutschland in Europa mittlerweile hinter ehemaligen Ostblockstaaten wie Slowenien. Die Peer-Group sind Estland, Griechenland und Slowakei.

  • Unsere Industrie und Wirtschaft haben aufgehört zu wachsen, gehen sogar zurück. Vom Wirtschafts-Flaggschiff sind wir zum Schusslicht im Wachstum geworden.

Ähnliches zeigt sich bei Patenten, Wissenschaft und Militär. Selbst Intelligenz und Lebenserwartung sinken wieder in Deutschland.

Ich stelle daher als Psychologe die Frage: Wenn du in fast allen relevanten Bereichen absteigst - wie könnte das also nicht am Leistungsdenken liegen?

Diplom-Psychologe Florian Becker<span class="copyright">privat</span>
Diplom-Psychologe Florian Beckerprivat

Man findet sich mit der Mittelmäßigkeit offenbar ab

Was mir bei all dem auffällt: Man scheint sich damit abzufinden, teilweise zu verdrängen, ja sogar diejenigen zu attackieren, die auf diese Probleme hinweisen. Stattdessen gibt es pseudo-Legitimationen wie:

  • Leistungssport ist eh ungesund – und die anderen dopen einfach mehr!“

  • „Exportweltmeister? Das ist gar nicht gut! Das schafft Ungleichgewichte.“

  • „Bildungsleistung? Die Kinder und Eltern haben doch eh schon so einen Stress!“

  • „Wachstum? Wir brauchen jetzt De-Growth. Das BIP ist nicht mehr zeitgemäß!“

  • „Wohlstand ist eh nicht wichtig. Hauptsache es geht sozial gerecht zu!“

Als Psychologe bin ich kein Freund von Zweckoptimismus, Selbstbelügung und Schönfärberei. Man mag den Kopf in den Sand stecken, sich kurzfristig besser fühlen – doch davon geht das Problem nicht weg. Neid gegen Reiche und Unternehmer - „Die meisten Menschen verstehen nicht, wie Unternehmer Geld verdienen“

Es droht Abstieg in weiteren Bereichen

Deutschland scheint sich entschieden zu haben: Leistung und Erfolg sind zu anstrengend. Doch so lange wir unser Leistungsdenken als Gesellschaft nicht zurückgewinnen, so lange werden wir nur weitere Rekorde sehen bei...

  • Jugendlichen ohne jeden Berufsabschluss. Es sind jetzt schon ca. 20 Prozent, die weder eine Berufsausbildung noch einen höheren Schulabschluss machen. Offenbar zu anstrengend.

  • Passiven Menschen, die Abhängigkeit von anderen als Lebensmodell gewählt haben. Dazu gehören über vier Mio. erwerbsfähige Menschen, die dennoch Bürgergeld beziehen. Etwa 1,7 Millionen dieser Bürgergeldempfänger sind sogar uneingeschränkt erwerbsfähig, aber nicht erwerbstätig. Es sind keine plausiblen Gründe für ihre Untätigkeit bekannt. Ihr Motto scheint zu sein: „Andere sind zuständig für meinen Lebensunterhalt.“

  • Dazu kommen immer mehr Personen, die sich „gestresst“ und „belastet“ fühlen und die Komfortzone verehren. Lukas Podolski sprach dazu im Stern-Interview eine unangenehme Wahrheit aus: „Ich komme aus Polen, meine ganze Familie hat acht bis zehn Stunden in der Grube untertage gearbeitet. Da wurde hart für das Geld gearbeitet, dagegen ist das hier alles Luxus und das Paradies. Ich bin gerade in einem Land, in dem gilt „9-9-6“. Das bedeutet 9 bis 21 Uhr, 6 Tage die Woche. Den 'Stress“' in Deutschland hätten die hier gerne."

Das alles sind keine schönen Trends. Sie bedrohen die Zukunft unserer Gesellschaft. Wenn man maximal harte Zeiten erzeugen will – dann sind wir auf dem richtigen Weg. Wie kommen wir also wieder zu mehr Leistungsdenken?

So gelingt der Wiederaufstieg  - in jeder Hinsicht

Ich beschäftige mich seit über 25 Jahren als Psychologe mit der Frage: Was macht manche Menschen besonders effektiv und lässt sie völlig über sich hinauswachsen – während immer mehr andere schon am ganz normalen Alltag scheitern? Was Experten raten - Verheiratet, aber unglücklich? So lässt sich die (Langzeit-)Ehe retten

Dabei können wir einiges von sehr erfolgreichen Personen lernen – beispielsweise von den Goldmedaillengewinnern. Robert Harting beschreibt seine Beobachtungen im oben genannten Interview so: „Mir fehlt die Selbsterkenntnis, dass wir eine Politik der Ideologie betreiben, die sich sehr stark an Minderheiten, an den Schwächen orientiert. Das ist zwar moralisch begrüßenswert und grundsätzlich zu würdigen – aber sich um die Schwachen zu kümmern darf dabei auch nicht ausschließen, dass wir ebenso die Stärksten fördern.“

Sich um die Schwächsten zu kümmern, reicht nicht aus

Doch wenn wir weiter alle Standards an den Schwächsten ausrichten – sei es bei Bundesjugendspielen oder schulischen Anforderungen – schaden wir allen. Auch den scheinbar „Schwachen“. Wir sollten als Gesellschaft wieder dahin kommen, dass wir auch die Besten und Talente fördern, dass sich Leistung wieder lohnt, dass man sich für Erfolg nicht schämen muss.

Es gilt in der gesamten Gesellschaft „olympische Tugenden“ aufzubauen, um Leistungsfähigkeit und Leistungsdenken zurückzugewinnen. Aus psychologischer Sicht sollten schon Kinder – und zwar möglichst alle – folgende Kompetenzen entwickeln:

  • Resilienz gegenüber Herausforderungen und Stress

  • Selbstvertrauen und Gelassenheit

  • Fokus und Konzentration

  • Selbstdisziplin

  • wirksame Ziele setzen und Motivation gewinnen

  • gute Gewohnheiten aufbauen

  • die Komfortzone verlassen

Schon den Jüngsten „olympische Tugenden“ beibringen

Es ist mittlerweile gut erforscht, wie Menschen diese „olympischen Tugenden“ für sich entwickeln können und zu Leistungsdenken, Gelassenheit, Effektivität und Erfolg finden. Statt weiter abzustürzen, steigen wir mit der richtigen Psychologie wieder auf – zurück auf den Olymp. Auch als ganze Gesellschaft.

Professor Dr. Florian Becker ist Diplom-Psychologe und Autor des Buches „Positive Psychologie – Wege zu Erfolg, Resilienz und Glück“. Er forschte und lehrte lange an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, ist im Vorstand der Wirtschaftspsychologischen Gesellschaft und hat eine Professur an der Technischen Hochschule Rosenheim. In Beratungsprojekten und Vorträgen zeigt er, wie Psychologie Menschen effektiver und glücklicher macht, wie Menschen Motivation entfesseln und Resilienz aufbauen.